24.05.2005
FIW: Bonner Kolloquium und Mitgliederversammlung 2005
FIW
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Das Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb hielt am 23. Mai 2005 in Bonn (Hotel Bristol) seine Mitgliederversammlung ab. Der Vorsitzende, Dr. Hans Christoph von Rohr, konnte feststellen, dass 2004 für das FIW ein erfolgreiches Jahr mit gut besuchten Veranstaltungen war und dass sich die finanzielle Lage durch die Gewinnung neuer Förderer weiter verbessert hat. Wahlen standen diesmal nicht an.
Nach der Mitgliederversammlung fand wiederum das "Bonner Kolloquium" statt, das vom FIW gemeinsam mit dem Bundeskartellamt ausgerichtet wird. Rund 150 Gäste wohnten einer interessanten Podiumsdiskussion über das Thema "Wie teuer sind Kartellverstöße?" bei:
Dr. Felix Engelsing, Leiter des Referates Deutsches und Europäisches Kartellrecht im Bundeskartellamt, beschrieb einleitend die geltenden Rechtsgrundlagen für die Bemessung von Geldbußen in Deutschland (einschließlich der Änderungen durch die kommende GWB-Novelle) und in der EU (Leitlinien von 1998) und erläuterte dann die Amnestieprogramme (Bundeskartellamt 2000, Europäische Union 2002) und ihre Unterschiede.
Mittlerweile haben 17 EU-Mitgliedstaaten ein Leniency-Programm. In Brüssel wird über ein System des "one-stop-shop" nachgedacht, bei dem möglichst ein einziger Antrag Wirkungen in mehreren Ländern entfaltet. Auch wird geprüft, ob und wie die Amnestieprogramme, die inhaltlich noch voneinander abweichen, harmonisiert werden können. Erwogen wird ein "Marker-System", mit dem ein Unternehmen für seinen Antrag eine Priorität vor späteren Antragstellern erwerben könnte.
Professor Dr. Rainer Bechtold, Gleiss Lutz, trug einige Thesen vor:
- Es wird zu wenig zwischen leichten Kartellverstößen (Fehler bei der Selbstveranlagung im System der Legalausnahme) und hard-core Absprachen unterschieden: für alle Verstöße gilt grundsätzlich das gleiche Regime.
- Die Kronzeugenregelung beschränkt die Verteidigungsmöglichkeiten der Mitkartellanten, weil ihr Versuch, die Beweismittel des Kronzeugen zu entkräften, bei der Bußgeldbemessung als strafschärfend bewertet werden kann.
- Die Obergrenze für Geldbußen sind im EU-Recht zehn Prozent des Gesamtumsatzes eines Unternehmens. Unterhalb dieser Grenze hängt die Höhe des Bußgeldes von der Dauer und der Schwere des Verstoßes ab. Es ist rechtsstaatlich bedenklich, einer Verwaltungsbehörde ein solchermaßen fast unbeschränktes Ermessen einzuräumen. Außerdem kann die Behörde auf diese Weise durch einfache Verschärfung der Praxis Wettbewerbspolitik ohne Beteiligung des Gesetzgebers betreiben.
- Bei den Schadensersatzregelungen der GWB-Novelle wird nicht bedacht, dass sie in erster Linie dem Schadensausgleich zu dienen haben und die Abschreckungswirkung sich erst daraus ergibt, aber nicht an erster Stelle steht. Es ist falsch, denjenigen einen Anspruch einzuräumen, die keinen Schaden erlitten haben, nur um auf diese Weise Kartellanten von Verstößen abzuhalten.
- Ein strenges Schadensersatzregime kann sich nachteilig auf die Bereitschaft auswirken, sich als Kronzeuge zu melden, denn erfahrungsgemäß wird gerade der Kronzeuge als erster von den Geschädigten zivilrechtlich und gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
- Kartellverstöße sind nicht von vorneherein sozialschädlicher als andere Straftaten. Deshalb bedarf es der Rückbesinnung auf Grundsätze des Ordnungswidrigkeitenrechts, des Schadensersatzrechts und einer Respektierung der Verteidigungsrechte. Zudem müssen die Bußgeldsanktionen gesetzlich stärker präzisiert und damit das Behördenermessen eingeschränkt werden.
Professor Dr. Wulf-Henning Roth, Universität Bonn, setzte sich kritisch mit den geplanten Regelungen der GWB-Novelle (§§ 33 ff) auseinander:
- Mit der Aufgabe des Kriteriums der Zielgerichtetheit des Verstoßes werden für alle in der Abnehmerkette (indirect purchasers) Ansprüche geschaffen, also auch für einzelne Verbraucher.
- Gleichzeitig bleibt offen, ob die passing-on-defence erlaubt wird. Schließt man sie aus, kann es zu einer Kumulierung von Schadensersatzansprüchen gegen die Kartellanten kommen. Was dann zu geschehen hat, ist nicht geregelt.
- Ob die Bindung deutscher Gerichte an europäische Entscheidungen und Entscheidungen ausländischer Gerichte und Kartellbehörden praktisch werden wird, bleibt abzuwarten. Die Bindungswirkung besteht auch nur für den Verstoß im anderen Land, nicht aber für den Verstoß in Deutschland, wenn bei uns ein Verfahren geführt würde. Im übrigen drohen internationalprivatrechtliche Verwicklungen (Rechtswahl, Rückverweisung).
- Die Ashurst-Bestandsaufnahme über die Kartelldeliktsrechte in Europa zeigt deren Unterschiedlichkeit und damit auch die Möglichkeiten für ein forum shopping. Deshalb wird eine Harmonisierung wohl kommen müssen.
Hartmut Schauerte MdB/CDU, Berichterstatter für die GWB-Novelle, war auf Einladung Dr. von Rohrs zu der Veranstaltung gekommen und gab einige Informationen zur GWB-Novelle nach der Ankündigung von Neuwahlen zum Bundestag schon im Herbst 2005:
- Die GWB-Novelle wird gegenwärtig im Vermittlungsausschuss beraten. Welche Punkte aufgegriffen werden, steht noch nicht endgültig fest. Über die Pressefusion wird aber wohl nicht mehr verhandelt, weil die Widerstände, auch in der CDU und vor allem in den Bundesländern, zu groß sind. So bleibt es wohl beim alten Recht.
- Die Ministererlaubnis sollte noch stärker den Charakter einer Ausnahme erhalten, die Rechtsmittelfähigkeit muss unbedingt ungeschmälert erhalten bleiben.
- Gegen das System der Legalausnahme gibt es in keiner Fraktion Widerstände.
- Möglich wäre es, die 7. Novelle nicht zu verabschieden und sie statt dessen mit einer 8. Novelle des GWB zu verbinden, die das Vergaberecht zum Gegenstand haben und bereits vorbereitet wird. An sich besteht aber noch die Absicht, die 7. GWB-Novelle vor der Sommerpause zu verabschieden, aber ob dies gelingt, ist heute, am Tag nach der Ankündigung der Neuwahlen, noch nicht abzusehen.
Dr. von Rohr plädierte mit Zustimmung des Auditoriums sehr nachdrücklich für eine möglichst zügige Verabschiedung der GWB-Novelle, auf die man in der Praxis nun schon seit mehr als einem Jahr warten müsse. Der gegenwärtige Zustand ist für die gesamte Praxis, nicht nur für das Bundeskartellamt, unhaltbar.