15.07.2008

Kurzbericht über das Bonner Kolloquium vom 09.07.2008

Im Rahmen des diesjährigen Bonner Kolloquiums hat das Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (FIW) im Anschluss an seine Mitgliederversammlung am 09.07.2008 vor rund 160 Teilnehmern in Bonn (Hotel Bristol) dazu geladen, über das Weißbuch zu Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts zu diskutieren. Nach einer kurzen Begrüßung von Margret Suckale, der Vorstandvorsitzenden des FIW, kommentierten fünf ausgewählte Referenten aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven das Weißbuch.

Rechtsanwalt Jochen Burrichter, Hengeler Mueller, ging zunächst aus der Perspektive eines Anwalts auf das Weißbuch der Kommission ein. Kritisch betrachtete er dabei, dass im Weißbuch weder eine Differenzierung zwischen Follow-on- und Stand-Alone-Verfahren noch zwischen Hardcore und sonstigen Kartellverstößen vorgenommen wurde. In Bezug auf das im Weißbuch vorgesehene Instrument der Sammelklagen gab er zu bedenken, dass die Gewährung einer solchen gar nicht erforderlich sei. Wie der Zementkartell-Fall gezeigt habe, reichten die bestehenden deutschen Regelungen vollständig aus. Zudem mahnte Rechtsanwalt Burrichter zur Verhältnismäßigkeit. Im Falle einer Ausweitung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung sei jedenfalls die extensive Bußgeldverhängung, wie sie aktuell praktiziert würde, zu relativieren.

Peter Dicks, Vorsitzender Richter des 2. Kartellsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf, vermittelte einen Blick aus der richterlichen Praxis auf das Weißbuch. Herr Dicks betonte dabei zunächst, dass die mit dem Weißbuch von der Kommission verfolgte Zielrichtung durchaus Zustimmung verdiene. Die private Kartellrechtsdurchsetzung sei neben der verwaltungs- und bußgeldrechtlichen Ahndung von Kartellrechtsverstößen ein wichtiges Instrument, um die gebotene Abschreckungswirkung gegen Kartellrechtsverstöße zu erreichen. Bedenken äußerte er jedoch dahingehend, ob sich die einzelnen von der Kommission in ihrem Weißbuch getätigten Vorschläge tatsächlich bruchlos in die nationalen Rechte übernehmen ließen. Vor allem den Vorschlägen der Kommission zu den Kosten einer Schadensersatzklage sei mit Vorsicht zu begegnen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der bislang jedenfalls im deutschen Recht bestehende Grundsatz, dass die im Prozess unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, in Bezug auf kartellrechtliche Schadensersatzklagen nicht gelten solle.

Dr. Lorenz Ködderitzsch, Johnson & Johnson, kommentierte das Weißbuch aus der Sicht eines Unternehmens. Aufgrund der Erfahrungen die Johnson & Johnson als amerikanisches Unternehmen mit „class actions“ in den USA gemacht habe, sei die Sorge groß, dass eine vergleichbare Situation künftig auch in Europa geschaffen würde. Bislang sei es schwer der Kommission in ihrer Aussage, dass sie keine US Missbräuche einführen wolle, Vertrauen zu schenken, denn im Weißbuch seien keinerlei konkrete Sicherungsmaßnahmen genannt, die einen Missbrauch bei der Ausübung von Sammelklagen begrenzten. Vor allem die Kostenentscheidung zu Gunsten der klagenden Partei setze falsche Missbrauchsanreize.

Professor Dr. Torsten Körber, Friedrich-Schiller Universität Jena, vermittelte einen Blick auf das Weißbuch aus Sicht der Lehre. Kritisch betrachtete er die von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen zum Zugang von Beweismitteln. Es sei nicht ersichtlich, warum in kartellrechtlichen Schadensersatzverfahren andere Beweisregeln gelten sollen als in sonstigen Schadensersatzverfahren. Im Ergebnis warnte Professor Körber vor allem davor, allzu überstürzt ein System der Schadensersatzklagen auf europäischer Ebene einzuführen. Als Wettbewerbsbehörde täte die Kommission zunächst einmal gut daran, dem Wettbewerb der nationalen Rechtsordnung Raum zu lassen. Die hierdurch gesammelten Erfahrungen könnten bei der Findung möglichst wirksamer Instrumente der privaten Kartellrechtsdurchsetzung äußerst hilfreich sein.

Andreas Mundt, Leiter der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamtes, schließlich kommentierte das Weißbuch aus der Sicht des Bundeskartellamtes. Während er zum einen die Bemühung der Kommission zur Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung begrüßte, betonte er zugleich, dass es beim Vorrang der öffentlichen Kartellrechtsdurchsetzung bleiben müsse. Kritik übte er an den im Weißbuch vorgesehenen Opt-out-Klagen. Diese drohten die Effektivität der Bonusprogramme zu schmälern und verfehlten zugleich das Ziel eines individuellen Schadensersatzes. Bedenken äußerte Herr Mundt auch dahingehend, dass das Weißbuch keine konkreten Ansätze nenne, um Mehrfachhaftungen zu verhindern, sondern sich mit dem Hinweis auf „whatever mechanism under national or Community law“ begnüge.

In der sich den Beiträgen anschließenden Diskussion wurden zahlreiche Fragen von Seiten der Teilnehmer gestellt. Kontrovers diskutiert wurde dabei vor allem die Mehrfachhaftung, ob und inwieweit bei Stärkung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung eine Relativierung von Bußgeldern nötig sei und ob die aktuellen Standards in den Mitgliedsstaaten ausreichend seien, um von einer Regelung auf europäischer Ebene vorerst abzusehen.

Das FIW hofft, mit seiner Veranstaltung zur Findung konstruktive Verbesserungsvorschläge für die am 15. Juli endende öffentliche Konsultation zum Weißbuch zu Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts beigetragen zu haben. Die weitere Entwicklung der privaten Kartellrechtsdurchsetzung wird das FIW in jedem Fall auch in künftigen Veranstaltungen begleiten. Im nächsten Jahr wird das Bonner Kolloquium am 17.  Juni 2008 wieder mit einem aktuellen Thema an gleicher Stelle stattfinden.