11.07.2013

41. FIW-Seminar fand am 3. und 4. Juli 2013 in Köln statt

FIW
FIW-Seminar

Am 3. und 4. Juli 2013 fand zum 41. Mal das FIW-Seminar „Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts" in Köln statt. Die Veranstaltung wurde von Dr. Gernot Schaefer, Vorsitzender des FIW-Vorstandes, eröffnet. Die Referate wurden von den FIW-Vorstandsmitgliedern, Dr. Horst Satzky und Dr. Peter Spitze, zusammen mit dem FIW-Kuratoriumsmitglied, Johann Brück, moderiert.

Dr. Peter Klocker, Vizepräsident, Bundeskartellamt, gab im traditionellen Eröffnungsvortrag des BKartA einen Überblick über die aktuelle Entscheidungspraxis des Amtes 2012/2013. Er setzte sich mit der kurz zuvor am 30. Juni 2013 verabschiedeten 8. GWB-Novelle auseinander und beleuchtete vertieft die Themen Aufsicht über öffentliche Gebühren, Anwendung der Fusionskontrolle auf Krankenkassen und Pressefusionen. Im zweiten Teil seines Vortrags widmete er sich der Praxis des Amtes bei der Bekämpfung von Kartellen. Bei der Bebußung des „Mühlenkartells" habe das Bundeskartellamt eng mit den Wettbewerbsbehörden der Nachbarländer kooperiert und dabei auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Mühlenunternehmen berücksichtigt, da die französische und die niederländische Wettbewerbsbehörde bereits hohe Bußgelder gegen deutsche Mühlen wegen der Beteiligung an weiteren Absprachen verhängt hätten. Insgesamt sei die Höhe der Gesamtbußgelder im letzten Jahr gestiegen, was teilweise auf den Abschluss von Verfahren, die hohe Bußgelder zur Folge hatten, zurückzuführen sei (z. B. „Schienenkartell"). Unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH in Sachen „Grauzementkartell" wies Klocker auf die neuen Leitlinien des Amtes zur Bußgeldbemessung von Ende Juni hin, die aufgrund des Urteils erlassen worden seien. Schließlich seien einige Internetmärkte (Amazon, HRS, booking.com etc.) Gegenstand näherer Untersuchung gewesen, bei denen sich zahlreiche neue Rechtsfragen stellten. 

Dr. Juliane Scholl, Monopolkommission, hielt in ihrem Vortrag „Die 8. GWB-Novelle aus Sicht der Monopolkommission - Aktuelle Entwicklungen" kritisch Rückschau auf die aktuell verabschiedete 8. GWB-Novelle. Die Anpassung an die europäische Fusionskontrolle sei „vorsichtig", im Übrigen jedoch „gut gelungen". Die Erhöhung des Schwellenwerts für die Einzelmarktbeherrschung sei „vertretbar" gewesen. Die Ausweitung der Voraussetzungen der Sanierungsfusion bei den Pressefusionen sehe die Monopolkommission kritisch. Auch nütze die Anschlussklausel eher den Großverlagen. Scholl äußerte die Ansicht, dass das Pressegrosso dem Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts keinesfalls entzogen sei. Im Bereich der Krankenkassen sei die Anwendung der Fusionskontrolle ein erster Schritt; als weitere Schritte zu mehr Wettbewerb müsse die Missbrauchsaufsicht auf den Versicherungsbereich erstreckt werden. Die Entfristung der Preiskostenschere sehe die Monopolkommission im Hinblick auf deren Wirkungen als ambivalent an, während sie die Verlängerung des Untereinstandspreisverbots im Lebensmittelbereich negativ beurteile. Auch führe die energiespezifische Missbrauchskontrolle (§ 29 GWB) zu Fehlwirkungen in den sich noch entwickelnden Märkten und sollte abgeschafft werden.

