21.11.2013

42. Brüsseler Informationstagung des FIW fand am 7. und 8. November 2013 statt

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FIW
Brüsseler Informationstagung 2013

Die 42. Brüsseler Informationstagung fand vom 7. bis 8. November 2013 im Hotel Le Méridien in Brüssel statt.

Dr.-Ing. Gernot Schaefer, Vorsitzender des FIW-Vorstandes, begrüßte die Referenten, Moderatoren und Teilnehmer. Folgende moderierte Vorträge wurden gehalten:

Gunnar Kallfaß, Referatsleiter, Bundeskartellamt, nahm in seinem Vortrag Internetvertrieb und vertikale Wettbewerbsbeschränkung zunächst eine ökonomische Einordnung vertikaler Beschränkungen im Internet vor. Bei der wettbewerblichen Prüfung müsse neben markeninternem („intra brand") auch stets der markenübergreifende („inter brand") Wettbewerb erfasst werden. Insbesondere bei Marktmacht bestünden oftmals wettbewerbliche Bedenken. Als mögliche Schadensszenarien wurden Marktzutritts- und Expansionshürden genannt, beispielsweise Exklusivitätsvereinbarungen und Preisparität. Die Internetökonomie habe für vertikale Vereinbarungen einschneidende wettbewerbliche Implikationen hinterlassen, wie zum Beispiel eine Reduzierung von Suchkosten, eine Vergrößerung der Händlerreichweite und die Senkung von Distributionskosten. In der Summe führten diese Veränderungen eher zu einer Intensivierung des Wettbewerbs.

Die Vertikal-GVO, konkretisiert durch Vertikalleitlinien, finde auch Anwendung im Internetvertrieb. Das Bundeskartellamt führe einige Verfahren zur vertikalen Preisbindung durch. Eine Rolle spielten dabei sogenannte Doppelpreissysteme (Rabatte für den stationären Handel), daneben verschiedene Behinderungen des Internetabsatzes, wie z. B. das Verbot der Suchmaschinenoptimierung und der Unterstützung von Preisvergleichsseiten, sowie das Verbot von Drittplattformen oder Marktplätzen. Insbesondere Plattformverbote hätten eine erhebliche negative Bedeutung, da sie die Vorteile des Internet einschränkten. Zwar seien qualitative Gründe für Einschränkungen des Internet aus Imagegründen denkbar; in den meisten Fällen seien aber Wettbewerbsbeschränkungen anzunehmen. Rechtspolitisch müsse man sich fragen, ob die Regelungsmechanik der Vertikal-GVO angesichts differenzierter Produkte und oligopolistischer Märkte, insbesondere im Hinblick die Aufgreifschwelle, noch einen angemessenen Rahmen darstelle.

Anna Vernet, Policy Analyst, GD Wettbewerb, EU-Kommission, berichtete in ihrem Vortrag  Reform of the TTBER über die Ergebnisse der letzten Konsultation über die Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung (TT-GVO) und der diese begleitenden Leitlinien. Die neue TT-GVO werde im Frühjahr 2014 angenommen werden; sie werde weitere 12 Jahre bis 2026 gelten. Die Kommission habe bei der letzten Konsultation, die im Mai 2013 endete, 58 Antworten erhalten. Sämtliche Konsultationsteilnehmer hätten sich für eine Beibehaltung der TT-GVO ausgesprochen.  Kritik hätten allerdings Änderungen in Art. 3 (2) und Art. 5 des Entwurfs hervorgerufen (Erweiterung der Anwendung der strengeren Marktanteilsschwelle [20 %] auf bestimmte Nicht-Wettbewerber und Änderungen bei den nicht freigestellten Beschränkungen). Die Kommission beabsichtige, die TT-GVO subsidiär auszugestalten; sie solle nur Anwendung finden, wenn der Anwendungsbereich der F&E- oder der Spezialisierungs-Gruppenfreistellungsverordnung nicht eröffnet ist.

Fragen hätte vor allem die vorgeschlagene Definition der Technologietransfer-Vereinbarung aufgeworfen. Künftig sollten alle Bestimmungen, die sich auf den Erwerb von Produkten durch den Lizenznehmer oder aber auf die Lizenzierung oder die Übertragung von Rechten des Geistigen Eigentums oder von know-how auf den Lizenznehmer beziehen, von der Freistellung umfasst sein, sofern diese Bestimmungen „unmittelbar und ausschließlich" mit der Produktion der Vertragsprodukte verbunden seien. Die neue Definition sei nicht hinreichend klar ausgestaltet. Die Gründe für die teilweise Verschärfung der Marktanteilsschwellen seien von den Konsultationsteilnehmern als theoretisch und nur im Falle von Exklusivlizenzen als problematisch angesehen worden. Dass die Beschränkung des passiven Verkaufs in ein Exklusivgebiet oder an eine Exklusivkundengruppe, das bzw. die einem anderen Lizenznehmer vorbehalten ist, nicht mehr unter die GVO fallen soll, sei zur Hälfte auf Zustimmung, zur Hälfte auf Ablehnung gestoßen. Dass exklusive Rücklizenz-Verpflichtungen und Kündigungsklauseln künftig nicht mehr in den Anwendungsbereich der TT-GVO fallen sollen, sei ebenfalls kritisiert worden. Diese Änderungen würden dem Lizenzgeber Anreize nehmen, seine Technologie zu lizenzieren - so die Befürchtungen. Dagegen seien die vorgeschlagenen Änderungen in den Leitlinien, soweit sie sich auf Streitbeilegungsvereinbarungen und Technologiepools bezögen, durchweg positiv gesehen worden. Das Kapitel zu Patentpools sei bisher am meisten überarbeitet worden. Es könne allerdings sein, dass die Kommission nach der sog. Lundbeck-Entscheidung auch im Kapitel über Streitbeilegungsvereinbarungen für weitere Klarstellungen sorgen müsse.

