23.11.2004
XXXII. FIW-Seminar "Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts" am 18. und 19. November in Köln
Deutschland
|
Eigener Bericht
Das Seminar fand im Hotel Crowne Plaza mit etwa 60 Teilnehmern statt. Herr Dr. Peter A. Spitze, Syndikus der Deutschen Bank und Mitglied des FIW Kuratoriums, leitete die Veranstaltung in Vertretung des verhinderten Vorsitzenden, Herrn Dr. von Rohr. "Aktuelle Schwerpunkte des Kartellrechts" - so der traditionelle Titel des Seminars - wurden in sieben Vorträgen von bekannten Referenten behandelt:
Frau Silke Hossenfelder, Bundeskartellamt: Erste Erfahrungen mit dem Behördennetzwerk
- Das Behördennetzwerk ist durch die VO 1/2003 etabliert worden. Es handelt sich um ein Intranet, in das Informationen über Beschwerden, aufgegriffene Fälle und Entscheidungsentwürfe eingegeben werden. Zugang haben die Fallbearbeiter, im Bundeskartellamt alle Vorsitzenden, Beisitzer und Referenten der Beschlussabteilungen. Die Sprache im Netz ist Englisch.
- Bisher hat die Kommission 95 Fälle in das Netz eingestellt, Frankreich 32, Deutschland 31. Dies sind gemeldete Fälle, in denen die Behörde aktiv geworden ist. Darunter sind viele Altfälle aus der Zeit vor Mai 2004, so dass man aus diesen Zahlen nicht auf das künftige Aufkommen schließen darf.
- Deutschland hat drei Entscheidungsentwürfe in das Netz gegeben. Die Kommission braucht ihre Entwürfe bekanntlich in dieser Weise nicht zu publizieren (die Mitgliedstaaten erhalten vor dem Beratenden Ausschuss Kenntnis).
- Die Fallverteilung ist nicht durch ein formelles Verfahren geregelt, sondern sie wird zwischen den Behörden diskutiert. Man nimmt oft schon in einem sehr frühen Stadium Kontakt auf. Die Gespräche laufen bisher fast nur zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten, kaum einmal unter den Mitgliedstaaten selbst. Es bilden sich erste Arbeitsteilungen heraus. Konflikte hat es für das Bundeskartellamt noch nicht gegeben.
- Amtshilfe und Austausch von Beweismitteln: es gibt bisher drei Fälle, an denen das Bundeskartellamt beteiligt war (Antrag an Österreich - Altpapier; Amtshilfe auf Antrag Italiens - Babymilch; ein weiterer, noch vertraulicher Fall).
- Leniency: von dem Programm wird weiterhin Gebrauch gemacht. Die Parallelanfragen bei mehreren Behörden nehmen zu.
- ECN ist eine sehr positive Entwicklung. Sie führt auch dazu, dass sich die Fallbearbeiter in den verschiedenen Behörden besser kennenlernen. Dies wird durch Austausch von Mitarbeitern noch gefördert.
Herr Christian Dobler, Ministerialrat im BMWA: Pressekartellrecht in der 7. GWB-Novelle
- 1995 bis 2002 hat das Bundeskartellamt 90 Pressefusionsfälle geprüft, darunter acht Zusammenschlüsse untersagt. Die Mehrzahl der Fälle betrifft Gemeinschaftsunternehmen. Bei Gerichtsentscheidungen ging es um die Zusammenschlusstatbestände und um die Marktabgrenzung (das Bundeskartellamt ist dabei fast immer bestätigt worden).
- 1976 gab es 121 "publizistische Einheiten" und 403 Verlage, 2001: 133 und 347. Die Fusionskontrolle ist in dieser Entwicklung nur ein Faktor neben der wirtschaftlichen Situation der Verlage und auch dem Beharrungsvermögen von Verlegern, die sich nur schwer von ihrem Unternehmen trennen. Die Konzentrationswelle hat sich jedenfalls abgeschwächt. Aber 50 Prozent Deutschlands sind Ein-Zeitungs-Gebiete.
- Anlass für die Debatte um die Pressefusionskontrolle sind rückläufige Auflagen, die Einflüsse des Internets, die Demographie (junge Leute lesen weniger), der Rückgang der Gewinne aus Anzeigen und Beilagen. Dies ist ein Trend überall in Europa.
- Das BMWA hat Handlungsbedarf bejaht: Erhöhung der Aufgreifschwelle auf 50 Millionen Euro, Geltung einer Bagatellklausel von 2 Millionen Euro, Erleichterungen bei der Kooperation, Erhaltung der Titelvielfalt durch die "Altverleger-Klausel" (Vorbild war hier übrigens der Vertrag beim Zusammenschluss WAZ/NRZ 1975). Eine Regelung der Marktabgrenzung hat das BMWA abgelehnt.
