08.08.2011

Grundsatzurteil des BGH zu Schadenersatzansprüchen bei Kartellverstößen (Passing-On-Defence)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem grundlegenden Urteil vom 28. Juni 2011 (- KZR 75/10 - ) geurteilt, dass nicht nur die unmittelbaren Kunden der Kartellteilnehmer Schadensersatz wegen Kartellrechtsverstößen verlangen können, sondern auch die in der Absatzkette folgenden Abnehmer. In dem Fall ging es um ein Preiskartell der Hersteller von Selbstdurchschreibepapier. Der BGH hat entschieden, dass Kartellbeteiligte gegen den Schadenersatzanspruch den Einwand erheben dürfen, dass der gegen den Kartellbeteiligten vorgehende Abnehmer die kartellbedingte Preiserhöhung an seine eigenen Kunden weitergegeben habe (Passing-On-Defence). Der Kartellteilnehmer ist also grundsätzlich berechtigt, dem Schadensersatz verlangenden Abnehmer entgegenzuhalten, dass dieser die von ihm gezahlten kartellbedingt überhöhten Preise an seine eigenen Kunden weitergegeben und deswegen letztlich keinen Schaden mehr hat. Dies folge  - so der BGH - den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. Danach werde vermieden, dass ein Kartellbeteiligter mehrfach für ein und denselben Schaden einzustehen habe. Spiegelbildlich dazu werde vermieden, dass der direkte Abnehmer, der womöglich wirtschaftlich keinen Schaden erlitten hat, ungerechtfertigt bereichert wird.

Der BGH hat zugleich entschieden, dass auch indirekte Abnehmer Schadensersatz wegen des Kartellverstoßes verlangen können. Damit trägt der Gerichtshof dem Umstand Rechnung, dass die nachteiligen Folgen eines Preiskartells sich nicht notwendigerweise bei den unmittelbaren Abnehmern der Kartellanten realisieren, sondern - weil diese die Preiserhöhungen weitergeben können - oft auf nachfolgende Marktstufen verlagert werden. Nach dem Sinn und Zweck des Kartell- und Schadensersatzrechts sei es aber geboten, dass auch diejenigen Marktteilnehmer ihren Schaden ersetzt erhalten, auf deren Kosten ein kartellrechtlich verbotenes Verhalten letztlich praktiziert wird. Diese Auffassung des BGH knüpft an den Gerichtshof der Europäischen Union, der in den Rechtsfällen „Manfredi" und „Courage" entschieden hatte, dass jedermann berechtigt sei, Ersatz des ihm durch ein Kartell entstandenen Schadens zu verlangen.

Der deutsche Gesetzgeber hatte dem BGH mit einer expliziten Regelung anlässlich der 7. GWB-Novelle vorgegriffen. § 33 Abs. 3 Satz 2 GWB lautet seitdem: Wird eine Ware oder Dienstleistung zu einem überteuerten Preis bezogen, so ist der Schaden nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Ware oder Dienstleistung weiterveräußert wurde. Darin wurde vielfach ein Quasi-Ausschluss der nun vom BGH zugelassenen „Passing-On-Defence" gesehen. Der vorliegende Fall war nicht auf § 33 GWB gestützt. Interessanterweise hat der BGH jedoch klargestellt, dass sich nach geltendem Recht keine grundsätzlich abweichende Beurteilung ergebe.