03.11.2008

Europäisches Gericht erster Instanz weist Klage von MyTravel auf Schadenersatz ab

EU
Gericht erster Instanz
Kommission
Haftung der Gemeinschaft

Pressemitteilung

Urteil 

Am 9. September 2008 wies das Gericht erster Instanz die von der MyTravel Group gegen die EU-Kommission erhobene Klage auf Schadenersatz ab (Rechtssache T-212/03). Die Klage war von MyTravel, vormals der britische Reiseveranstalter Airtours und mittlerweile mit dem Touristikkonzern Thomas Cook fusioniert, nach der Nichtigerklärung der Entscheidung der EU-Kommission, mit der der Erwerb des Reiseunternehmens First Choice durch Airtours untersagt worden war, erhoben worden. Nach dem Urteil des Gerichts führte die Nichtigerklärung der Entscheidung der EU-Kommission durch das Gericht erster Instanz jedoch nicht zu einer finanziellen Haftung der Gemeinschaft, da – nach Auffassung der Richter - die EU-Kommission das Gemeinschaftsrecht nicht offenkundig und erheblich verletzt hätte.

Damit entscheidet das Gericht anders als im Fall Schneider Electric, in dem es am 11. Juli 2007 der Klage des Unternehmens Schneider Electric SA auf Schadensersatz teilweise stattgegeben hat (Rechtssache T-351/03), nachdem die Entscheidung der Kommission über die Unvereinbarkeit der Übernahme des Unternehmens Legrand SA mit dem Gemeinsamen Markt im Jahr 2002 durch das Gericht erster Instanz für nichtig erklärt worden war. Das Gericht stellte in diesem Urteil fest, dass die EU-Kommission die Verteidigungsrechte des Unternehmens Schneider Electric im Rahmen der Prüfung des geplanten Zusammenschlusses im Jahr 2001 verletzt hatte. Gegen dieses Urteil hatte die EU-Kommission seinerzeit Rechtsmittel eingelegt.

Sachverhalt im vorliegenden Fall (MyTravel):

Das Gericht erster Instanz hatte mit Urteil vom 6. Juni 2002 die Untersagung der EU-Kommission vom 22. September 1999 für nichtig erklärt, da es der Ansicht war, dass die Kommission die negativen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb nicht hinreichend nachgewiesen hätte. Die EU-Kommission hatte den Zusammenschluss von Airtours und dem Reiseveranstalter First Choice für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt, da er aus ihrer Sicht zu einer kollektiven beherrschenden Stellung auf dem britischen Markt für Kurzstrecken-Pauschalreisen geführt hätte. Im Jahr 2002 hatte das Gericht erster Instanz insgesamt drei Fusionsverbote der EU-Kommission für nichtig erklärt und der Eu-Kommission gravierende Beurteilungsfehler vorgehalten. Außer in dem Fall Schneider Electric/Legrand handelte es sich noch um den Fall Tetra Laval/Sidel. Auch als Folge dieser drei Urteile hatte der damalige Wettbewerbskommissar Mario Monti die Fusionskontrollpraxis neu geordnet und einen Chefökonomen eingestellt.

Nach der Nichtigerklärung der Entscheidung der EU-Kommission hat die My Travel Group beim Gericht eine Klage auf Ersatz des Schadens erhoben, der ihr aufgrund der Fehler in dem von der Kommission durchgeführten Verfahren zur Kontrolle der Vereinbarkeit des geplanten Erwerbs ihrer Konkurrentin mit dem Gemeinsamen Markt entstanden sein soll.

Wesentliche Urteilsgründe:

Das Gericht stellt zunächst fest, dass die Entstehung der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft von einem rechtswidrigen Verhalten ihrer Organe abhängig ist, das in einer offenkundigen und erheblichen Überschreitung der Grenzen besteht, die ihrem Ermessen gesetzt sind. Die seinerzeit von demselben Gericht beanstandeten Beurteilungsfehler reichen jedoch nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Fall nicht aus, um einen Anspruch auf Schadensersatz zu begründen. Dafür müssten höhere Anforderungen erfüllt werden als für die Nichtigerklärung einer Fusion.

Wie schon in der Rechtssache Schneider Electric stellte das Gericht erneut fest, dass es nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, dass offenkundige und erhebliche Fehler bei der wirtschaftlichen Analyse durch die Kommission, die einer Entscheidung zugrunde liegt, mit der ein Zusammenschluss für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird, ausreichend qualifizierte Verstöße darstellen können, die zur Entstehung der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft führen. Allerdings müssen die Komplexität der im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen zu regelnden Situationen, die Schwierigkeiten bei der Anwendung einschließlich zeitlicher Engpässe, denen die Verwaltung unterliegt, sowie der Ermessensspielraum, über den die Kommission verfügt, bei der Beurteilung, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß durch die Kommission vorliegt, in Betracht gezogen werden.

Die Prüfung stellt damit höhere Anforderungen als die Prüfung im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung, bei der sich das Gericht damit begnügt, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen, um sich zu vergewissern, dass die Kommission die verschiedenen Punkte des Zusammenschlusses richtig beurteilt hat. Im vorliegenden Fall reichen die Beurteilungsfehler und das Fehlen von einschlägigen Beweisen einzeln oder zusammen nicht aus, um eine offenkundige und erhebliche Verletzung der Grenzen, die dem Ermessen der Kommission im Bereich der Kontrolle von Zusammenschlüssen angesichts einer komplexen Oligopolstellung gesetzt sind, zu begründen. Das Gericht stellte daher fest, dass die Kommission bei ihrer Prüfung der Transaktion Airtours/First Choice in Anbetracht der Kriterien zur Begründung einer kollektiven beherrschenden Stellung keinen hinreichend qualifizierten Verstoß einer Rechtsvorschrift begangen hat und wies die Klage in vollem Umfang ab.