30.03.2006

OECD: Bericht über Marktzutrittsschranken

OECD
EU
Marktzutrittsschranken

https://www.oecd.org

Das Competition Committee der OECD hat das wettbewerbliche Konzept der Marktzutrittsschranken (MZS) und seine Anwendung in verschiedenen Mitgliedstaaten untersucht. Sein Bericht vom 6. März 2006 ist seit dem 24. März 2006 auf der Website veröffentlicht. Er trägt den Titel „Barriers to Entry“, umfasst 317 Seiten und besteht – wie auch andere Berichte – aus vier Teilen: einer Zusammenfassung, einer Problemanalyse (background notice), Länderberichten und einer Diskussionsrunde im Ausschuss.

MZS spielen in verschiedenen Bereichen des Wettbewerbsrechts eine Rolle: bei der Marktabgrenzung (potentieller Wettbewerb), bei der Bestimmung der Marktmacht marktbeherrschender Unternehmen und vor allem in der Fusionskontrolle bei der Prognose des Entstehens oder der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. In der Analyse stellt die OECD fest, dass sich trotz dieser zentralen Bedeutung keine allgemein anerkannte Definition der MZS durchgesetzt hat.

Bekannt sind die kontroversen Auffassungen von Bain und Stigler. Nach Joe Bain ist eine MZS alles, was es dem eingesessenen Unternehmen erlaubt, die Preise über dem Wettbewerbsniveau zu halten, ohne dadurch Markteintritte hervorzurufen. Dieser sehr weiten Definition steht die engere von George Stigler gegenüber, der als MZS nur Kosten ansieht, die ein neues Unternehmen tragen muss, das eingesessene Unternehmen aber nicht (auch nicht bei seinem eigenen Markteintritt). Andere Definitionen, die sich innerhalb dieses Spektrums bewegen und gleichfalls erläutert werden, stammen von Ferguson, Fisher, von Weizsäcker, Carlton und Perloff, McAfee, Mialon und Williams.

Der Bericht (17 ff) neigt der Auffassung von Gregory Werden zu: „The issue is not whether something is or is not a Stiglerian barrier but whether it will delay new entry.“. Deshalb sollte man auch nicht von “barriers”, sondern von “conditions of entry” sprechen.

Im Folgenden wird daher untersucht, welche Bedingungen Marktzutritte beeinflussen können: versunkene Kosten (die oft mit Fixkosten verwechselt werden), absolute Kostenvorteile des Platzhalters, Skaleneffekte, Verbundvorteile (scope), Kapitalkosten, Reputation, Netzwerkeffekte, gesetzliche und regulatorische Schranken, Austrittshindernisse, besondere Vorteile für das erste Unternehmen im Markt (first mover advantages) sowie vertikale Integration. In diesem Zusammenhang wird auch das strategische Verhalten der Altunternehmen betrachtet: Kampfpreise, limit pricing (Preis ist für das Unternehmen gerade noch gewinnbringend, entspricht aber einem Output, der für neue Unternehmen nur einen unprofitablen Rest übrig lässt), Kapazitätserweiterungen, Rabatte, Produktdifferenzierung, Werbung, Kopplungen, Bezugsbindungen, Anhäufung von Patenten. Bei jeder dieser Marktzutrittsbedingungen beleuchtet der Bericht den wirtschaftlichen Hintergrund, die Wirkung auf neue Unternehmen und die Motivation der eingesessenen Unternehmen.

Schließlich befasst sich der Bericht mit der Bewertung der MZS durch die Wettbewerbsbehörden. Zunächst ist der Zeithorizont für die Bewertungen unterschiedlich (Vorausschau bei Fusionen, Rückblick bei Marktmissbrauch). Relevant sind ferner die Einschätzung der Gewinnchancen durch die potentiellen Wettbewerber (ist ihr Markteintritt zu massiv, sinken die Preise zu stark und der Eintritt wird weniger profitabel) und der Bezug zu den eigenen versunkenen Kosten. Ausführlich wird der Versuch Salops dargestellt, der versucht hat, die MZS zu kartifizieren, doch stößt dies an Grenzen. Wettbewerbsbehörden behelfen sich manchmal damit, aus früheren Zutritten auf künftige zu schließen, was ebenfalls nicht zwingen ist. Problematisch ist ferner der Schluss von hohen Gewinnmargen in einem Markt auf die Existenz von MZS.

Die Analyse schließt mit einem Blick auf die Leitlinien verschiedener Wettbewerbsbehörden zur Fusionskontrolle, in denen MZS behandelt werden: die US Horizontal Merger Guidelines, ferner die Leitlinien Australiens, Kanadas, der EU (2004) und die UK Guidelines on Assessment of Market Power (sie beziehen sich auch auf Missbrauchsfälle).

Am Ende wird folgendes Fazit gezogen (Seite 53):

“Much of the academic discourse involving barriers to entry has been weighed down by terminology that does not always shed light on the practical entry issues faced by enforcement agencies and courts. In fact, the focus on crafting definitions has partially obscured more important questions about entry, such as how likely it is, how long it will take, and how effective it will be. The influence that entry barriers should have on competition decisions should turn on the degree to which they are likely to prevent or delay entry from curing anticompetitive effects, not on whether they fit into an abstract box with highly controversial dimensions. Fortunately, guidelines promulgated by the competition enforcement agencies of several OECD countries have done much to ensure that agencies focus on the right questions, even if many scholars do not. There is, however, a need for further study on how to measure and make predictions about entry in individual cases.”

Die Länderberichte (21 Länder, EU, ferner ein Beitrag des BIAC) zeigen ein buntes Bild, das weniger von theoretischer Schärfe als von pragmatischer Fallbeurteilung geprägt ist. Der Beitrag des Bundeskartellamts (127 ff) beschreibt verschiedene Schranken anhand der Amtspraxis und stellt fest, dass man in der Praxis sowohl dem Konzept von Bain als auch dem von Stigler gefolgt sei. Ausführlich wird die Auseinandersetzung um die Laufzeit der Gaslieferverträge dargestellt. Lesenswert ist ferner der Beitrag aus den USA (229 ff), der in großer Breite die Praxis der beiden Wettbewerbsbehörden schildert und auch auf den Microsoft-Fall eingeht. Die Europäische Kommission (239 ff) siedelt ihre Auffassung in der Nähe von Bain an und verweist dazu auf Nummer 126 der Leitlinien zur Vertikal-GVO, geht aber in Nummer 70 der Horizontalleitlinien darüber hinaus, wo es in der Fusionskontrolle nicht nur um die Aufrechterhaltung erhöhter Preise (Bain) geht, sondern auch darum, ob ein Marktzutritt für ein neues Unternehmen profitabel ist (post-entry profitability).

In der Diskussion im Competition Committee werden abschließend die Hauptthemen noch einmal vertieft (Definition, den Marktzutritt beeinflussende Bedingungen, Messung von MZS, Bewertung strategischen Verhaltens).