In seinem Vortrag „Insolvenz und Sanierung: Herausforderungen für Kartellrecht und Wettbewerbspolitik" referierte Dr. Andreas Möhlenkamp, AndresSchneider Rechtsanwälte & Insolvenzverwalter, Mitglied des FIW-Vorstandes, über die Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen und die damit verbundenen Marktergebnisse einschließlich ihrer Wirkung für das Kartellrecht. Insgesamt sei die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland in den letzten 10 Jahren - mit Ausnahme der Jahre der Finanz- und Wirtschaftskrise - leicht rückläufig. Für das Ausscheiden eines Unternehmens aus dem Markt spielten verschiedene Ursachen eine Rolle, wie Fehlentscheidungen, Innovationen von Wettbewerbern, neue politische Rahmenbedingungen oder ein verändertes Nachfrageverhalten der Verbraucher. Schnittstellen zum Kartellrecht zeigten sich zum einen im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren. Das Bußgeld könne bei Zahlungsunfähigkeit reduziert oder gestundet werden. Ferner sei die Möglichkeit der Unternehmen zu bedenken, bei drohendem Bußgeld in die Insolvenz fliehen zu können; dieser Möglichkeit habe die GWB-Novelle einen Riegel vorgeschoben. Zum anderen sei bei gerichtlich anhängigen Schadensersatzansprüchen zu beachten, dass das Gerichtsverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen werde. Ein weiteres Schnittstellenthema zum Kartellrecht sei der Informationsaustausch unter Gläubigern in den Gläubigerausschüssen insolventer Unternehmen. Möhlenkamp erläuterte schließlich die näheren Voraussetzungen der Sanierungsfusion im europäischen Recht und verwies auf Querverbindungen zum Vergaberecht, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens als Eignungskriterium zur Eingrenzung geeigneter Bieter; auch könne die Insolvenz eines Unternehmens ein Ausschlussgrund im Bieterverfahren sein. Auch das Beihilfenrecht befasse sich mit Unternehmen in der Krise, etwa in den Leitlinien der Kommission für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen. Zusammengefasst sei das Verhältnis zwischen Insolvenz und Sanierung auf der einen Seite und dem Wettbewerb auf der anderen Seite sei facettenreich und von einiger Ambivalenz gezeichnet.

Am zweiten Veranstaltungstag trug Vincent Smith, Sheppard & Smith, London, zum Thema „German businesses and competition litigation in the English courts" vor. Er skizzierte zunächst die Entwicklung der Harmonisierungsbemühungen der Kommission in den letzten Jahren im Bereich kartellrechtlicher Schadensersatzklagen, die im Juni 2013 in dem Maßnahmenpaket zum kollektiven Rechtsschutz sowie zu Schadensersatzklagen im Wettbewerbsrecht gipfelten. Die englischen Gerichte hätten sich -  so Smith - zu einem Hauptforum internationaler Gerichtsbarkeit herausgebildet. 90 Prozent aller Wirtschaftsrechtsstreitigkeiten an englischen Gerichten würden bereits eine ausländische Partei involvieren. Kartellrechtsstreitigkeiten seien oft internationaler Natur, weil und wenn sie grenzüberschreitenden Charakter hätten; Kartelle würden oft multinational gebildet. So käme es, dass nach der Verordnung 44/2001 auch zunehmend deutsche Kartellbeteiligte an englischen Gerichten beklagt würden; hierfür nannte Smith beispielhaft einige Rechtsstreitigkeiten. Smith erläuterte einige Faktoren, die für die Inanspruchnahme der englischen Gerichtsbarkeit sprechen könnten, wie zum Beispiel erleichterte und automatische Beweisregeln zur Schadensdarlegung („English disclosure rules") oder die Minimierung von Kostenrisiken (bei Teilnahme an einer Gruppenklage). Ausländischen Beklagten könnten auch Kosten der englischen Gerichtsbarkeit auferlegt werden. Beweismaterial sollte (aus Kostengründen) in englischer Sprache zur Verfügung stehen. Die geplanten Offenlegungsregeln der Kommission seien im Vergleich zu den bestehenden englischen Regelungen verhältnismäßig moderat. Die in England geplante Einführung von Sammelklagen werde für nächstes Jahr erwartet. Auf diesem Weg sollen Opt-Out-Sammelklagen für das Kartellrecht eingeführt werden für Kläger mit Wohn-/Geschäftssitz im Vereinigten Königreich. Kläger außerhalb des Vereinigten Königreichs könnten an der Klage im Wege des „Opt-In" teilnehmen. Die britische Regierung sehe darüber hinaus einige Sicherheitsventile gegen missbräuchliche Klagen vor. Ob sich London als präferierter Gerichtsstand im Kartellschadensrecht herausbilden würde, werde die Zeit zeigen.

