25.02.2013

Mundt (Bundeskartellamt) „Kartellrecht zwischen Verbraucherschutz und Industriepolitik“ beim 46. FIW-Symposion in Innsbruck (Rede)

D
FIW
46. Innsbrucker Symposion
Bundeskartellamt
Rede

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, sprach am 13. Februar 2013 anlässlich des 46. FIW-Symposions in Innsbruck, das dem Thema „Herausforderungen für die Wettbewerbsordnung - Kartellrecht zwischen Industriepolitik und Verbraucherschutz" gewidmet war, über „Kartellrecht zwischen Verbraucherschutz und Industriepolitik".

Mundt erläuterte zunächst in Bezug auf die Begrifflichkeiten, dass auch ein wettbewerblich geprägtes Deutschland nicht fern von Industriepolitik sei und nannte als Beispiele unter anderem die von Staatsseite geförderten Exportstützen und die Forschungsförderung. Im Unterschied dazu sei die Wettbewerbspolitik auf das freie Wirken der Marktkräfte ausgerichtet und enthielte sich gerade eines gezielten Eingriffs in Sektoren oder zugunsten bestimmter Unternehmen.

Mundt trat jedoch für einen differenzierteren Blick auf das Verhältnis zwischen Wettbewerbspolitik und Industriepolitik ein. Demnach müsse man zur Kenntnis nehmen, dass Eingriffe des Staates Teil der Rahmenbedingungen und der Wettbewerbspolitik seien (z.B. steuerpolitische Maßnahmen, sektorspezifische Maßnahmen, Stützung der Banken und der Unternehmen in der Wirtschafts- und Finanzkrise, Unternehmensbindung an Standorte) und dazu beigetragen hätten, das Deutschland so gut durch die Krise gekommen sei; solche Eingriffe seien nicht pauschal zu verurteilen. Zwar werde das Wettbewerbsrecht in Deutschland in manchen Feldern zurückgedrängt, die politische Grundausrichtung sei jedoch immer noch klar wettbewerbspolitisch. Das GWB als Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft sei nach wie vor das ordnungspolitische Leitbild, institutionell stark verankert durch das Bundeskartellamt und die Monopolkommission und auch prägend für die deutsche Wirtschaft.

Diese sei deshalb so wettbewerbsfähig, so Mundt, weil das Umfeld in Deutschland besonders wettbewerbsintensiv sei und darauf geachtet werde, nicht künstlich nationale Champions zu züchten. Die Unternehmen sollten aus eigener Kraft expandieren. Der Rechtfertigungsdruck für die Politik sei in Deutschland besonders groß, wenn sie in das freie Spiel der Kräfte eindringe. Die Übernahme der Ruhrgas AG durch E.ON bezeichnete Mundt als „Sündenfall". Auch die im Rahmen der GWB-Novelle geplante Erleichterung von Sanierungsfusionen bereite Anlass zur Sorge, dass diese eine Breitenwirkung entfalten könnte.

Auch der Verbraucherschutz habe die Aufgabe, eine unverfälschte Marktleistung zu gewährleisten. Wettbewerbspolitik, Verbraucherschutz und Industriepolitik stellten einen Dreiklang dar, bei der das Kartellrecht mit seiner Funktion des Schutzes des Wettbewerbs mehr auf das Funktionieren der Angebotsseite und der Verbraucherschutz eher auf die Nachfrageseite ausgerichtet seien. Zwischen den verschiedenen Ansätzen gebe es teilweise eine gewisse Zielharmonie, auch wenn der Fokus im Einzelnen oft unterschiedlich sei. So spielten beim Verbraucherschutz Informations- und Machtasymmetrien eine Rolle (z.B. bei Handytarifen), während es im Kartellrecht oft um die Frage der Marktransparenz gehe. Eine Zielkongruenz liege beispielsweise in dem Anliegen der Förderung von Innovation.

Mundt unterschied: Zwischen Wettbewerbsschutz und Verbraucherschutz gebe es zum einen die Ebene einer „Harmoniebeziehung", in der ein Gleichklang zwischen Wettbewerbsschutz und Verbraucherschutz vorliege. So schlägt sich der Wettbewerbsschutz im Falle der Kartellaufdeckung durch das Bundeskartellamt oder bei der wettbewerblichen Gestaltung von Business Cases unmittelbar als Verbraucherschutz nieder. Auch die Öffnung der dualen Systeme habe sich als nachrechenbarer Erfolg zugunsten der Verbraucher gezeigt.

Weiter zeige sich in den Verfahren infolge eines Preishöhenmissbrauchs (in den Bereichen Energie, Heizstromversorger, Wasserbereich), dass Preismissbrauchsverfahren unmittelbaren Verbraucherschutz darstellten.

