16.10.2006
Kommission entwirft neue Kronzeugenregelung
EU
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https://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/leniency/draft_revised_notice_de.pdf |
Am 29. September 2006 legte die Kommission die überarbeitete Fassung ihrer Kronzeugenregelung aus dem Jahr 2002 (Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen) vor. Sie beabsichtigt mit der Neufassung, die Kronzeugenregelung klarer und präziser abzufassen. Ein der Kommission wichtiges Anliegen ist dabei, dass Unternehmen im Falle einer "Selbstanzeige" bei etwaigen anschließenden zivilrechtlichen Schadensersatzklagen nicht erheblich schlechter gestellt werden als Kartellmitglieder, die eine Zusammenarbeit mit der Kommission verweigern. Damit möchte die Kommission Unternehmen ermuntern, in noch größerem Umfang von der Kronzeugenregelung Gebrauch zu machen. Sie weist darauf hin, dass sich die Neufassung der Kronzeugenregelung im Einklang mit dem ebenfalls am 29. September 2006 veröffentlichen Modell einer Kronzeugenregelung (ECN-Modell) des europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN) befindet (https://ec.europa.eu/comm/competition/antitrust/ecn/ecn_home.html.)
Im Vergleich zur noch geltenden Regelung sieht die Kommission insbesondere folgende Änderungen vor:
- Die Art von Informationen und Beweismittel, die von dem Antragsteller zu übermitteln sind, werden näher präzisiert. Für den Fall eines vollständigen Geldbußenerlasses muss das Antrag stellende Unternehmen eine so genannte Unternehmenserklärung abgeben, die ausführliche Informationen und Beweismittel über das mutmaßliche Kartell enthält (Ziff. 9a).
- Das Unternehmen soll seine Beteiligung an dem mutmaßlichen Kartell offenlegen (Ziff. 8, 23).
- Die Pflicht des Unternehmens zur uneingeschränkten und kontinuierlichen Zusammenarbeit mit der Kommission soll nun auch auf Anträge auf Ermäßigung der Geldbuße erstreckt werden (Ziff. 24 i.V.m. Ziff. 12a).
- Erweiterte Kooperationspflicht: Das Antrag stellende Unternehmen darf keinerlei Beweismittel im Zeitraum vor Antragstellung vernichtet, verfälscht oder unterdrückt haben; ihm wird über die Antragstellung eine Schweigepflicht (mit Ausnahme gegenüber anderen Wettbewerbsbehörden) auferlegt (Ziff. 12c, Ziff. 24).
- Das Kartell darf auch nach der Antragstellung fortgesetzt werden, wenn der Erfolg der Nachprüfungen dies erforderlich machen sollte (Ziff. 12b, Ziff. 24). Hierdurch sollen insbesondere von der Kommission geplante Durchsuchungen bei anderen Kartellbeteiligten und die Erhebung weiterer Beweismittel nicht gefährdet werden.
- Der Begriff des "erheblichen Mehrwertes" der Beweismittel, die ein Unternehmen, um sich für eine Ermäßigung der Geldbuße zu qualifizieren, beibringen muss, wird weiter konkretisiert. In Ziff. 25 a.E. heißt es, dass "zwingende Beweise" (compelling evidence) im Falle einer Anfechtung einen größeren Wert haben als solche, die noch mit anderen Quellen untermauert werden müssen. Des weiteren beabsichtigt die Kommision solche Fakten bei der Festsetzung der Geldbuße für ein Unternehmen unberücksichtigt zu lassen, aus der eine besondere Schwere oder erhöhte Dauer der Zuwiderhandlung resultieren, sofern dieses Unternehmen als erstes "zwingende Beweise" dieser Fakten vorlegt (Ziff. 26).
- Unternehmen sollen zukünftig einen so genannten "Marker" beantragen können, der den Rang des Antragstellers für einen befristeten Zeitraum schützt, in welchem der Antragsteller seine internen Ermittlungen abschließen und die erforderlichen Informationen und Beweismittel zusammentragen kann (Ziff. 14). Ob die Kommission einen Marker vergibt, soll in ihrem Ermessen stehen (Ziff. 15). Ebenso in ihrem Ermessen soll die Frist stehen, innerhalb derer der Antragsteller seinen Antrag vervollständigen muss. Für die Gewährung eines Markers muss der Antragsteller der Kommission seinen Namen, seine Anschrift sowie die Namen der an dem mutmaßlichen Kartell beteiligten Parteien mitteilen und Informationen über die betroffenen Produkte und Gebiete sowie über die Dauer und die Art des mutmaßlichen Kartells übermitteln (Ziff. 15, Satz 2).
- Anträge, die sich auf bereits verjährte Zuwiderhandlungen beziehen, wird die Kommisision nicht bescheiden (Ziff. 36).
- Es soll ein Verfahren zum Schutz von Unternehmenserklärungen im Rahmen der Antragstellung nach dem Kronzeugenprogramm eingeführt werden (Ziff. 31-35). Dieses soll vor Offenlegungspflichten (discovery) in Schadensersatzprozessen insbesondere in Drittländern schützen.
Einzelheiten des Verfahrens:
Unternehmenserklärungen können mündlich abgegeben werden, die von der Kommission aufgezeichnet und niedergeschrieben werden (Ziff. 32, 1. Satz).
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- Unternehmen haben die Möglichkeit, ihre Aufzeichnung zu berichtigen und mit der Niederschrift abzugleichen.
- Eine Einsichtnahme in Unternehmenserklärungen soll nur den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte, nicht aber den Beschwerdeführern zustehen. Vorige müssen sich verpflichten, die Informationen nur für die Zwecke von Rechts- und Verwaltungsfragen, die dem Verwaltungsverfahren, in dessen Zuge Akteneinsicht gewährt wird, zugrunde liegen.
- Ein Kopieren der Informationen soll nicht erlaubt sein.
- Sanktionen gegen einen Verstoß dieser Auflagen können darin bestehen, dass dieses Verhalten als Verstoß gegen die Zusammenarbeitspflicht gewertet wird. Im Falle einer Verbotsentscheidung könnte die Kommission bei den Gemeinschaftsgerichten beantragen, die Geldbuße des den Verstoß begehenden Unternehmens zu erhöhen. Wirkt ein Rechtsbeistand bei dem Verstoß mit, käme nur eine Meldung bei dessen Kammer in Betracht.
- Unternehmen haben die Möglichkeit, ihre Aufzeichnung zu berichtigen und mit der Niederschrift abzugleichen.