16.11.2005
XXXIII. FIW-Seminar "Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts" am 10. und 11. November in Köln
Deutschland
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Eigener Bericht
Das Seminar, das die Reihe der Veranstaltungen des FIW in diesem Jahr abschließt, fand im Hotel Crowne Plaza mit etwa 50 Teilnehmern statt. Das Programm umfasste sieben Vorträge, die Besichtigung einer Sonderausstellung „Pariser Leben“ im Wallraf-Richartz-Museum und ein Abendessen im Hotel Maritim.
Von den Vorträgen ist kurz festzuhalten:
Dr. Peter Klocker (Vizepräsident des Bundeskartellamts): Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts 2005/2006
- Wichtige Kartellverfahren gegen Industrieversicherer, Untersagungsverfahren gegen das DSD eingestellt.
- Missbrauchsverfahren gegen die Deutsche Post AG (Behinderung von Konsolidierern), Schlecker (Verkauf unter Einstandspreis), Energieunternehmen (Vertragslaufzeiten, Preishöhenmissbrauch, Einpreisung der CO²-Zertifikate).
- Verschiedene herausragende Fusionskontrollverfahren (Untersagung im Munitionsbereich, verschiedene Fusionen von Krankenhäusern, Fälle im Mediensektor sowie in der Entsorgung).
- Verschiedene wichtige Änderungen durch die GWB-Novelle (in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kann nunmehr der BGH angerufen werden, Klarstellung bei der räumlichen Marktabgrenzung in § 19 II 3 GWB, Auswirkungen dieser Bestimmung auf die Bagatellmarktklausel noch nicht eindeutig).
- Entscheidung, wonach kein Anlass zum Tätigwerden besteht (§ 32 c GWB), soll zu einem „System von Leitentscheidungen“ führen (kein Rechtsanspruch auf die Entscheidung, außer im Fall des § 3 II GWB – Mittelstandskooperation), erste Entscheidung ergeht in diesen Tagen und betrifft die Zwischenstaatlichkeit.
- Neue Bußgeldregeln werden nur auf Neufälle angewendet. Sachverhalte, die beim Inkrafttreten der Novelle noch nicht abgeschlossen waren, werden nach dem milderen Recht (meist das alte) beurteilt.
- Verschiedene Veröffentlichungen des Amtes werden überarbeitet: Bagatellbekanntmachung, Merkblatt für Mittelstandskooperationen, neue Leitlinien zur Bußgeldbemessung, im ECN wird an eine Angleichung der Bonus-Programme gearbeitet.
Michael Baron (Ministerialrat, Bundesministerium für Wirtschaft): Sanktionen bei Kartellverstößen in der GWB-Novelle und das Grünbuch der EU-Kommission
- Geldbußen dienten bisher in Deutschland der Ahndung und der Abschöpfung des Gewinns, in der EU nur dem ersteren Zweck. Nach der Novelle hat das Bundeskartellamt nun ein Wahlrecht. Regelsatz ist 1 Million Euro, Kappungsgrenze 10 Prozent des Gesamtumsatzes (Umsatz im Jahr vor der Gerichtsentscheidung).
- Die Geldbuße wurde bisher nach § 17 III OWiG bemessen (mindestens der Vorteil aus der Tat, höchstens das Dreifache), nun aber nach Dauer und Schwere des Verstoßes. Die Kommission überarbeitet ihre Leitlinien, Deutschland wird sich dem anpassen.
- Die Regelung des Schadensersatzes war bislang nicht effektiv. Das Courage-Urteil des EuGH zwang zum Handeln. Es fand eine „gewisse Angleichung“ an die USA statt. Die neuen Ansprüche werden wahrscheinlich hauptsächlich bei follow-on-Klagen praktisch werden.
- Den Gerichten bleicht die Beurteilung überlassen, wann die Weitergabe des Schadens Ansprüche ausschließt (passing-on-Verteidigung). Ob andere als die Erstabnehmer Klagen erheben werden, bleibt abzuwarten. Schwierig wird auf jeden Fall die Berechnung des Schadensersatzes wegen des Vergleiches mit dem hypothetischen Verlauf ohne das Kartell.