Schwieriger sei das Verhältnis zwischen Wettbewerbsschutz und Verbraucherschutz allerdings bei der Beseitigung von Informationsasymmetrien: So sei die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe keine Idee des Bundeskartellamts gewesen. Mehr Daten (Informationen für Autofahrer) stellten zwar eine Voraussetzung für mehr Wettbewerb im Markt (im Verhältnis zu den Verbrauchern) dar. Dem Amt gehe es jedoch vor allem um die künftige Ausgestaltung des Marktes, etwa im Zusammenhang mit den Verfahren infolge des Verbots der Preis-Kosten-Schere; die aktuelle Bebußung stehe für das Amt nicht im Vordergrund.

Neben der „Harmoniebeziehung" gebe es die Ebene der „ungewollten Konflikte", die oft dann zum Vorschein träte, wenn gleiche Ziele mit konfligierenden Mitteln verfolgt würden. Mundt hielt zum Beispiel die avisierte Erweiterung der Klagebefugnisse der Marktgegenseite auf Verbraucherschutzverbände für sinnvoll, bewertete eine mögliche Klagebefugnis zum Zwecke der Vorteilsabschöpfung jedoch als schwierig. Er hielt den Petenten dieser Möglichkeit vor, dass Verbandsinteressen nicht stets identisch mit den Interessen der Verbandsmitglieder seien und dass aus einer Klagemöglichkeit nicht automatisch eine Legitimation zur Finanzierung der Verbandskassen folgen könne. Auch beinhalteten weite Verbandsklagebefugnisse Störpotential für Kronzeugenregelungen. Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kronzeuge gleichzeitig die „Blaupause" für Schadenersatzklagen liefere. Eine Beeinträchtigung der Kronzeugenprogramme sei nur dann hinnehmbar, wenn es sich um Schadenersatzklagen seitens der konkret Betroffenen handele. „Kritisch" sei solch eine Beeinträchtigung allerdings bei einer Abschöpfung durch einen Verband, die anderen Zwecken diene.

Ein prominentes Beispiel für diese Ebene sei der vermeintliche Gegensatz zwischen Kartellverfolgung und Fusionskontrolle auf der einen Seite und dem Gesundheitssektor auf der anderen Seite. Im Rahmen der 8. GWB-Novelle würden der Wettbewerbsschutz und der Verbraucherschutz bewusst gegeneinander in Stellung gebracht, was nach Ansicht von Mundt keiner Seite gerecht würde. Auch im Gesundheitssektor gebe es Bereiche, zum Beispiel bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die derzeit sehr statisch und wenig innovationsgetragen sei. Hier könne mehr Wettbewerb positive Wirkung entfalten und zur Triebfeder von Veränderung werden.

Ein weiteres Beispiel sei das Thema der Rekommunalisierung. Hier werde vermeintlicher Verbraucherschutz vorgeschoben, um Wettbewerb zu verhindern. Die Interessen der Kommunen seien mit den Interessen der Bürger oft bei weitem nicht deckungsgleich; dies führe zu Effizienzverlusten, die die fehlende Profitmaximierung noch bei weitem überstiegen. Das Missbrauchspotential bei Kommunen sei besonders hoch, wenn Stadtwerke das eigene Netz betrieben oder betreiben wollten; dies zeigten zahlreiche Verfahren im Zusammenhang mit der Konzessionsvergabe. Es sei nicht klar, was die Kommunen angesichts der Durchregulierung der Netze zugunsten des Verbraucherschutzes oder anderer Standards wirklich erreichen wollten. Weitere Bereiche, in denen der Markt gegenüber Privaten derzeit abgeschottet würde, zeigten sich im Entsorgungsbereich anhand des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Auch im Wasserbereich gebe es erhebliches Preissenkungspotential zugunsten der Kunden. Insbesondere sei aus Art. 28 Abs. 2 GG nicht herleitbar, dass Kommunen von ihren Bürgern missbräuchlich überhöhte Preise verlangen dürften. Es könne auch nichts anderes gelten, wenn Preise als Gebühren erhoben würden. In Wahrheit finde bei missbräuchlich überhöhten Preisen kein Verbraucherschutz statt, der hier nur als Deckmantel fungiere.

Als Fazit hielt Mundt fest, dass der „Platzhirsch" immer die Wettbewerbspolitik im Sinne des ordnungspolitischen Leitbildes sein müsse. Es ginge nicht, dass die „anderen Hirsche" (Industriepolitik und Verbraucherschutz) „dem Platzhirschen sein Revier streitig machen" dürften. Deutschland sei indes auf dem richtigen Weg, allerdings würden die „Angriffe" heftiger. Mundt plädierte an das Auditorium, alles dafür zu tun, dass der „Platzhirsch" in Deutschland derselbe bleibe. Als Bonmot zur aktuellen Debatte über die Richtung der deutschen Energiepolitik fügte er am Schluss hinzu: „Die Energiewende ist keine Industriepolitik." Sie sei einfach nur schlecht gemacht.