Im Anschluss sprach Dr. Katharina Krauß, Bundeskartellamt, über die „Aktuelle Rechtsprechung zu den Ermittlungsbefugnissen der Kartellbehörden". Für sämtliche Ermittlungen des Amtes müsse ein Anfangsverdacht vorliegen. Die Notwendigkeit von Ermittlungen müsse durch ein schlüssiges Ermittlungskonzept belegt werden. Die Ermittlungen erfolgten durch Auskunftsbeschlüsse, Einsichtsmaßnahmen und Prüfungen, sowie durch Durchsuchungen und Beschlagnahmen (d. h. Ermittlungsmaßnahmen vor Ort). Bei den unterschiedlichen Maßnahmen sei stets das Verhältnismäßigkeitsgebot zu beachten. Im Rahmen von Verwaltungsverfahren werde das Mittel der Durchsuchung/Beschlagnahme im Gegensatz zu den Bußgeldverfahren kaum genutzt. Neu sei, dass das Amtsgericht am Sitz der Kartellbehörde die Durchsuchungsanordnung ausstelle, was für die Arbeit des Bundeskartellamts eine Erleichterung bedeute. Bei den Bußgeldverfahren habe das Amt die gleichen Möglichkeiten wie die Staatsanwaltschaft bei Strafverfahren. Im Folgenden ging Krauß auf den Sonderfall der Durchsuchung einer Anwaltssozietät ein; so habe der verdächtige Anwalt bei der IT-Feinsichtung kein Anwesenheitsrecht. Bei einer Durchsuchung beim verteidigenden Rechtsanwalt gelte jedoch generell ein absolutes Beweiserhebungsverbot. Bei der Durchsuchung einer Rechtsabteilung könne sich der Syndikusanwalt nicht auf das Anwaltsprivileg berufen, soweit er für das Unternehmen tätig werde, bei dem er angestellt sei. Wollten Wettbewerbsbehörden des europäischen Netzwerks der Wettbewerbsbehörden (ECN) Durchsuchungen vornehmen, dürfe das BKartA den ausländischen Bediensteten die „Begleitung" gestatten. Bei der IT-Sichtung gelte grundsätzlich kein Anwesenheitsrecht des Verteidigers oder des Betroffenen. Krauß beschloss ihren Vortrag mit einer Schilderung der Voraussetzungen, unter den Beweismittel sichergestellt werden können.

Im nächsten Block wurde „Die BGH-Entscheidung 'Grauzementkartell' und ihre Folgen für die Bußgeldberechnung" von Dr. Justus Herrlinger, White & Case, näher beleuchtet. Er stellte zunächst die Bußgeldberechung anhand der Leitlinien des Bundeskartellamts vor der Entscheidung der BGH-Entscheidung dar. Nach Auffassung des Amtes habe es sich bei der 10-Prozent-Grenze des § 81 Abs. 4 GWB um eine „Kappungsgrenze" gehandelt. Der BGH habe nun klargestellt, dass es sich bei dieser Regelung nach verfassungsgemäßer Lesart um eine Obergrenze handele. Während das Maximalbußgeld bisher für diversifizierte, internationale Großunternehmen bisher kaum relevant war, dürfte es in Zukunft auf der Grundlage der Neuauslegung durch den BGH zu höheren Bußgeldern kommen; die Obergrenze dürfte den bisher zugrunde gelegten tatbezogenen Umsatz von 30 Prozent künftig öfter übersteigen. Der BGH habe erkennen lassen, dass Umsätze generell ein geeigneter Maßstab seien, Rückschlüsse auf die Stellung des Unternehmens am Markt zu ziehen. Der BGH habe zudem geäußert, dass kartellbehördliche Leitlinien den erforderlichen gesetzlichen Maßstab nicht ersetzen könnten. Herrlinger unterzog die BGH-Entscheidung anschließend einer kritischen Würdigung und zeigte die Grenzen für eine verfassungskonforme Auslegung auf.  Eine mit Mängeln behaftete Gesetzesvorschrift sei - so Herrlinger - nicht um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Es sei im Übrigen nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber eine besonders starke Ahndung von Großunternehmen beabsichtigt habe. Nach einem Exkurs zu den neuen Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamts konstatierte der Vortragende, dass die Bußgelder für mittlere und große Unternehmen künftig ansteigen dürften und fragte, ob dies im Sinne der verfassungskonformen Auslegung seitens des BGH gewesen sei.

