11.03.2005
Kommission prüft Verlängerung der Gruppenfreistellungsverordnung für den Luftverkehr
EU
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https://www.europa.eu.int/comm/competition |
Die Gruppenfreistellungsverordnung 1617/93 vom 25.6.1993 (Amtsblatt L 155 vom 26.6.1993 S. 18) läuft am 30.6.2005 aus. Sie nimmt verschiedene Absprachen unter Fluggesellschaften vom Kartellverbot des Art. 81.1 EU aus: gemeinsame Planung von Flügen und Flugzeugzeiten, gemeinsame Durchführung von Flügen, Konsultationen über die Flugpreise für Passagiere und Fracht sowie über die Zuteilung von Start- und Landerechten (slots), jeweils unter bestimmten Bedingungen.
Am 30.6.2004 hat die Generaldirektion Wettbewerb ein Konsultationspapier (41 Seiten) veröffentlicht und alle Interessenten zu Stellungnahmen eingeladen. Daraufhin gingen 52 Äußerungen ein. Sie sind in ein Diskussionspapier (60 Seiten) eingeflossen, zu dem nun bis zum 2.4.2005 Kommentare abgegeben werden können. Dieser zweite Schritt ist nach Auffassung der Kommission nötig, um einige Bereiche vertiefter zu betrachten, bei denen die Generaldirektion Wettbewerb offensichtlich wettbewerbsrechtliche Probleme sieht. Dies betrifft vor allem die Zusammenarbeit der Fluggesellschaften in den IATA-Passagiertarif-Konferenzen (IATA Passenger Tariff Conferences).
Die Einzelheiten dieser sehr in Detail gehenden Diskussion sind zunächst für die Fluggesellschaften und ihre Kunden wichtig. Darüber hinaus kommen jedoch in den beiden Papieren zahlreiche allgemeine wettbewerbsrechtliche Probleme zur Sprache, die auch für breitere Kreise von Interesse sein könnten. So werden die relevanten Märkte, die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit von Fluggesellschaften untereinander und in der IATA und die Preisbildung für die sehr unterschiedlichen Arten von Flugtickets sehr anschaulich beschrieben.
- Fluggesellschaften können völlig unabhängig operieren. Aber es entwickeln sich immer größere Allianzen, in denen die Zusammenarbeit vorteilhafter organisiert werden kann. Darüber hinaus können Fluggesellschaften auch einzeln miteinander kooperieren (code sharing für bestimmte Flugrouten). Überwölbt wird dies von der Kooperation in der IATA, mittels deren vor allem Flugverbindungen der Mitglieder zusammengekoppelt werden können (interlining).
- Interlining ermöglicht Passagieren das problemlose Umsteigen auf einen Flug von A nach B über C (keine separaten Flüge, Gepäck wird durchbefördert). Solche Flüge können innerhalb einer Allianz veranstaltet werden, aber auch unter beliebigen IATA-Mitgliedern.
- Flugtickets sind entweder unbeschränkt (hinsichtlich Umbuchung, Umwegstrecken usw.) oder beschränkt (Änderungen nicht oder nur gegen Zuzahlung möglich). Dies ist für die Preisbildung mit entscheidend.
- Der relevante Markt ist traditionell die einzelne Flugstrecke von A nach B. Dabei unterscheidet die Kommission noch getrennte Märkte für zeitempfindliche und zeitunempfindliche Reisende (Geschäftsreisende / Touristen). Für viele Strecken werden IATA-Tickets (bei denen Interlining möglich ist, also etwa ein Wechsel der Fluglinie für den Rückflug) neben Tickets der Allianz (ebenfalls voll flexibel mit Linienwechsel innerhalb der Allianz) oder beschränkt (ohne Umbuchung usw.) angeboten. Den Fluglinien erlaubt dies, durch optimale Auslastung der Flugzeuge auf einer Strecke den Gewinn zu maximieren.
- Die Kommission untersucht die IATA Passenger Tariff Conferences genau. Ihr Ziel ist es, das Interlining zu erleichtern, was auch eine Verständigung über die Flugpreise und die daran geknüpften Bedingungen einschließt. Über Vorschläge wird in der Konferenz abgestimmt, wobei jede Gesellschaft ein Vetorecht hat. Seine Ausübung führt zu bilateralen Verhandlungen und eventuell zu neuen Vorschlägen. Dabei werden sensible Informationen ausgetauscht, Preise erörtert und eine bilaterale Zusammenarbeit, die nicht völlig transparent verläuft, angeregt. So sieht es jedenfalls die Kommission.
- IATA meint hingegen, die Zusammenarbeit falle schon nicht unter Art. 81.1 EU, weil es sich um eine erlaubte Form der Zusammenarbeit nach den Leitlinien über die horizontale Kooperation handele: es gehe nicht um Preisabsprachen, sondern um die gemeinsame Durchführung eines Fluges von A nach B, bei dem zwei Teilflüge A – C und C – B von verschiedenen Fluggesellschaften durchgeführt werden. Die Kommission räumt dies ein, rückt aber die Kollusionsgefahr in den Vordergrund, die durch die Abstimmung in der Konferenz entsteht.
- Deshalb tritt die Kommission auch in die Prüfung nach Art. 81.3 EU ein. Sie verkennt dabei nicht die großen Vorteile für die Fluggäste, die durch Interlining entstehen ("seamless travel"). Sie ist sich aber noch nicht im Klaren, ob nicht ein milderes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes zur Verfügung steht. Sie fragt insbesondere, ob ein "posted price system" statt einer Konferenz ausreichen würde: die Fluggesellschaften X und Y würden dann für die jeweiligen Strecken (A – C, C – B) ihre Interlining-Tarife veröffentlichen, so dass die andere Gesellschaft diesen Preisbestandteil kennen würde.