11.11.2011

Kurzbericht über die 40. Brüsseler Informationstagung des FIW

FIW
40. Brüsseler Informationstagung

Vom 18. bis 19. Oktober 2011 fand zum 40. Mal die Brüsseler Informationstagung des FIW statt. Zum Auftakt der Jubiläumsveranstaltung sprach Klaus-Heiner Lehne, MdEP, in seiner After-Dinner-Speech über die aktuellen Schwerpunkte des Europäischen Parlaments zum Thema Sammelklagen. Insbesondere ein „opt-out"-System lehne er klar ab, dies müsse die rote Linie in den Überlegungen sein. Allerdings käme man mit einer Komplettablehnung der Vorschläge im EP nicht weit. Insofern sei der horizontale Ansatz der drei Kommissare Dalli, Reding und Almunia konstruktiv und zur Verhinderung u.s.-amerikanischer Auswüchse zu unterstützen. Die Abstimmung im zuständigen EP-Ausschuss werde auf Mitte Dezember verschoben. Der Kommisionsbericht werde eher nicht Ende 2011, sondern wohl erst im ersten Quartal 2012 folgen. Mit den Kompromissverhandlungen sei man noch nicht sehr weit gekommen. Generell sei das Vorhaben in Zeiten von Wirtschafts- und Euro-Krise kontraproduktiv.

Fortgesetzt wurde die Veranstaltung am Morgen des 19. Oktober in den Tagungsräumen des Hotels Le Méridien. Die vierteilige Vortragsreihe dieses Veranstaltungstages wurde nach der Begrüßung durch Rechtsanwalt Johann Brück durch Stefan Lechler, Berater des Anhörungsbeauftragten, Generaldirektion Wettbewerb, mit einem Vortrag zu „Verfahrensrechten und Rechtschutzgarantien im europäischen Kartellverfahren" eröffnet. Insgesamt ordnete Lechler sein Thema in die Gemengelage von Völkerrecht (EGMR), EU-Primär- und -Sekundärrecht sowie die - nach deutschem Verständnis - offensichtliche Nähe der Sanktionen des Kartellverfahrens zum Strafrecht ein. Mitte Oktober 2011 habe die Europäische Kommission ohne Änderung der materiellen Rechtsgrundlagen ein Maßnahmenpaket verabschiedet, in dem das Mandat des Anhörungsbeauftragten in Kartellverfahren gestärkt und erweitert wurde. Er sei nun u. a. ermächtigt, schon während der Untersuchungsphase angerufen und tätig zu werden. Auch seine Rolle im Bereich der Wahrung der Verfahrensrechte sei gestärkt worden. Der Anhörungsbeauftragte sei entgegen eines anderslautenden generellen Eindrucks ein Berater des Wettbewerbskommissars. Zu den Änderungen und neuen Aufgaben vgl. auch EU-Amtsblatt vom 20.10.11 [No. L 275/29].

Danach referierte Dr. Johannes Lübking, Head of Unit, Generaldirektion Wettbewerb, über „Neuere Entwicklungen in der Fusionskontrolle". Zwar sei die „Interventionsrate" der Generaldirektion gestiegen, die Zahl der Verbote habe jedoch per saldo nicht zugenommen. Vielmehr habe die Kommission lediglich eindeutige Fälle verboten (z. B. „Olympic/Aegean" wegen der klaren Typisierung einer Markteintrittsbarriere wegen der Slot-Beherrschung im griechischen Raum durch beide Luftverkehrsgesellschaften). Insgesamt habe sich die stärkere Kooperation der nationalen Wettbewerbsbehörden untereinander und mit der EU-Kommission ebenso spürbar verbessert wie die der EU-Kommission mit den zuständigen Behörden in den USA (FTC/DoJ), vor allem über die Netzwerke ECN und ICN.

Der Nachmittagsteil der Veranstaltung wurde von Professor Dr. Kai-Uwe Kühn, seit Frühsommer 2011 Chefökonom in der Generaldirektion Wettbewerb, mit einer Zwischenbilanz zum „more economic approach" eröffnet. Kühn begann seine Ausführungen mit Erläuterungen über die Relevanz der statistischen Datensituationen bei Untersuchungsfällen. Für die Anwendung des „more economic approach" sei vor allem die Datenlage entscheidend. Die erfolgreiche Anwendung des „more economic approach" liege in der Integration von qualitativen und quantitativen Daten. Ebenso relevant bei der Untersuchung sei die Marktabgrenzung. Dies untermalte Kühn anschaulich mit Hilfe des Kreisdiagramms und verdeutlichte damit, wo starke und schwache Effekte zu erwarten sind. Er führte weiter aus, dass bei der Untersuchung und den Sanktionen keine starren Regeln sinnvoll seien, sondern dass bedingte Regeln, die abhängig von Marktsituationen sind, zielgerichteter wären. Ziel solle es immer sein, dass durch das Wettbewerbsrecht „gutes" Verhalten der Unternehmen erzeugt werde. Diese Regeln müssten auf Verhalten abzielen, dass sich ex post tatsächlich beobachten liesse. Er schloss seine Ausführungen mit den Problemen, die mit dem „more economic approach" einhergehen. Durch gute Vorhersagemöglichkeiten der statistischen Verfahren in einzelnen vergangenen Fällen werde dies nun bei den meisten Verfahren vorausgesetzt. Dies sei aber nicht bei allen Datenlagen möglich und führe zu überzogenen Erwartungen an den „more economic approach".

Der letzte Vortrag der Veranstaltung wurde von Frau Salla Saastamoinen, Head of Unit, Generaldirektion Justiz, zu dem aktuellen Thema „collective redress" gehalten. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Herrn Lehne (s. o.) bewertete sie die Rückmeldungen seitens der befragten Stakeholder dahingehend, dass es aus Sicht der GD Justiz sehr wohl den Bedarf zu einer Regelung gäbe. Es werde aber nicht der u.s.-amerikanische Ansatz verfolgt oder gar der Boden hierfür bereitet („no punitive damages"). Aus Sicht ihrer Generaldirektion sei der „opt-out"-Ansatz in europäischen Rechtsordnungen übrigens kein Fremdkörper. In der Aussprache riet sie dazu, den Bericht der Kommission abzuwarten. Er werde die sorgfältige Herangehensweise der Akteure beweisen.

Auch im Herbst 2012 wird wieder eine Brüsseler Informationstagung an gleicher Stelle stattfinden, dann in etwas anderer Gestalt. Die Vorträge werden sich über 1 ½ Tage erstrecken. Der genaue Termin wird rechtzeitig bekannt gegeben. Für die Organisation und Durchführung der Veranstaltung dankt das FIW auch an dieser Stelle den Rechtsanwälten Dr. Ferdinand Hermanns und Johann Brück. Vor Ort wurde dies durch eine kurze Ansprache durch Herrn Dr. Satzky, Mitglied des FIW-Vorstandes, zum Ausdruck gebracht.