Der Vortrag von Professor Dr. Torsten Körber, Georg-August-Universität, Göttingen - Der SIEC-Test im GWB - ein neuer Test für deutsche Kartellbehörden und Gerichte? kreiste zunächst um die Frage, ob die Einführung des SIEC-Tests in die nationale Fusionskontrolle nur eine „Teilangleichung" oder eine „Vollharmonisierung" bewirkt habe. Im Ergebnis sei - so Körber - von einer autonomen Maßnahme des deutschen Gesetzgebers und damit von einer Teilharmonisierung auszugehen. Zwar sei der Wortlaut des europäischen und des deutschen SIEC-Tests weitgehend gleich, es handele sich jedoch nicht um eine vollständige Anpassung an den europäischen Test. So würden bei systematischer Betrachtung die deutschen Marktbeherrschungsvermutungen, die Definition der Marktbeherrschung und das Instrument der Ministererlaubnis beibehalten. Allerdings würde auch ohne Bindungswirkung dem europäischen Test eine erhebliche Autorität de facto zukommen. Es sei daher sinnvoll, sich an der EU-Praxis zu orientieren. Ob deutsche Gerichte, wenn schon keine Vorlagepflicht, so doch eine Möglichkeit zur Vorlage zum EuGH hätten, sei eher zu verneinen, da die Voraussetzungen für eine Vorlage nach Art. 267 AEUV nicht erfüllt seien. Außerdem bestünde die Gefahr der Kompetenzerweiterung des EuGH bei einer Vorlage. Körber ging davon aus, dass der Marktbeherrschungstest kurz oder mittelfristig in der deutschen Praxis noch das beherrschende Merkmal bilden würde, längerfristig würde dessen Bedeutung jedoch zugunsten des SIEC-Tests zurücktreten.

Weiterhin offene Fragen seien, inwieweit das „Erheblichkeitskriterium" auch im deutschen Recht gelte und dadurch ein Spürbarkeitstest eingeführt worden sei. Anders als das Bundeskartellamt vertrat Körber hierzu die Ansicht, dass auch bei der Frage, ob eine marktbeherrschende Stellung verstärkt werde, die Erheblichkeit zu prüfen sei. Hierfür sei jedoch ein qualitativer (und nicht quantitativer) Maßstab entscheidend. Eine Effizienzverteidigung sei durch die Übernahme des SIEC-Tests in das GWB jedoch nicht übernommen worden. Es finde sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass mit dem SIEC-Test der Konsumentenwohlfahrtsansatz in das deutsche Recht übernommen worden sei. Der behördliche Beurteilungsspielraum sei durch diese Übernahme ebenfalls nicht erweitert worden. Anders als in der EU gebe es in Deutschland keine gerichtsfreien Beurteilungsspielräume der Behörden. Die deutschen Gerichte müssten in der Lage sein, etwaigen Komplikationen durch die Einführung des SIEC-Tests und durch die Ökonomisierung adäquat zu begegnen, ohne die Gefahr von „Gutachterschlachten", längerer Verfahrensdauer und größerer Rechtsunsicherheit zu verwirklichen.

Daniel Mes, Policy Officer, GD Wettbewerb, EU-Kommission, erklärte in seinem Vortrag Fusionskontrolle auf Technologiemärkten zunächst, warum es auf neu entstehenden Technologiemärkten überhaupt Wettbewerbsbedenken geben könne. In der Regel handele es sich um enge, aber dynamische Märkte, die stark konzentriert seien. Aus wettbewerblicher Sicht sei zu fragen, ob die in Rede stehenden Produkte schon „der Standard“ seien, und es Markteintrittspläne anderer Wettbewerber gebe. Auch die in der Praxis weit verbreitete technische Kopplung von Produkten, z. B. von Betriebssystemen und Kommunikationssoftware, könnten dann wettbewerbliche Bedenken auslösen, wenn die Marktstellung eines Produkts, z. B. von Betriebssystemen, sehr stark sei und die technische Bindung den Markt für die Anbieter von den gekoppelten Produkten (z. B. Kommunikationssoftware) als Einzelprodukt abschotten könnte, sofern von dieser Strategie genug Kunden betroffen wären. Weniger Wettbewerbsbedenken habe die Kommission hingegen auf neuen Märkten, auf denen verschiedene Wettbewerber Markteintrittspläne hätten und der Zusammenschluss zu einem neuen Produkt führe.

