17.10.2012

Almunia (KOM) zur Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts in der Daseinsvorsorge

Der EVP-Abgeordneter Langen (CDU) hat am 2. Oktober 2012 per Pressemitteilung bekannt gegeben, dass der Vizepräsident und Wettbewerbskommissar der EU-Kommission Joaquin Almunia auf eine schriftliche Anfrage des CDU-Europaabgeordneten Werner Langen zu der Zulässigkeit des geänderten § 85 Absatz 1 Punkt 3 der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung gestellt. In dieser Neuregelung werden Tätigkeiten innerhalb der Energieversorgung, der Wasserversorgung und des öffentlichen Personennahverkehrs aus den Wettbewerbsregeln ausdrücklich ausgenommen.

Nach der Antwort von Almunia - so Langen - sei diese Neuregelung nicht zulässig. Zwar sei der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sei in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse von Unternehmen neutral und hindere die Mitgliedsstaaten daher nicht daran, nationale Rechtsvorschriften vorzusehen, die die Privatisierung von kommunalen Unternehmen verhindern könnten. Allerdings sei die in der Begründung der Landesregierung genannte gestiegene Konkurrenz für kommunale Unternehmen durch die Öffnung der Versorgungsmärkte kein Grund, die Wettbewerbsregeln außer Kraft zu setzen. Obwohl der Vertrag von Lissabon die Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung erstmals primärrechtlich verankere, so Almunia, könnten die Mitgliedsstaaten bestimmte Bereiche auch weiterhin nicht der Wirkung des EU-Rechts (einschließlich des Wettbewerbsrechts) entziehen. Artikel 106 Absatz 4 der EU-Verträge gestatte nur dann eine Ausnahme von der Anwendung der im Vertrag enthaltenen Wettbewerbsregeln, wenn diese die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse rechtlich oder tatsächlich behindern würde. Ansonsten gelte: Wenn Tätigkeiten wirtschaftlicher Natur sind, können Mitgliedsstaaten diese im Prinzip nicht vom Anwendungsbereich des EU-Rechts herausnehmen.

Zum Beihilfenrecht: Auch das EU-Beihilferecht gelte für von öffentlichen Behörden gewährte staatliche Beihilfen an Unternehmen(d. h. also eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheiten) unabhängig davon, ob sie privat oder öffentlich seien. Sei ein bestimmter Sektor weder nach EU-Recht noch nach einzelstaatlichem Recht liberalisiert, so sei auch nach den Wettbewerbsregeln der EU eine Liberalisierung nicht zwingend. Jede für eine liberalisierte Tätigkeit gewährte Beihilfe müsse allerdings mit den EU-Regeln für staatliche Beihilfen vereinbar sein, um Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern.

Hintergrund zu der Anfrage (vgl. FIW-Bericht vom 19.01.2009):

Rheinland-Pfalz hatte am 7. April 2009 eine Änderung der Gemeindeordnung und des Zweckverbandsgesetzes in Kraft gesetzt. Die Neuregelung hat eine Änderung der Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO bewirkt. Ursprünglich wurde der Gemeinde eine wirtschaftliche Betätigung bereits bei Leistungsparität mit einem Dritten untersagt. Ab der Änderung gilt die Subsidiarität der gemeindlichen Wirtschaftsbetätigung nur dann, wenn sich die Gemeinde außerhalb der Bereiche Energieversorgung, der Wasserversorgung und des öffentlichen Personennahverkehrs (also zentralen Diensten der "Daseinsvorsorge") wirtschaftlich betätigt. Damit wolle man "zurzeit bestehende Wettbewerbsnachteile der kommunalen Versorgungsunternehmen" beseitigen. Weiterhin wird der Gemeinde unter bestimmten Voraussetzungen eine wirtschaftliche Betätigung außerhalb des Gemeindegebiets gestattet, um insbesondere für die kommunalen Energieversorgungsunternehmen die durch das Örtlichkeitsprinzip bestehende Benachteiligung gegenüber der Privatwirtschaft zu beseitigen. § 14 a des Zweckverbandsgesetzes soll dahingehend geändert werden, dass auch Anstalten im Sinne des § 86 a Abs. 1 GemO Träger einer gemeinsamen kommunalen Anstalt sein können. Das Regelungsbedürfnis habe sich laut Gesetzesbegründung daraus ergeben, dass durch die Öffnung der Versorgungsmärkte den kommunalen Unternehmen in ihren ehemaligen Monopolbereichen Konkurrenz durch die Privat­wirtschaft entstanden sei. Um in diesem Wettbewerb mit der Privatwirtschaft bestehen zu können, versuchten kommunale Unternehmen ihre Effizienz zu steigern und erlittene Gewinneinbußen wettzumachen, indem sie anstreben, größere Märkte zu bedienen, die über das eigene Gemeindegebiet hinausgehen. Einer Effizienzsteigerung stünden jedoch die Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 der Gemeindeordnung (GemO) sowie das Örtlichkeitsprinzip entgegen. Es handele sich hierbei um gesetzliche Restriktionen, denen die privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht unterworfen seien. Insofern sei kommunalen Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil entstanden. Dieser Argumentation der Landesregierung hat Almunia nun ganz offensichtlich eine klare Absage erteilt.