11.06.2014

EuGH erkennt Preisschirmeffekte als Kartellschäden an

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer Grundsatzentscheidung in der Rechtssache Urteil in der Rechtssache C-557/12 Kone AG u. a. / ÖBB Infrastruktur AG am 5. Juni 2014 geurteilt, dass Kartellbeteiligte für einen Schaden haften, der durch die Verfälschung des Marktpreises infolge des Kartells entstanden ist. Damit hat der EuGH so genannte Preisschirmeffekte (Umbrella-Pricing) anerkannt und den Umfang der Schadensersatzhaftung von Kartellteilnehmern neu bestimmt.

 

In der Pressemitteilung des EuGH heißt es dazu:

 

Führt ein Kartell dazu, dass die Wettbewerber sich veranlasst sehen, ihre Preise zu erhöhen, können die Kartellbeteiligten für den dadurch entstandenen Schaden haftbar sein. In einem solchen Fall kann der Geschädigte auch dann Schadensersatz verlangen, wenn er keine vertraglichen Beziehungen zu den Kartellbeteiligten hat.  Das Unionsrecht verbietet wettbewerbswidrige Absprachen. In diesem Zusammenhang haften Unternehmen, die sich an einem Kartell beteiligen, für den Schaden, der Dritten durch diesen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht entstehen kann.

 

Was sind Preisschirmeffekte?

 

Für Kartellaußenseiter kann es durchaus lukrativ sein, die durch die Kartellierung reduzierte Wettbewerbsintensität im Markt und die damit einhergehenden Preissetzungsspielräume bis hin zum Kartellpreis auszunutzen. Kommt es zu Preisanpassungen der Kartellaußenseiter unter dem Preisschirm der Kartellanten, kann dies bei ihren Abnehmern zu – kausal dem Kartell zuzuschreibenden – Schäden führen.

 

Bisher wurde angenommen, dass folgende Faktoren Preisschirmeffekte begünstigen:

 

·         marktbeherrschende Stellung des Kartells

·         geringe Marktanteile der Kartellaußenseiter

·         geringe Angebotselastizität der Kartellaußenseiter, etwa wegen der Angebotsmenge steigender Grenzkosten

·         hohe Homogenität der Produkte der Kartellanten und der Kartellaußenseiter

 

Hintergrund des Urteils:

 

Das Verfahren betraf ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (Österreich). Die Kommission hatte im Jahr 2007 gegen die Gruppen Kone, Otis, Schindler und ThyssenKrupp Geldbußen von insgesamt 992 Mio. Euro wegen ihrer Teilnahme an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden verhängt.  2008 verhängten auch die österreichischen Behörden Geldbußen gegen mehrere Unternehmen (darunter Kone, Otis und Schindler) wegen Bildung eines die genannten Produkte betreffenden Kartells auf dem österreichischen Markt.

 

Die ÖBB Infrastruktur AG (ÖBB), eine Tochtergesellschaft der österreichischen Bundesbahnen, kaufte Aufzüge und Fahrtreppen von nicht am Kartell beteiligten Unternehmen. Sie verlangt von den am österreichischen Kartell Beteiligten Schadensersatz. Der Schaden soll sich daraus ergeben, dass die Lieferanten von ÖBB einen höheren Preis angesetzt hätten, als sie dies ohne das Kartell getan hätten.

 

Nach österreichischem Recht ist ein Schadensersatz ausgeschlossen, wenn der „Schaden“ durch eine Entscheidung des nicht am Kartell beteiligten Lieferanten verursacht wurde, der rechtmäßig handelte. Der oberste Gerichtshof (Österreich) hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Art. 101 AEUV dahin auszulegen sei, dass jedermann von Kartellanten den Ersatz auch des Schadens verlangen kann, der ihm durch einen Kartellaußenseiter zugefügt wurde, der im Windschatten der erhöhten Marktpreise seine eigenen Preise für seine Produkte mehr anhebt, als er dies ohne das Kartell getan hätte.

Das Berufungsgericht hatte zuvor ausgeführt, dass es keinen Unterschied mache, ob die Klägerin den Schaden deshalb erlitten habe, weil ihr der kartellbedingte Preisnachteil vom unmittelbaren Abnehmer überwälzt worden sei oder ob Nichtbeteiligte am Kartell ihre Preise gleichsam „im Windschatten“ der Kartellanten erhöht hätten. Beide Arten von Schäden seien für einen Teilnehmer am Kartell grundsätzlich objektiv vorhersehbar und auch vermeidbar.

 

Urteil:

 

 

Der EuGH hat zu der Vorlagefrage wie folgt geantwortet:

 

Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen Rechts eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach es aus Rechtsgründen kategorisch ausgeschlossen ist, dass die an einem Kartell beteiligten Unternehmen zivilrechtlich für Schäden haften, die daraus resultieren, dass ein an diesem Kartell nicht beteiligtes Unternehmen in Anbetracht der Machenschaften des Kartells seine Preise höher festgesetzt hat, als es dies ohne das Kartell getan hätte.

 

In der Urteilsbegründung wies der Gerichtshof darauf hin, dass die praktische Wirksamkeit des Verbots wettbewerbswidriger Absprachen beeinträchtigt wäre, wenn der Einzelne nicht Ersatz des ihm durch einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln entstandenen Schadens verlangen könnte. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen kann, wenn zwischen dem Schaden und dem fraglichen Kartell ein ursächlicher Zusammenhang besteht.

 

Sodann führt der Gerichtshof aus, dass ein Kartell zur Folge haben kann, dass Unternehmen, die ihm nicht angehören, ihre Preise an den durch das Kartell entstandenen Marktpreis anpassen.

 

(Randziffer 34): Daher kann ein durch das „umbrella pricing“ Geschädigter den Ersatz des ihm durch die Mitglieder eines Kartells entstandenen Schadens verlangen, obwohl er keine vertraglichen Beziehungen zu ihnen hatte, wenn erwiesen ist, dass dieses Kartell nach den Umständen des konkreten Falles und insbesondere den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein „umbrella pricing“ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte, und wenn diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.