22.02.2024

57. FIW-Symposion – Andreas Mundt, Aktuelle Entwicklungen der Kartellrechtspraxis des Bundeskartellamtes

DFIW
FIW-Symposion
Rede
Bundeskartellamt
Mundt

Mit seinem Vortrag „Aktuelle Entwicklungen der Kartellrechtspraxis des Bundeskartellamtes“ eröffnete Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, den ersten Vortragstag im Rahmen des 57. Symposions des FIW in Innsbruck am 14. Februar 2024. Er schilderte den ordnungspolitischen Kompass des Bundeskartellamts und nahm dabei eine Standortbestimmung des Amtes angesichts multipler Krisen, Regulierung und neuer Aufgaben vor. Angesichts des „dramatisch schlechten Zustands“ der deutschen Wirtschaft (so BM Habeck und Lindner) und einer nie gesehenen Bürokratiewelle aus Brüssel (u. a. AI Act, Digital Services Act, Digital Markets Act) sei eine Entbürokratisierung besonders wichtig. 

Mundt berichtete aus der Praxis des Amtes, über Fusionen, größere Missbrauchsverfahren (z. B. Post, Lufthansa, Bahn, Fernwärme) und Sektoruntersuchungen (z. B. im Lebensmitteleinzelhandel und im Kraftstoffsektor). Da eine Sektoruntersuchung meistens 24 Monate und damit lange dauere, sei eine punktuelle Betrachtungsweise mittels Verfahrenseröffnungen oft hilfreicher. 

Eine ökonomische Betrachtungsweise („more economic approach“) sei gut für die „Verfeinerung des Instrumentenkastens“; sie könne aber nicht jede ordnungspolitische Bewertung ersetzen. Auch die Wettbewerbsstruktur bleibe ein wichtiger Faktor. Hier habe die Befassung mit Big Tech in den letzten Jahren zu einem Umdenken geführt. Es frage sich, ob die Politik einen ebenso klaren Kompass wie das Bundeskartellamt habe. Die Politik sei in Bezug auf die Fortentwicklung der Aufgaben des Amtes jedenfalls selektiv in Erscheinung getreten. So habe das Amt noch keine Kompetenz für den Verbraucherschutz erhalten. Darüber hinaus sei die Stellenknappheit ein Problem. Das Bundeskartellamt habe aus dem Wettbewerbsregister mit nur 30 Stellen einen „digitalen Leuchtturm“ gebaut. Die Preisbremse für Gas, Fernwärme und Strom erforderte die Schließung einer Beschlussabteilung zu Lasten des Markenkerns des Amtes, um die Preisbremsen handhabbar zu machen. Für die Umsetzung des verbraucherschützenden Digital Services Act hätte das Amt auch gern mehr Ressourcen bekommen.   

Mit der 11. GWB-Novelle könne das Bundeskartellamt jetzt jede Maßnahme treffen, um den Wettbewerb wiederzubeleben, so Mundt. Das Bundeskartellamt werde zum „Regulierer ohne Rahmen“. Das sei sehr weitgehend und bedeute viel Verantwortung. Das Bundeskartellamt werde einerseits die neuen Eingriffsbefugnisse nach einer Sektoruntersuchung (§ 32f Abs. 2 und 4 GWB) anwenden; es sehe sich derzeit alle Branchen, auch in regulierten Märkten, an. Die Vorschläge Dritter bezüglich zu untersuchender Branchen seien umfangreich. Andererseits seien lange gerichtliche Verfahrensdauern bereits vorprogrammiert. Das Bundeskartellamt werde daher starke Prioritäten setzen müssen, etwa, ob § 32f GWB bereits bei den laufenden Sektoruntersuchungen (Mineralöl, Ladesäulen) zum Einsatz gebracht werden könne. 

In dieser Wahlperiode gleich zwei GWB-Novellen umsetzen zu wollen, bezeichnete Mundt als „sportlich“. Die Frage des BMWK in seiner Vorabkonsultation zu einer möglichen Anhebung der Umsatzschwellen in der Fusionskontrolle habe sich dem Bundeskartellamt nicht gestellt. Das Amt nehme rund 800 Anmeldungen, davon viele Immobilienfälle, im Jahr entgegen. Die bereits deutlich erhöhten Umsatzschwellen hätten die Anmeldefälle seit 2019 um 40 Prozent reduziert. Im Gegensatz dazu seien die Umsatzschwellen in der EU-Fusionskontrolle unverändert geblieben. Bei einer weiteren Erhöhung der nationalen Umsatzschwellen würden regionale Transport- oder Pressefusionsfälle, aber auch Zusammenschlüsse in der Veranstaltungsbranche. nicht mehr von der Fusionskontrolle umfasst werden. Schlankere und schnellere Fusionskontrollverfahren mit einer Freigabeentscheidung innerhalb von zwei bis drei Wochen gäbe es nirgendwo sonst. Das bedeute größtmögliche Rechtssicherheit für die Unternehmen in Deutschland. 

Mundt kritisierte, dass es nach wie vor Lücken im Verbraucherschutz gebe. Sammelklagen seien bei den Verbrauchern unbekannt und den Zivilschutzinstrumenten fehle die Breitenwirkung. Bei einer möglichen weitergehenden gesetzlichen Verankerung von Nachhaltigkeitsinitiativen seien die Spielräume für den nationalen Gesetzgeber denkbar klein. Mehr Spielraum als Art. 210a DMO - eine weite Ausnahme vom Wettbewerbsrecht im Agrarbereich - in das deutsche Recht zu überführen bestehe nicht. 

Hinsichtlich etwaiger neuer Regelungen zum Kartellschadensersatz mahnte Mundt, dass man den Kronzeugen im Blick haben müsse. Die Diskussion, ob zugunsten des Hauptzeugen Erleichterungen im Innenverhältnis geschaffen werden sollten, führe das Amt gerade mit der EU-Kommission. Auf keinen Fall solle der Kartellschaden vom Amt selbst beziffert werden; einige Altfälle zur Mehrerlösermittlung harrten immer noch ihrer Beendigung. 

In der anschließenden Aussprache wurde die Frage aufgeworfen, ob sich das Wettbewerbsrecht mittlerweile vom „Neoliberalismus zum Neointerventionismus“ gewandelt habe und das BKartA eine „Marktordnungsbehörde“ geworden sei. Mundt erklärte, dass der aktuelle interventionistische Ansatz daher komme, dass insbesondere in der digitalen Wirtschaft das Wettbewerbsrecht an seine Grenzen gestoßen sei. Er wolle aber darauf achten, dass der grundsätzliche ordnungspolitische Ansatz der Kartellbehörde auch bei der Anwendung der neuen Eingriffsbefugnisse nicht verloren gehe und das BKartA keine Märkte „designe“, sondern das Amt nur dort, wo „Spielverderber“ strukturell den Wettbewerb beseitigten, dieser wieder hergestellt werde. Das Bundeskartellamt werde sich der neuen Praxis von Verweisungen an die EU-Kommission nach Art. 22 FKVO weiterhin nicht anschließen. Es werde keine Fälle, für die es keine Zuständigkeit habe, nach Brüssel verweisen, sondern auf ein ausstehendes klärendes Urteil durch den EuGH warten. Die Fusionskontrolle müsse dem Anspruch an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerecht werden. Über eine Anzeigepflicht für bestimmte, nicht anmeldepflichtige Fälle könne man allerdings weiter diskutieren.