Matthias Pflanz, Charles River Associates, skizzierte in seinem Referat die „Räumliche Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle". Die Marktabgrenzung, räumlich und sachlich, diene als Grundlage für eine Marktmachtuntersuchung. Dazu könne man das SSNIP-Kriterium oder das Bedarfsmarktkonzept verwenden. Sofern die Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle Anwendung findet, diene diese in erster Linie der Strukturanalyse zur Berechnung von Marktanteilen. Dabei werfe die räumliche Marktabgrenzung einige praktische und konzeptionelle Schwierigkeiten auf. Die Aussagekraft von Marktanteilen in räumlich stark differenzierten Märkten sei oft gering, weshalb der räumlichen Marktabgrenzung in solchen Fällen kein übermäßiger Stellenwert zugemessen werden sollte. Generell könne die Analyse nach Anbieter- oder Abnehmerstandort erfolgen. Als Beispiele für eine Anbieterstandortanalyse wurden die Umstände beim Lebensmitteleinzelhandel und der Fall eines Sondermüllentsorgers näher dargelegt. Im letzten Fall spielten die hohen Transportkosten eine entscheidende Rolle. Es herrsche eine starke räumliche Differenzierung vor, was erschwere, „den" räumlich relevanten Markt zu definieren. Für die deutsche Fusionskontrolle erläuterte Pflanz näher das Bedarfsmarktkonzept zur räumlichen Marktabgrenzung, das sich als problematisch erweise. Im Fall „Kreiskrankenhaus Bad Neustadt" habe die räumliche Differenzierung eine wichtige Rolle gespielt, das Bedarfsmarktkonzept jedoch keine zuverlässigen Antworten geboten. In dem Zusammenhang sei es in erster Linie auf die Frage angekommen, wohin die Patienten bei einer Verschlechterung des Angebots ausweichen würden.

Dr. Fabian Theurer, Bundeskartellamt, trug zum Thema „Unternehmensverflechtungen in Form von Gemeinschaftsunternehmen - am Beispiel Walzasphalt" vor. Zunächst berichtete er über die Sektoruntersuchung im Fall „Walzasphalt". Ziel der Untersuchung sei gewesen, typische kartellrechtswidrige Verflechtungen zwischen Anbietern von Walzasphalt zu ermitteln. Diese bestünden regelmäßig in der Form von Gemeinschaftsunternehmen und seien im gesamten Bundesgebiet anzutreffen, wie sich infolge von Untersuchungen in einzelnen Fusionskontrollverfahren ergeben habe. Die Analyse der Marktstruktur habe gezeigt, dass vier Unternehmen über eine hohe Marktdurchdringung verfügten. Für die Untersuchung der verschiedenen Formen von Gemeinschaftsunternehmen habe das Kartellamt eine Typisierung der Verflechtungen und Marktkonstellationen vorgenommen. Theurer unterzog einige Fälle und Typen einer näheren Analyse.  Im weiteren Verlauf werde das Kartellamt eine Beseitigung der kartellrechtlichen Probleme in diesem Bereich avisieren, indem es entscheiden wird, ob und in welchen Konstellationen und Einzelfällen es ein Verfahren einleiten und behördliche Anordnungen treffen wird. Das Kartellamt habe den betroffenen Unternehmen bereits mitgeteilt, welche konkreten Gemeinschaftsunternehmen und weitere Verflechtungen nach vorläufiger Beurteilung kartellrechtlich problematisch seien (Stufe 1). Die Phase der Prüfung von Entflechtungsangeboten und Angeboten zur Umgestaltung von Gemeinschaftsunternehmen gehe in wenigen Tagen zu Ende (Stufe 2). Danach gehe es um die Umsetzung der konkreten, von der Beschlussabteilung als kartellrechtlich unbedenklich beurteilten Entflechtungspläne (Stufe 3), sofern diese noch ausstehe.

In einer After-Dinner-Speech gab Professor Dr. Andrea Lohse einen Überblick über die Entwicklung der 8. GWB-Novelle. Als Mitglied der sog. Expertengruppe beim BMWi habe sie Gelegenheit gehabt, die Entwicklungen zu begleiten und zu kommentieren. Insofern konnte sie - teils ironisch unterfüttert - beschreiben, welche Wege und Umwege das Gesetzgebungsverfahren nahm, von den Anfängen der Bemühungen bis hin zu dessen Inkrafttreten am 30. Juni 2013. Beim letztjährigen FIW-Seminar sei das Thema am 5. Juli in einer Podiumdiskussion mit dem Abgeordneten und Themenverantwortlichen, Dr. Georg Nüßlein, MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, noch als "Regierungsentwurf" kontrovers diskutiert worden. Insofern schließe sich hier - fast auf den Tag genau - der Kreis.

(Durch Klick auf den jeweiligen Referentennamen öffnet sich das hinterlegte Handout).