 

Effizienzgewinne als unmittelbare Folge des Zusammenschlusses würden von der EU-Kommission aktiv geprüft. In konglomeraten Fällen kämen auch Verhaltenszusagen statt Veräußerungszusagen in Betracht, wenn Verhaltenszusagen die Effizienzgewinne des Zusammenschlusses sicherten. In Hoizontalfällen läge der Fokus auf Veräußerungszusagen. Da es sich bei Technologiemärkten häufig um weltweite Märkte handele, sei zudem wichtig, bei der internationalen Zusammenarbeit ein hohes Maß an Konvergenz zu erzielen.

Dr. Bettina Bergmann, Rechtsanwältin in Köln,  bezog sich in ihrem Vortrag  Praktische Probleme im Zusammenhang mit Zusagenentscheidungen insbesondere auf die Zusagenentscheidungen im EU-Wettbewerbsrecht nach Art. 9 Abs. 1 der VO 1/2003 und stellte die Vor- und Nachteile dieser Entscheidungen für sämtliche Beteiligten dar. Abzugrenzen seien diese von Bedingungen und Auflagen in der Fusionskontrolle. Parallelen gebe es zu Zusagen im deutschen Recht (§ 32 b GWB). Aus Sicht der EU-Kommission seien Verpflichtungszusagen nach der VO 1/2003 ein effektives und häufig genutztes Instrument, um europäisches Wettbewerbsrecht durchzusetzen. Das Instrument biete schnelle, verbindliche und lösungsorientierte Lösungen, die langwierige Gerichtsverfahren vermieden. Allerdings könnten Verhandlungen mit den Betroffenen oder Beschwerdeführern manchmal zeitintensiv sein. Für die Unternehmen sei es positiv, dass sie mittels Zusagen Bußgelder vermeiden und ihren Reputationsschaden einschränken könnten. Durch den schnellen Verfahrensabschluss sparten Unternehmen eine Menge an Kosten. Allerdings bedeute eine Verfahrensbeendigung per Zusagenentscheidung keinen „Freispruch" für das Unternehmen; die Zusagen müssten auch „eingehalten" werden. Nachteilig für Beschwerdeführer sei, dass Zusagenentscheidungen das Rehabilitationsinteresse meist nicht berücksichtigten und es keine verbindliche Feststellung eines Verstoßes gebe, wodurch Schadensersatzklagen erschwert würden. Bei Nichteinhaltung von Zusagen sei eine Wiederaufnahme des Falles möglich, und es könnten Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % des Gesamtumsatzes verhängt werden.

Filip Kubik, Policy Analyst, GD Wettbewerb, EU-Kommission, stellte den Richtlinienvorschlag der Kommission für Schadensersatzklagen im Wettbewerbsrecht vor, der am 11. Juni 2013 veröffentlicht wurde. Dabei gab er zunächst einen zeitlichen Überblick über die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu kartellrechtlichen Schadensersatzklagen sowie über die verschiedenen Vorüberlegungen der Europäischen Kommission, die zu dem Richtlinienentwurf geführt hätten. Anschließend stellte er die Ziele und Mittel der Richtlinie vor. Wesentliches Ziel sei neben der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen auch der Schutz einer wirksamen behördlichen Verfolgung von Wettbewerbsverstößen. Zu diesem Zweck habe die Kommission insbesondere eine Privilegierung von Kronzeugen im Rahmen der Vorschriften zur Offenlegung von Beweismitteln und zur gesamtschuldnerischen Haftung vorgesehen. Kubik ging auf die einzelnen Vorschriften des Richtlinienentwurfes ein und erläuterte die Überlegungen der Kommission. Die am meisten diskutierte Vorschrift sei die Regelung zur Offenlegung von Beweismitteln nach Artikel 5. Nach Ansicht der Kommission böte die Vorschrift ausreichend Schutz vor einer missbräuchlichen Ausnutzung und sei nicht mit den „fishing expeditions" im amerikanischen Rechtssystem vergleichbar.

Als letzter Redner der Veranstaltung sprach Dr. Hanns-Peter Nehl, Rechtsreferent am Gericht Erster Instanz, Gerichtshof der Europäischen Union, Luxemburg, zur Kontrolle kartellrechtlicher Sanktionsentscheidungen der Kommission durch die Unionsgerichte. Er gab einen Überblick über die EU-Gerichtsbarkeit und die anwendbaren Rechtsgrundlagen im Wettbewerbsrecht sowie über ergangene Leitentscheidungen. Der Schwerpunkt seines Vortrags lag auf der Durchführung der effektiven Rechtskontrolle der Entscheidungen der Kommission durch die Unionsgerichte nach den Urteilen in den Sachen „Chalkor" und „KME" vom 8. Dezember 2011 sowie der Abgrenzung der Legalitätskontrolle und der Angemessenheits- und Ermessenskontrolle. Abschließend gab Nehl einen Überblick über die Rechtsprechung des EuGH zur Konzernhaftung und dem weiten Unternehmensbegriff der „wirtschaftlichen Einheit" im europäischen Recht.

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