26.04.2005
UK: Beitrag des OFT zur Reform des Artikel 82 EU
Großbritannien
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https://www.oft.gov.uk |
Im vergangenen Jahr begann die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission mit einer Überprüfung der Praxis zu Artikel 82 EU, der den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen verhindern soll. Es gibt bisher kaum Beiträge, die sich mit diesem wichtigen Vorhaben grundsätzlich auseinandersetzen. Nun ist in Großbritannien ein Beitrag veröffentlicht worden, der auch in Deutschland Beachtung finden sollte, weil die Probleme klar benannt und verschiedene Optionen gegeneinander abgewogen werden.
Dr. Amelia Fletcher ist Chefökonomin der britischen Wettbewerbsbehörde, des Office of Fair Trading. Sie hat am 15. März 2005 in Brüssel vor dem Competition Law Forum über "The reform of Article 82: Recommendations on key policy objectives" gesprochen. Sie äußert in dem Vortrag ihre persönliche Meinung, aber man geht nicht fehl, wenn man annimmt, dass Überlegungen wiedergegeben werden, die im OFT erörtert werden:
- Ausgangspunkt ist die Notwendigkeit, auch bei Artikel 82 von formalisierten Regeln zu einem ökonomischen Ansatz überzugehen. Dabei gilt als Prinzip: "... it is in fact hard to think of any form of unilateral behaviour that will only ever be harmful, or even any form of behaviour of which it is possible to say that it will tend to be harmful on average (ie more often harmful than not), even when carried out by dominant firms, without considering the market context in which the behaviour occurs."
- Auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise benötigt feste Beurteilungskriterien für die vier entscheidenden Problemkreise: wettbewerbsbeschränkende Wirkung, wettbewerbsbeschränkende Absicht, Zurückverdienen der Kosten einer Behinderungsstrategie (recoupment) und Effinzienzvorteile. Eine genauere Betrachtung zeigt Unterschiede zwischen den amerikanischen und den europäischen Lösungen. Nicht die Übernahme der amerikanischen Position, sondern ein Mittelweg wird zur Diskussion gestellt.
- Die wettbewerbsbehindernde Wirkung wirft die Frage auf, wer oder was behindert wird: der Wettbewerb oder die Wettbewerber. Schwierig wird es, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nicht alle, sondern nur einige Wettbewerber behindert. Müssen Wettbewerber vollständig ausgeschlossen werden oder genügt es, wenn ihr Wachstum eingeschränkt wird? Empfohlen wird, darauf abzustellen, ob das marktbeherrschende Unternehmen in der Lage ist, sich wie ein Monopolist zu verhalten.
Wie stark muss die Wirkung einer Strategie sein, um einen Missbrauch darzustellen? Wie muss der zugefügte Nachteil beschaffen sein: substantial, demonstrable, likely, probable? Es wird erörtert, inwiefern man darauf abheben darf, dass eine Verhaltensweise einen "effizienten Wettbewerber" übrig lässt, also nur ineffiziente Wettbewerber schädigt. Dies führt zur weiteren Frage, wie man die Effizienz eines solchen Wettbewerbers einzuschätzen hat. Das marktbeherrschende Unternehmen hat als eingesessener Wettbewerber "first-mover advantages". Sind sie einzubeziehen? Es wird vorgeschlagen, vor allem solche Unternehmen gegen Behinderungsstrategien zu schützen, die auch dann noch effizient sind, wenn sie die "first-mover advantages" wettmachen müssen.
Wichtig ist auf jeden Fall, dass man ein Konzept für alle Behinderungsstrategien entwickelt (kein "category shopping"). - Die EU-Praxis stellt nicht darauf ab, dass eine wettbewerbsbehindernde Absicht vorliegt. Vielmehr obliegt dem marktbeherrschenden Unternehmen von vornherein eine Pflicht zur Rücksichtnahme, nämlich eine "besondere Verantwortung" für den Wettbewerb. Dies macht die Abgrenzung erlaubter von unerlaubten Verhaltensweisen schwierig.
In den USA wird im Anschluss an Bain zwischen "blockaded entry" und "deterred entry" unterschieden. Der blockierte Markteintritt ergibt sich oft aus erlaubtem Verhalten. In den USA erfolgt die Trennung durch das subjektive Kriterium der "wilfulness" (was dort als Kriterium sinnvoll ist, weil auch nicht-marktbeherrschende Unternehmen gegen das Verbot der Monopolisierung verstoßen können).
Wenn man Absicht verlangt, stellt sich das weitere Problem des Beweises: muss die Absicht direkt nachgewiesen werden oder kann man sie aus dem Verhalten erschließen? Bei letzterem kann der Verzicht auf Gewinn eine Rolle spielen. In den USA wird neuerdings der "no economic sense test" praktiziert: hat das Verhalten einen wirtschaftlichen Sinn (außer der Behinderungstendenz)? Angeregt wird, auf den Nachweis der Absicht zu verzichten, das Fehlen einer Absicht aber als Faktor gegen das Vorliegen eines Missbrauchs zu werten. - Muss das marktbeherrschende Unternehmen die Möglichkeit haben, die Kosten seiner Strategie nach dem Ausscheiden seines Wettbewerbers zurückzuverdienen (recoupment)? In den USA muss dies wahrscheinlich sein (dangerous probability), in Europa bedarf es dieses Nachweises nicht. Dies könnte man rechtfertigen, wenn die Schwelle der Marktbeherrschung sehr hoch wäre (sie ist in den USA niedriger als in Europa).
Die Beweisschwierigkeiten für ein recoupment sind beträchtlich, wie die Praxis in den USA zeigt, wo es kaum Fälle von Verurteilungen gibt. Deshalb wird auch hier vorgeschlagen: recoupment ist für Missbrauch nicht erforderlich, aber der Ausschluss dieser Möglichkeit würde gegen einen Missbrauch sprechen (mitigating factor). - Effizienzvorteile sollten stärker berücksichtigt werden, was aber schwierig ist, weil Artikel 82 keinen Artikel 81 Absatz 3 EU vergleichbaren Ansatz bietet. Man könnte bei der "Rechtfertigung" des Verhaltens ansetzen, aber dies hat Schwächen (besonders die enge Auslegung des Begriffs).
- Als Generallinie wird empfohlen: Man betrachtet das marktbeherrschende Unternehmen und rechnet ihm die first-mover advantages zu. Ist der ausgeschlossenen Wettbewerber selbst unter Berücksichtigung dieser Vorteile effizienter, ist die Behinderung stets ein Missbrauch. Rechnet man dem marktbeherrschenden Unternehmen diese Vorteile nicht zu und ist der behinderte Wettbewerber dann ebenfalls noch effizienter, wird typischerweise kein Missbrauch anzunehmen sein (a finding of abuse will not typically be made).