- Es ist einzuräumen, dass zur Bonusregelung ein Spannungsverhältnis besteht: Wer sich als erster selbst anzeigt, muss auch als erster mit einer Zivilklage rechnen. Bei Klagen wird oft der Gerichtsstand ausgewählt werden können, was Folge der EU-Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten und Vollstreckung ist.
- Die Vorteilsabschöpfung ergänzt die Ahndung des Verstoßes. Sie wird mit dem Schadensersatz verrechnet. Nur Wirtschaftsverbände können auf Herausgabe des Mehrerlöses klagen, nicht aber Verbraucherverbände (Änderung im Vermittlungsausschuss).
Dr. Hans-Jürgen Ruppelt (Vorsitzender der 9. Beschlussabteilung, Bundeskartellamt): Kartellrechtliche Probleme der Liberalisierung des Verkehrssektors
- Der Stand der Liberalisierung in der EU ist in den einzelnen Sektoren sehr unterschiedlich, was auf verschiedenen Faktoren beruht (Leichtigkeit des Marktzutritts, Aspekte der Daseinsvorsorge, Reziprozität als Vorstufe der Harmonisierung). Der Staat ist dabei Gesetzgeber, Kapitalgeber, Anbieter und Nachfrager, zuletzt auch Schiedsrichter, der über die Einhaltung der Regel wacht.
- Der Markt wird überall von quantitativem und qualitativem Wachstum gekennzeichnet. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Bereich integriert werden (Intermodaler Wettbewerb).
- Schienenverkehr: Deutsche Bahn AG 90 Prozent Marktanteil, man steht noch sehr am Anfang. Netzzugang steht im Vordergrund.
- Schienenpersonenfernverkehr: Kaum wettbewerbliche Ansätze, Streit um Aufnahme der Fahrplandaten der Wettbewerber in die DB-Kursbücher.
- Schienenpersonennahverkehr: DB-Regio Marktanteil 90 Prozent, aber Wettbewerber kommen bei Ausschreibungen zum Zuge (Wettbewerb um den Markt). Freigabefusion DB / Üstra unter Auflagen, Untersagung DB / KVS Saarlouis.
- Schifffahrt: Wachstum bei Containerschifffahrt, Kommission betrachtet Konsortien und Konferenzen kritisch, erwägt Wegfall der Gruppenfreistellung.
- Luftverkehr: Weitgehende Liberalisierung, aber Konzentrationen (Allianzen), was zu Auflagen bei kartellrechtlichen Bedenken führt. In Deutschland hat Lufthansa immer noch die überragende Marktstellung und unterliegt der Missbrauchsaufsicht, aber Wettbewerb anderer Anbieter nimmt zu, Konkurrenz auch durch die Deutsche Bahn AG (Hochgeschwindigkeitszüge).
- Post: Deutsche Post AG immer noch marktbeherrschend (Zusammenschluss DP / trans-o-flex). Wettbewerb außerhalb der Exklusivlizenz bisher nur 10 Prozent, aber zunehmende Tendenz. Deutsche Post ist verpflichtet, Konsolidierern dieselben Rabatte wie Großkunden zu gewähren, die Sendungen vorsortieren.
Professor Helmuth Schröter (Brüssel): Die Nachfragemacht im EG-Wettbewerbsrecht
- In der Fusionskontrolle wird die Nachfragemacht oft als Relativierung einer starken Stellung im Markt berücksichtigt, während Nachfragekartelle (Artikel 81, 82) eher eine geringe Rolle in der Entscheidungspraxis der Kommission spielen. Gründe: Vielfachzuständigkeit der nationalen Behörden, schwierige Ermittlungen, Druck auf die Preise der Anbieter wird manchmal fälschlich als gut für die Verbraucher angesehen.
