22.10.2009

Fusionskontrolle: AK Kartellrecht im Bundeskartellamt diskutiert über Erfahrungen mit der FKVO

Der Arbeitskreis Kartellamt beim Bundeskartellamt, der sich insbesondere aus Hochschullehrern und Richtern zusammensetzt, tagt jährlich zu grundsätzlichen wettbewerbspolitischen Themen. Am 24. September 2009 hat er sich mit der Frage beschäftigt, ob Anpassungsbedarf bei der deutschen Fusionskontrolle im Hinblick auf die fünfjährigen Erfahrungen mit der europäischen Fusionskontrollverordnung besteht. Es ging bei der Tagung dabei um verschiedene Aspekte, z.B. um eine Bestandsaufnahme der Praxis der Fusionskontrolle zum Marktbeherrschungstest nach dem GWB und dem neuen materiellen Untersagungskriterium in der Fusionskontrolle, dem so genannten SIEC-Test (significant impediment of effective competition) nach der europäischen Fusionskontrollverordnung. Dabei wurden auch ein Systemwechsel und seine möglichen Auswirkungen diskutiert.

Grundlage der Diskussion war ein Arbeitspapier des Bundeskartellamts mit dem Titel „Marktbeherrschungs- und SIEC-Test - Eine Bestandsaufnahme", das unter dem oben aufgeführten Pfad abrufbar ist.

Wesentlicher Inhalt des Diskussionspapiers:

Das Papier geht zunächst auf die Hauptgründe für die Einführung des SIEC-Tests auf europäischer Ebene mit der letzten Reform der Fusionskontrolle ein. Hauptargument war seinerzeit, dass der Test eine Schutzlücke schließen könne, die in der Vergangenheit (unter dem Marktbeherrschungstest) zu einem „under-enforcement" geführt habe. Die Schutzlücke im Marktbeherrschungstest soll darin bestanden haben, dass bei einem Zusammenschluss von Unternehmen im Oligopolmarkt (nicht des marktführenden Unternehmens) den Unternehmen im Markt zusätzliche Marktmacht zuwachsen würde (unilaterale Effekte). Dadurch könne die Wettbewerbsintensität im Markt insgesamt vermindert werden. Es war und ist dabei strittig, ob nicht auch der bisherige Marktbeherrschungstest solche negativen Wirkungen auf den Markt hätte verhindern können. Das Arbeitspapier argumentiert dahin, dass allein aus der Tatsache, dass ein solcher Fall in Europa noch nicht aufgetreten sei, man nicht darauf schließen könne, dass dieser nicht irgendwann eintreten könne. Der SIEC-Test sei insofern flexibler, als er auch die wettbewerblichen Rückwirkungen eines Zusammenschlusses auf die übrigen Unternehmen in den Blick nehmen und somit Wirkungen auf die Wettbewerbsintensität und das Marktergebnis insgesamt erfassen könne.

Das Arbeitspapier kommt letztlich zu dem Ergebnis, dass die praktischen Erfahrungen der EU-Kommission mit dem SIEC-Test in den vergangenen 5 Jahren keine eindeutigen Schlussfolgerungen darüber zuließen, ob alle Ziele der Reform erreicht worden seien. Allerdings sei die verstärkte Anwendung ökonomischer Methoden (more economic approach) die ebenfalls mit der Einführung des neuen Tests verbunden werden sollte, erreicht worden. Da es keinen Fall gegeben habe, bei dem eine Untersagung aufgrund nachgewiesener Effizienzen unterblieben war, ist durch die Einführung des SIEC-Tests keine Änderung in der Praxis der EU-Kommission bewirkt worden.

Im Hinblick auf die zeitgleich von der EU-Kommission (in den Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse) eingeführte Effizienzeinrede führt das Arbeitspapier aus, dass die Effizienzeinrede kein Bestandteil des SIEC-Tests sei, sich aber insgesamt in das neue Gesamtkonzept einfüge.

Das Arbeitspapier stellt zudem fest, dass der Marktbeherrschungstest und der SIEC-Test unterschiedliche Nachweisanforderungen aufstellten. Die Nachweistiefe sei dabei tendenziell beim SIEC-Test höher als beim Marktbeherrschungstest.

Das Papier stellt auch fest, dass die im deutschen Recht bestehenden Vermutungsregeln für das Vorliegen von Einzelmarktbeherrschung und kollektiver Marktbeherrschung insofern hilfreich gewesen seien, als die beteiligten Unternehmen bei Erreichen der Vermutungsschwellen einen größeren Anreiz gehabt hätten, zur Ermittlung der Wettbewerbsverhältnisse beizutragen, ein Umstand, der innerhalb der kurzen Fusionskontrollfristen von nicht unerheblicher Bedeutung sei. Der SIEC-Test ließe sich in konzeptioneller Hinsicht mit solchen Vermutungsregelungen, die es auf der europäischen Ebene nicht gibt, durchaus vereinbaren, da auch der SIEC-Test noch das Marktbeherrschungskriterium als Beispielsfall enthält. Das Papier geht schließlich auch der Frage nach, ob eine Anwendung des SIEC-Tests durch einen Mitgliedstaat eine vollständige Angleichung an die Kommissionspraxis und eine Bindung an die Rechtsprechung der europäischen Gerichte zur Folge hätte. Es kommt zu dem Ergebnis, dass hier ein gewisser Angleichungsdruck zum Tragen käme, der je nach konkreter rechtlicher Ausgestaltung der (vollständigen oder teilweisen) Übernahme des SIEC-Tests eine  unterschiedlich starke faktische und rechtliche Bindungswirkung entfalten würde.