03.08.2005
EU: Beratergruppe EAGCP veröffentlicht Gutachten zur Anwendung von Art. 82 EU
EU
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https://www.europe.eu.int/comm/competition |
Die Generaldirektion Wettbewerb überprüft seit mehr als einem Jahr ihre Anwendungspraxis zu Art. 82 EU. Sie hat dazu die Economic Advisory Group for Competition Policy (EAGCP) mit einem Gutachten beauftragt, das jetzt auf der Website veröffentlicht worden ist ("An Ecomomic Approach to Article 82").
EAGCP ist ein Gremium unabhängiger Wissenschaftler, die von der Wettbewerbskommissarin berufen worden sind. Es hat drei Untergruppen für Kartelle, Zusammenschlüsse und Beihilfen gebildet. Das Gutachten hat die Untergruppe Kartelle gefertigt. EAGCP gehören zwei Deutsche an: Professor Martin Hellwig (Bonn, ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission) und Professor Klaus Schmidt (München).
Das Gutachten umfasst 53 Seiten und besteht aus drei Kapiteln: Allgemeine Grundsätze (General Principles), Schädigungen des Wettbewerbs (Competitive Harms) und Konsequenzen für einzelne Praktiken (Implications for Practices).
I. General Principles
- Die Analyse soll nicht mehr von bestimmten Verhaltenskategorien (Koppelung, Diskriminierung, Treuerabatte usw.) ausgehen (form-based approach), sondern von den Wirkungen des Verhaltens (effects-based approach).
- Man berücksichtigt damit besser, dass verschiedene Verhaltensweisen dieselben Wirkungen hervorbringen, ein bestimmtes Verhalten wettbewerbshindernd oder wettbewerbsfördernd sein kann. Damit verfolgt man eine "rule of reason", mit der man den Besonderheiten des Einzelfalles gerecht werden kann.
- Die Beurteilung beginnt mit der Frage nach der Beeinträchtigung des Wettbewerbs (competitive harm). Der Schutz des Wettbewerbs allein soll dafür nicht ausreichen, sondern die Wirkungen eines Verhaltens auf die Wohlfahrt der Verbraucher (consumer welfare). Es geht mithin nicht um die Aufrechterhaltung bestimmter Marktstrukturen.
- Was dem Verbraucher dient, muss auch in der zeitlichen Dimension erfasst werden. Kurzfristige Niedrigpreise können sich langfristig in Monopolpreise verwandeln. Auch sind Wirkungen auf andere Märkte im Auge zu behalten.
- Für das Verfahren hat dieser Ansatz die Konsequenz, dass die Wettbewerbsbehörden nicht mit der Feststellung einer Marktbeherrschung beginnen, sondern sogleich fragen, worin die Beeinträchtigung der Verbraucher liegt und ob sie gerechtfertigt werden kann. Hat ein Verhalten negative Auswirkungen auf den Konsumenten, ist dies für sich ein Anzeichen für eine Marktbeherrschung. Hier liegt die entscheidende Abweichung des Gutachtens von der heutigen Praxis zu Art. 82.
- Die besondere Verantwortung des marktbeherrschenden Unternehmens, wie sie der EuGH fordert, würde damit auf alle Unternehmen ausgedehnt, die in der Lage sind, verbraucherschädliche Praktiken am Markt durchzusetzen, was durchaus auch unterhalb der Schwelle der Marktbeherrschung im Einzelfall möglich sein kann.
- Die Wettbewerbsbehörden müssen die Schädlichkeit eines Verhaltens beweisen, die Unternehmen können sich mit dem Aufzeigen von Effizienzen verteidigen.
II. Competitive Harms
- Es geht darum, auf dem Markt den Wettbewerb offen zu halten und Ausschluss tatsächlicher und potentieller Wettbewerber zu verhindern. Dabei ist der relevante Markt zu betrachten, aber auch benachbarte Märkte müssen in die Analyse einbezogen werden.
- Im relevanten Markt kann eine wettbewerbsschädigende Praxis darin liegen, dass ein Wettbewerber zum Austritt genötigt oder der Eintritt eines Rivalen blockiert wird. Dazu sind zwei Phasen zu unterscheiden: die Durchführung eines bestimmten negativen Verhaltens und (nach dessen Erfolg) die Zeit des Aufholens der Verluste durch diese Praxis (recoupment). In der ersten Phase können dabei durchaus Vorteile für den Verbraucher durch niedrige Preise auftreten, aber entscheidend sind die Langfristwirkungen. In diesem Zusammenhang werden drei Aspekte erörtert: reputation, single jamming und financial predation. Die beiden ersten sind im wesentlichen Praktiken der Abschreckung und Verwirrung von Wettbewerbern, die dritte besteht in der Errichtung und Ausnutzung einer Marktzutrittsschranke.
- Auf benachbarte (horizontal angrenzende) Märkte kann durch Praktiken wie Koppelungen, Rabatte, Verweigerung des Zugangs zu Schnittstellen, technische Integration oder Normsetzung eingewirkt werden. Die Praxis muss bewirken, dass durch das Verhalten auf einem Markt die Wettbewerber im anderen Markt behindert werden. Das Gutachten setzt sich hier mit der Auffassung der Chicago School auseinander, wonach ein Marktbeherrscher kein Interesse daran haben kann, auch einen benachbarten Markt zu dominieren, weist diese Sicht aber mit neueren wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zurück.
- Auf vertikal angrenzenden Märkten kann eine wettbewerbsschädigende Praxis in der Kontrolle eines Engpasses (bottleneck) bestehen, den Wettbewerber passieren müssen, um sich auf dem anderen Markt betätigen zu können (Beispiel: essential facilities). Strategie des kontrollierenden Unternehmens kann hier die vertikale Integration sein, aber auch die Herstellung von Inkompatibilität der Wettbewerbsprodukte mit der eigenen Schnittstelle oder Ausschließlichkeitsverträge mit Händlern. Auch hier setzt sich das Gutachten mit Lehren der Chicago School auseinander, wonach "leverage" dieser Art in der Regel keinen wirtschaftlichen Sinn macht. Dies wird im Grund bejaht, aber hinzugefügt, dass es durchaus Fälle geben kann, wo dies anders ist.
Implications for Practices
- Der wirkungsorientierte Ansatz wird in diesem Kapitel an verschiedenen traditionellen Fallgruppen demonstriert. Dabei werden in einem ersten Schritt die Behinderungswirkungen (exclusionary effects) diskutiert, in einem zweiten Schritt dann mögliche wettbewerbsfördernde Auswirkungen erörtert, bevor diese Abfolge jeweils an einem Fallbeispiel sichtbar gemacht wird.
- Auf diese Weise werden sechs Praktiken behandelt: Preisdiskriminierung (price discrimination), Rabatte (rebates), Koppelung (tying and bundling), Geschäftsverweigerung (refusal to deal), Ausschließlichkeitsbindungen (exclusive dealing) sowie Verkauf unter Herstellungspreis (predatory pricing).