- Durch Nachfragemacht wird der Wettbewerb beschränkt, indem die Preise des Anbieters unter das Wettbewerbsniveau gedrückt werden. Der Nachfrager ist allerdings seinerseits wieder Anbieter auf seinem eigenen Absatzmarkt, der deshalb zum Beschaffungsmarkt in einer Interdependenz steht.
- Einkaufsgemeinschaften (Nachfragekartelle) lassen sich nach Artikel 81.3 EU als Gegenmacht zu starken Anbietern rechtfertigen. Die Vorteile der günstigen Beschaffung werden meist an den Verbraucher weitergegeben. Zu beachten ist deshalb, dass die Voraussetzungen der Freistellung auf beiden Märkten (Einkauf und Weiterveräußerung) bejaht werden müssen.
- Bedenklich ist die Entscheidung Femin des EuG: Beschaffung durch Krankenhaus (öffentliche Hand) zum eigenen Verbrauch ist überhaupt keine unternehmerische Tätigkeit. Sollte dies die europäische Linie bleiben, fallen große Teile des öffentlichen Beschaffungswesens aus dem Wettbewerbsrecht heraus (BGH-Fall: gemeinsame Beschaffung von Fahrzeugen für die Feuerwehr durch mehrere Kommunen).
- Bei Artikel 82 EU findet ebenfalls eine Doppelprüfung statt: Hat der Nachfrager gegenüber anderen Nachfragern eine marktbeherrschende Stellung? Kann der Anbieter dem Druck des Nachfragers ausweichen? Bei der zweiten Frage kommt es auf die Abhängigkeit des Lieferanten an, wo schon geringe Lieferquoten ausreichen (ca. 20 Prozent des Umsatzes).
- Das Vorgehen gegen Nachfragemacht stößt oft an Grenzen, weil Anbieter zögern, „Ross und Reiter“ zu nennen. Auch dies mag erklären, warum die Entscheidungspraxis so spärlich geblieben ist.
RA Dr. Karsten Metzlaff (Nörr Stiefenhofer, Berlin): Ermittlungen der Kartellbehörden – Vorbeugung und richtiges Verhalten
- Wenn Beamte zu Ermittlungen eintreffen, muss jeder Betroffene im Unternehmen genau wissen, was zu tun ist. Dafür ist Vorsorge zu treffen („Notfallpläne“).
- Solche Pläne sollten für den Empfang, die Geschäftsleitung, die Rechtsabteilung und die Sekretariate ausgearbeitet werden. Dabei ist auf Verständlichkeit (aus der Sicht des Adressaten) Wert zu legen. Lange und komplizierte Erläuterungen sind zu vermeiden.
- Das Unternehmen sollte durchaus seine Rechte wahren, im übrigen aber kooperieren. Konfrontation ist meist zwecklos, regelmäßig unnötig und zahlt sich am Ende fast nie aus.
- Das Unternehmen sollte eine Kontaktperson benennen, die alles koordiniert, was während der Ermittlungen zu geschehen hat, vom Empfang der Beamten bis zur Nachprüfung, welche Dokumente am Ende mitgenommen werden. Wichtig ist die schnelle Hinzuziehung externer Anwälte (Problem der angemessenen Wartefrist).
- Es sollten genügend Begleiter und Protokollanten bereit stehen, wenn sich die Gruppe der Beamten im Unternehmen aufteilt. Im Einzelfall muss schnell beantwortet werden können, was die Beamten tun dürfen und wogegen man sich wehren muss (unzulässige Fragen, Einsicht in geschützte Korrespondenz). Es muss eine Person verfügbar sein, die sich bei den Grenzen der Ermittlungsbefugnisse gut auskennt (Anwalt, Rechtsabteilung).
- Es ist festzuhalten, was die Beamten eingesehen haben und was kopiert worden ist (Zweitkopie für das Unternehmen und die Anwälte).
- Das Unternehmen sollte es nicht dabei belassen, nur den Notfallplan aufzustellen, sondern gelegentlich nachprüfen, ob er funktioniert (etwa hinsichtlich der Erreichbarkeit von Anwälten). Was geboten ist, muss aber letztlich jedes Unternehmen für sich entscheiden.
