09.06.2011

BDI-Gutachten belegt Verfassungswidrigkeit einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung

Ein auf Anregung des Bundesverbands der deutschen Industrie e.V. (BDI) entstandenes Gutachten "Entflechtung im deutschen Kartellrecht" wurde bei einem Parlamentarischen Abend des BDI am 24. Mai 2011 vorgestellt.

Die Gutachter Prof. Dr. Martin Nettesheim und Prof. Dr. Stefan Thomas, Tübingen, kommen zu dem Ergebnis, dass die Pläne des Bundeswirtschaftsministeriums zur Einführung eines missbrauchsunabhängigen Entflechtungsinstruments, aus wettbewerbspolitischen Gründen verfehlt und gegen das Grundgesetz und Europarecht verstoßen würden. Das Gutachten setzt sich kritisch mit den Entflechtungsvorschlägen der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Wettbewerbspolitik, des Verfassungsrechts und des Kartellrechts auseinander. Es unterstützt die Haltung des BDI, der sich bereits im letzten Jahr vehement gegen eine Entflechtungsregelung ausgesprochen hatte, die kein missbräuchliches Verhalten der Unternehmen voraussetzt. Nach Ansicht der Gutachter belegt die wettbewerbspolitische Analyse, dass es keine hinreichend gewichtigen Gründe dafür gibt, das GWB um ein derartiges Entflechtungsinstrument zu ergänzen. Behördliche Entflechtungen würden in den Wettbewerb eingreifen und drohten, ihn insoweit zu einer „staatlichen Veranstaltung" zu machen. Der verfassungsrechtliche Eigentumsschutz stünde Plänen entgegen, Unternehmen zur Verfügungsmasse der Wirtschaftspolitik zu machen. Die konkreten Planungen wären jedenfalls verfassungswidrig. Konkret stellten die Gutachter fest, dass eine solche Entflechtungskompetenz in das Eigentumsgrundrecht von Unternehmen und deren Anteilseignern eingreifen würde und den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht genügen würde. "Eine Entflechtungsregelung würde auch in die Unternehmensfreiheit des Art. 12 GG eingreifen", so das Gutachten. "Die Belastung würde die Freiheit der unternehmerischen Betätigung im Markt übermäßig und unter Verletzung des Grundgesetzes einschränken." 

Die europarechtliche Bindung der Bundesrepublik beschneide ebenfalls den Handlungsspielraum. Zudem seien die volkswirtschaftlichen Folgen einer Entflechtung schwer kalkulierbar. Der Wettbewerb - und nicht behördliche Planung - sollte nach Ansicht der Gutachter über Marktstruktur und Unternehmensgröße entscheiden.

Wettbewerbspolitisch wäre solch ein Instrument ebenfalls verfehlt, denn "Entflechtungsverfahren beseitigen Effizienzen bei erfolgreichen Unternehmen und dämpfen die Investitionsbereitschaft", so die Gutachter. Weiter: "Eine Entflechtungsbefugnis im GWB würde deutsche Unternehmen im internationalen Wettbewerb behindern. Unternehmen droht infolge einer Entflechtung der Verlust von eingesetztem Kapital und erzielten Forschungs- und Entwicklungserfolgen. Dies kann die Investitionsbereitschaft bremsen". Die Entflechtung oligopolistischer Strukturen stellt das Gutachten als "völlig illusorisch" dar: "Die Entflechtung eines Oligopols würde die Marktkonzentration zwischen den Verbleibern nur erhöhen. Es müssten also theoretisch alle Oligopolisten entflochten werden."

Das Gutachten ist im Verlag Mohr Siebeck erschienen und kann über den Buchhandel bezogen werden.