12.05.2006
5. Konferenz des International Competition Network vom 3. bis 5. Mai 2006 in Kapstadt
ICN
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www.internationalcompetitionnetwork.org |
An der Konferenz nahmen rund 300 Delegierte von etwa 70 Wettbewerbsbehörden teil. ICN hat bekanntlich keine feste Organisation, sondern zwischen den jährlichen Konferenzen sind Arbeitsgruppen tätig, die bei den Zusammenkünften ihre Ergebnisse präsentieren. Werden sie von den Mitgliedstaaten beschlossen, entstehen auf diese Weise Vorbilder, Maßstäbe und Richtlinien, an denen sich die nationalen Gesetzgeber und Wettbewerbsbehörden orientieren können. Man hofft, es komme so einmal zu einer Konvergenz der Wettbewerbsrechte und der Behördenpraxis. Deshalb ist es für die Wirtschaft und ihre Berater angezeigt, sich mit der Tätigkeit des ICN zu befassen und alle Möglichkeiten zu nutzen, Beiträge zu den Projekten der Arbeitsgruppen zu leisten.
Ein Schwerpunkt ist immer noch die Fusionskontrolle, zu der in Kapstadt ein „Merger Guidelines Workbook“ angenommen wurde, das als Anleitung für die Analyse der wettbewerblichen Auswirkungen von Zusammenschlüssen dienen soll.
Schon bei der Konferenz 2005 in Bonn war die Kartellverfolgung ein zweiter Schwerpunkt. Die Materialsichtung und Bestandsaufnahme ist seither fortgesetzt worden. Diesmal ging es um die Behinderung der Aufklärung von Kartellen, um elektronische Ermittlungstechniken und um die Bonusprogramme als Teil eines Zusammenspiels von privater und öffentlicher Durchsetzung des Wettbewerbsrechts.
Als neues Thema ist der Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (unilateral conduct) hinzugekommen. Man hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die nun als erstes die Praxis der einzelnen Mitgliedstaaten zusammenstellen wird.
ICN hat sich erstmals einem einzelnen Wirtschaftssektor zugewandt: der Telekommunikation. Es wurde ein Papier mit „Best Practices“ für die Gesetzgebung und Rechtsdurchsetzung beschlossen.
Alle Materialien, die der Konferenz vorlagen, sind auf der Website des ICN zugänglich. Sie füllen einen Aktenordner. Zu den wichtigsten Unterlagen geben wir einen kurzen Überblick:
- Fusionskontrolle: Implementation Handbook (99 Seiten)
ICN hatte auf einer früheren Konferenz „Guiding Principles and Recommended Practices for Merger Notification and Review Procedures“ beschlossen. Danach sollten die Belastungen der Wirtschaft bei Mehrfachanmeldungen verringert werden. Oft sind dafür Änderungen der Gesetzgebung oder der einschlägigen Verwaltungsvorschriften nötig. Um den Mitgliedern dafür eine Hilfestellung zu geben, hat man in dem „Implementation Handbook“ Beispiele aus 27 Ländern zusammengetragen. Daraus kann man sich dann diejenigen Formulierungen aussuchen, die für das eigene Recht am besten passen.
- ICN Merger Guidelines Workbook (102 Seiten)
Dies ist für die Praxis sicher eines der wichtigsten Dokumente. Die Arbeitsgruppe wurde von den Wettbewerbsbehörden Irlands und Großbritanniens geleitet.
Ziel des Handbuches ist es, diejenigen Fragen herauszuarbeiten, die eine Wettbewerbsbehörde sich stellen und beantworten muss, wenn sie die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb beurteilt. Es folgt deshalb im Aufbau den ICN Merger Guidelines.
Zunächst werden Konzepte und Kernprinzipien der Fusionskontrolle kurz behandelt (Wie kann die gesetzliche Vorgabe in einen Wettbewerbstest umgesetzt werden? Woran hat man sich dabei zu orientieren?). Danach werden die beiden Typen von Zusammenschlüssen beschrieben (horizontal und nicht-horizontal). Der Hauptteil besteht dann aus Arbeitsblättern (worksheets) zu acht Komplexen:
- Definition des Marktes
- Marktstruktur und Konzentration
- Unilaterale Effekte
- Koordinierte Effekte
- Marktzutritte und Expansion
- Effizienzen
- Sanierungsfusion (failing firm)
- Nicht-horizontale Zusammenschlüsse.
In die Arbeitsblätter sind Fallbeispiele eingearbeitet, die den behandelten Sachverhalt illustrieren (in einem Anhang werden die Fundstellen nachgewiesen).
- Business Outreach (29 Seiten)
Was können Wettbewerbsbehörden tun, um die Zusammenarbeit mit den Interessenten der Wirtschaft und ihren Beratern zu verbessern? Darüber hat sich eine spezielle Arbeitsgruppe Gedanken gemacht.