Professor Daniel Zimmer (Bonn): Verwendung ökonometrischer Methoden in Fusionskontrollverfahren
- Regressionsanalysen zur Präsenz von Wettbewerbern und der Höhe von Preisen: Fälle GE / Instrumentarium (Kommission), Staples / Office Depot (USA)
- Win-loss-Analysen: Fall Philips / Agilent (Kommission)
- Schockanalyse (historische Ereignisse): Fall Volvo / Renault VI (Kommission)
- Elastizitätsmessung: Fall UPM / Kymmene Haindl (Kommission)
- Kreuzpreiselastizitäten: Fall Kraft / Nabisco (USA)
- Diversion Ratio: Fall Swedish Match (USA)
- Simulation von Zusammenschlüssen: Fall Volvo / Scania (Kommission)
- Besonders instruktiv ist der Fall Oracle / Peoplesoft: lesenswerte Entscheidung von Richter Walker (District Court, Northern District of California) zur Beweisführung des Justizministeriums, ferner auch die nachfolgende Entscheidung der Kommission.
RA Jochen Burrichter (Hengeler Müller, Düsseldorf): Selbsteinschätzung, Entscheidungen gemäß Artikel 10 VO 1/03 und § 32 c GWB sowie Beratungsschreiben
- Im System der Legalausnahme obliegt es nunmehr den Unternehmen, selbst zu prüfen, ob ihr Verhalten wettbewerbsbeschränkend oder nach Artikel 81.3 EU freigestellt ist. Zur Beurteilung müssen alle Informations- und Erkenntnisquellen benutzt werden (Entscheidungen, GFVO, Bekanntmachungen, Leitlinien usw.). die Anstrengungen hängen auch von der Unternehmensgröße ab.
- Für eine Konsultation der Behörden werden oft die Voraussetzungen fehlen. Kleine Unternehmen müssen daher auf externen Sachverstand zurückgreifen. Auf externe Expertisen kann man sich in der Regel verlassen, es sei denn, sie haben offenkundige Mängel. Bei Rechtsbeziehungen von längerer Dauer ist zwischendurch zu prüfen, ob die Freistellungsvoraussetzungen noch vorliegen. Vertragliche Abmachungen mit dem Vertragspartner können das Risiko des Unternehmens mindern (Festlegung von Beobachtungspflichten, Auferlegung des Bußgeldrisikos bei Informationsgefälle zwischen den Partnern, salvatorische Klauseln).
- Hat das Unternehmen bei Artikel 81.3 EU einen Beurteilungsspielraum wie die Kommission? Dies widerspricht in zivilrechtlichen Situationen deutschen Rechtsgrundsätzen: volle Nachprüfung durch das Gericht. Bei Prognosen erkennt das Gericht den Maßstab der „ausreichenden Wahrscheinlichkeit“ an. Bei unvermeidbarem Subsumptionsirrtum entfällt zudem der Vorsatz („symbolische Geldbuße“).
- Entscheidungen der Kommission nach Artikel 10 VO 1/03 werden wegen des Erfordernisses des öffentlichen Interesses der Gemeinschaft an der Entscheidung schwer herbeizuführen sein (kein Rechtsanspruch). Entscheidungen nach Artikel 32 c GWB (kein Anlass zum Tätigwerden) stehen im Ermessen des Bundeskartellamts (außer im Falle des § 3 II GWB). Die Bedeutung in der Praxis wird deshalb eher als gering einzuschätzen sein.
- Beratungsschreiben der Kommission sind an enge Voraussetzungen gebunden (neue, ungeklärte Frage, Zweckmäßigkeit, keine Ermittlungen nötig, kein Rechtsanspruch) und daher nur selten eine Hilfe. Informelle Konsultation der Kommission und des Bundeskartellamts ist weiter wie bisher möglich, aber es fragt sich, ob dies mehr Sicherheit erzeugen kann als eine sorgfältige Selbsteinschätzung mittels guter Berater.