28.02.2006
EU: Neufassung und Ergänzung der Kronzeugenregelung
EU
|
https://www.europa.eu.int/comm/competition/antitrust/legislation/leniency.html |
Der Kronzeugenregelung droht Gefahr, wenn es kartellgeschädigten Unternehmen gelingen sollte, Zugang zu den Geständnissen zu erhalten, die reuige Unternehmen bei der Kommission zwecks Strafmilderung eingereicht haben. Mit solchen Materialien wäre ein Schadensersatzprozess sehr viel leichter zu führen. Besonders in Verfahren, die in den USA anhängig gemacht worden waren, ist versucht worden, mittels einer „discovery“ die Kommission zur Herausgabe von Leniency-Anträgen zu zwingen. Obwohl diese Versuche bisher erfolglos waren, hat die Kommission darauf bereits mit einem informellen Verfahren reagiert, das eine mündliche Antragstellung zulässt und nur eigene schriftliche Aufzeichnungen der Kommission produziert (zur discovery Nordlander ECLR 2004, 646, Rieckers RIW 2005, 19; zur Kommissionspraxis van Barlingen / Barennes Competition Policy Newsletter 2/2005 S. 6).
Die Generaldirektion Wettbewerb beabsichtigt nun, das bereits praktizierte Verfahren in die „Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen“ von 2002 einzubauen. Sie hat eine Neufassung entworfen, zu der die interessierten Kreise bis zum 20. März 2006 Stellung nehmen können.
Das neue Verfahren wird in einem Anhang geregelt. Wesentliche Punkte sind:
- Unternehmen dürfen ihre Erklärungen auch in mündlicher Form abgeben. Die Kommission nimmt die Erklärungen auf und fertigt eine Niederschrift über den Inhalt an, deren Richtigkeit der Antragsteller bestätigt, was ebenfalls mündlich möglich ist.
- Akteneinsicht einschließlich der Einsicht in Unternehmenserklärungen wird nur für Gerichts- und Verwaltungsverfahren zur Anwendung von Artikel 81 EU gewährt, nicht für andere Zwecke.
- Einsicht kann nur in den Räumen der Kommission stattfinden. Notizen dürfen angefertigt werden, nicht aber Kopien. Wer Einsicht nimmt, muss schriftlich bestätigen, dass dies nur für Artikel 81-Verfahren geschieht.
- Missbräuche will die Kommission gegen Anwälte standesrechtlich verfolgen lassen. Werden die Informationen durch ein Unternehmen zweckentfremdet, das selbst einen Leniency-Antrag gestellt hat, so kann dies als Verstoß gegen die Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission zu einer höheren Geldbuße führen. Bei Missbrauch nach einer Verbotsentscheidung kann die Kommission nachträglich vor dem Gemeinschaftsgericht beantragen, die Geldbuße zu erhöhen.