Zunächst werden die Herausforderungen benannt: die vordringliche Information kleiner und mittlerer Unternehmen, die verbreitete Unkenntnis der Wettbewerbsgesetze und ihrer Bedeutung für die Wirtschaft, die unterschiedlichen Haltungen zur Durchsetzung im Unternehmen (compliance), die schwache politische Unterstützung sowie die beschränkten personellen und materiellen Ressourcen der Wettbewerbsbehörden.
In verschiedenen Ländern ist dennoch einiges unternommen worden, was in einem weiteren Teil länderweise dargestellt wird (das Bundeskartellamt war in der Arbeitsgruppe nicht vertreten).
- Competition and the Judiciary (17 Seiten)
Die Modernisierung des europäischen Wettbewerbsrechts hat bei uns den Gerichten eine größere Rolle bei Anwendung und Durchsetzung der Wettbewerbsregeln übertragen. Auch in anderen Teilen der Welt wird über die Beziehungen zwischen Wettbewerbsbehörden und der Gerichtsbarkeit nachgedacht. ICN hat dies zum Anlass für eine Erhebung von Fakten genommen. Das Ergebnis einer Fragebogenaktion unter 18 Wettbewerbsbehörden ist Inhalt dieses Dokuments.
Dies sind einige Fragen, die gestellt worden sind: Haben Beschwerden gegen Entscheidungen der Wettbewerbsbehörde aufschiebende Wirkung (30 % Nein, wenn bei der Wettbewerbsbehörde eingereicht, 53 % Nein, wenn bei Gericht eingereicht)? Aus welchen Gründen wird einstweiliger Rechtsschutz gewährt? Beeinflussen Gerichte die Entwicklung der Wettbewerbspolitik (56 % Ja)? Was sind die Hauptgründe für die Aufhebung von Behördenentscheidungen? Ist die Anrufung des Gerichts ein Hauptgrund, einen Zusammenschluss aufzugeben (gemischtes Bild)? Wie verhält es sich mit der Bestätigung oder Herabsetzung verhängter Geldbußen durch die Gerichte?
Fazit: Interessante Materialsammlung, aber die Nutzanwendung ist nicht klar.
- Obstruction of Justice in Cartel Investigations (23 Seiten)
Dieses Thema wurde auch bei den voraufgegangenen beiden Konferenzen behandelt. Es ging zunächst um eine Bestandsaufnahme. 15 Wettbewerbsbehörden, darunter auch das Bundeskartellamt, haben einen Fragebogen ausgefüllt. Daraus ergibt sich, dass in den befragten Ländern Sanktionen gegen Kartellanten verhängt werden können, die Untersuchungen behindern, dies aber höchst selten geschieht.
Das Papier beschreibt drei Gruppen von Behinderungen: falsche Angaben (mündlich, schriftlich, unvollständige Auskünfte), Vernichtung, Fälschung oder Zurückhalten von Dokumenten, Beeinflussung von Zeugen. Warum wird dies so selten verfolgt? Die meisten Wettbewerbsbehörden geben an, in vermuteten Fällen von Behinderungen reiche das Material für einen gerichtsfesten Beweis nicht aus.
Bedenklich ist eine Feststellung, die schon in der Einleitung des Papiers enthalten ist: die Gesetze, die Behinderungen pönalisieren, müssen den eigentlichen Kartellstrafen entsprechen (mirror) oder sogar strenger sein (more severe). Hier sollte man vielleicht noch einen Blick auf die Grundprinzipien des allgemeinen Strafprozesses werfen.
- Interaction of Public and Private Enforcement in Cartel Cases (56 Seiten)
Dies ist ein rechtspolitisch sehr interessantes Dokument. Es ist aus europäischer Sicht mit dem Grünbuch der Kommission über die private Rechtsdurchsetzung in Verbindung zu bringen.
Im ersten Teil wird die Rechtslage in 32 Ländern, und zwar nicht in Form von Länderberichten, sondern nach Regelungsgegenständen geordnet, beschrieben (Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche, Verschulden, Arten des Schadensersatzes, andere Formen der Haftung wie Disqualifikation von Managern, Strafschadensersatz, Rechtfertigungsgründe, passing-on-defence, Mitverschulden, Berechnung des Schadensersatzes, Zinsen).
In diesem Teil werden auch prozessuale Fragen betrachtet (Spezialgerichte, Klagebefugnis, Kollektivklagen, alternative Streitbeilegung, Beweislast, Beweismaß, Beweismittel, Discovery, Sachverständige, Kausalität, Kosten).
Im zweiten Teil wird die private Rechtsverfolgung mit ihren beiden Zielen der Kompensation und der Abschreckung in ihrem Verhältnis zur Verfolgung von Kartellen durch die Wettbewerbsbehörden analysiert. Hier geht es um Fragen wie den Rückgriff der Gerichte oder der Parteien auf Unterlagen der Wettbewerbsbehörden, die präjudizielle Wirkung von Behördenentscheidungen, aber auch um die Auswirkung von Privatklagen auf die Bonusprogramme.
Das Papier enthält sich im Schlussteil konkreter Empfehlungen, sondern verweist nur auf die zunehmende Bedeutung von Privatklagen, aber auch auf die verschiedenen Hindernisse, die ein Kläger überwinden muss, um heute erfolgreich zu sein.
- Cooperation Between Competition Agencies in Cartel Investigations (35 Seiten)
ICN geht in zwei Schritten vor. Mit diesem Dokument wird zunächst eine Bestandsaufnahme vorgelegt und dargestellt, welche Probleme bei der Zusammenarbeit von Wettbewerbsbehörden bewältigt werden müssen. Auf der nächsten Konferenz in Moskau soll dann über Verbesserungen entschieden werden.
Die Zusammenarbeit wird zunächst zeitlich unterteilt in die Phase vor einer Untersuchung, die Untersuchung selbst und die Phase der Verfolgung und Bestrafung eines Verhaltens. Der Informationsaustausch, der das ICN bereits beschäftigt hat, wird als besonders wichtiges Mittel der Kooperation bezeichnet. Unterschieden werden ferner die Zusammenarbeit auf informeller Grundlage, mit Zustimmung der Betroffenen (waiver) auf der Basis nationalen Rechts oder allgemeiner völkerrechtlicher Verträge (Rechtshilfe) oder mittels besonderer wettbewerbsrechtlicher Abkommen (comity).
Als Probleme werden bezeichnet: Komplexität und Dauer verschiedener Verfahren der Zusammenarbeit (besonders wenn Gerichte eingeschaltet werden müssen), Fehlen von Zustimmungen der Parteien, fehlende Rechtsgrundlagen bei Kooperationen, Schwierigkeiten bei der Weitergabe vertraulicher Informationen, Unzulässigkeit bestimmter Beweismittel, Hindernisse bei der Weitergabe von Behördeninformationen.
Im Arbeitsplan der Gruppe erscheint auch die Frage, ob die unterschiedlichen Bonusprogramme eine Zusammenarbeit erschweren und ob Konvergenz angestrebt werden sollte.
- Missbrauch marktbeherrschender Stellungen
Dazu gibt es bisher nur das Mandat und einen Arbeitsplan, den die FTC und das Bundeskartellamt aufgestellt haben. In der ersten Phase sollen die Grundfragen untersucht werden (Konsumentenwohlfahrt als Ziel, Marktmacht und ihre Feststellung, Zeitpunkt für Eingriffe der Behörden), während in der zweiten Phase einzelne Missbräuche und Verteidigungen betrachtet werden. Dies deckt sich fast vollständig mit der Überprüfung der Praxis zu Artikel 82 EU durch die Kommission und mit den parallelen Untersuchungen zu Sec. 2 Sherman Act durch FTC und DoJ in den USA.
- Report of the ICN Working Group on Telecommunications Services (31 Seiten) und Suggested Best Practices
Der Bericht der Arbeitsgruppe befasst sich einleitend mit den wirtschaftlichen Bedingungen der Telekommunikation und den technischen Fortschritten mit Blick auf die Wettbewerbsaspekte. Danach wird unter Rückgriff auf Beispiele verschiedener Länder erläutert, wie der Weg von regulierten Staatsmonopol zu einem wettbewerblichen Umfeld gestaltet werden kann und welche Hauptprobleme dabei gelöst werden müssen (vor allem die Verhinderung übermäßiger Preise für die Netznutzung durch den Netzinhaber). Das Ziel einer Anreizregulierung kann auf den verschiedensten Wegen erreicht werden.
Dies führt zu den eigentlichen Wettbewerbsproblemen wie Kampfpreisen, Preisdiskriminierungen, Vorenthalten von Netzwerkinformationen, aber auch zu Kopplungen, Ausschließlichkeitsbindungen, Kreuzsubventionierungen oder dem strategischen Einsatz von gewerblichen Schutzrechten. Erörtert wird ferner, ob eine vertikale Trennung von Netz und Betrieb empfehlenswert ist und welche Modelle dafür zur Verfügung stehen. In einem letzten Teil wird besprochen, welche Rolle Regulierungsbehörden (Eingriff ex ante) und Wettbewerbsbehörden (Eingriff ex post) spielen können, wie sie sich in ihren Aufgaben und Zielen unterscheiden und welche Möglichkeiten für ein Zusammenwirken bestehen.
Der Bericht wird durch „Suggested Best Practices“ ergänzt, die sich an die nationalen Gesetzgeber richten und ihnen nahe legen, was bei einer Marktöffnung in der Telekommunikation tunlichst beachtet werden sollte.