- Die Regierungskoalition ist gegenwärtig noch uneins. Die SPD sieht den Kompromiss in einem Ausbau der Kooperationsmöglichkeiten, die Grünen wollen Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz von allen Änderungen ausschließen. Die Haltung der Union ist unklar.
- Der Bundesrat ist am Zuge. Die letzte Sitzung in diesem Jahr findet am 17.12.2004 statt, die nächste dann erst am 18.02.2005.
Herr Dr. Rainer P. Lademann: Abschöpfung von Mehrerlösen und wirtschaftlichen Vorteilen aus wettbewerbsökonomischer Sicht
- Es geht um die Mehrerlöse durch einen Verstoß gegen das Kartellverbot, nicht um die Erlöse aus anderen Verstößen.
- Das Bundeskartellamt vergleicht den Kartellpreis mit einem hypothetischen Wettbewerbspreis. Dies ist aber nur zulässig, wenn bei völlig unelastischer Nachfrage die abgesetzte Menge gleich bleibt. In allen anderen Fällen muss berücksichtigt werden, dass ein höherer Preis zu niedrigeren Absatzmengen führt. Ferner muss unterstellt werden, dass die Kartellanten den Gewinn maximieren wollen (Kartelle haben jedoch manchmal auch andere Ziele).
- Hauptfolgen von Kartellen sind die Fehlallokation von Ressourcen, die Verringerung des Unternehmerrisikos und das Unterbleiben von Investitionen. Hier liegen die eigentlichen Wohlfahrtsverluste.
- Mehrerlöse kann man auf verschiedene Arten messen: durch eine Vergleichsmarktanalyse, durch Event-Studien (Herausrechnen des Kartellpreises durch Analyse der Auswirkungen der Kartellnachricht auf den Börsenkurs), durch Preis-Kosten-Analysen (Preis, der sich aus den tatsächlichen Kosten ergibt) und durch eine multiple Regressionsanalyse (Ermittlung des Kartelleffekts durch Herausrechnen anderer Faktoren, die Einfluss auf Umsatz und Preis haben).
- Der Mehrerlös ist nicht der richtige Maßstab für Kartellstrafen oder für den Vorteil des Kartellanten. Die Schätzung des Mehrerlöses wird eigentlich erst relevant, wenn die Spürbarkeit eines Wettbewerbsverstoßes eindeutig festgestellt worden ist.
Herr RA Dr. Christoph Stadler: Compliance Programmes
- Es geht um die Prävention gravierender Verstöße im Interesse des Unternehmens, aber auch der Mitarbeiter.
- Unternehmensinteressen: Reputation (vorrangig), Vermeidung von Bestrafung und Schadensersatz sowie von internen Kosten, Rückwirkung auf Vergabe öffentlicher Aufträge, Nichtigkeit von Rechtsgeschäften.
- Mitarbeiterinteressen: Reputation (Vorstand, Geschäftsführung), Vermeidung von Bestrafung (OWiG, Ausschreibungsbetrug), arbeitsrechtliche Konsequenzen, möglicher persönlicher Schadensersatz.
- "Verlust der Fahrlässigkeit" als Nebenfolge von CP bisher nicht feststellbar, günstige Wirkungen aber in Verfahren wegen Aufsichtspflichtverletzung. Anfänglich betrachtete es die Kommission als mildernden Umstand, wenn ein Unternehmen nach der Aufdeckung des Verstoßes ein CP einführte. Heute ist die Frage offen, wird derzeit mit den nationalen Behörden diskutiert. CP ist aber jedenfalls kein erschwerender Umstand.
- In den USA hilft ein CP bei Schadensersatzprozessen (Vergleichsverhandlungen im Vorfeld sind einfacher). Es gibt Gerichtsentscheidungen, in denen das Unternehmen zur Einführung eines CP verpflichtet wird (Zusage in consent decrees).
- Die Unternehmensleitung muss sichtbar hinter einem CP stehen. Es muss langfristig angelegt sein (wiederholte Schulungen), darf nicht Feigenblatt werden: Teilnahmepflicht, "Quittungen", Broschüre, Amnestieversprechen an die Mitarbeiter für Aufdeckung von Verstößen (befristet).
- CP sollte nicht überfrachtet werden. Es geht um Kartelle, Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen, Missbrauch von Marktbeherrschung, das Verhalten in Verbänden.
- Zielgruppenorientierung ist wichtig (Vertrieb muss anders als der Innendienst geschult werden). Graubereiche sollten nicht zu intensiv behandelt werden. Manche CP enthalten Hinweise zu dawn raids.
- Es muss einen Ansprechpartner im Unternehmen geben, eventuell eine "Hotline". Stichproben sind unverzichtbar. Etwas problematisch: Nachprüfungen durch auswärtige Anwälte (Handlungszwang entsteht).
Herr Professor Jürgen Basedow, Vorsitzender der Monopolkommission: Die Fusionskontrolle nach dem SIEC-Test
- Die neue FKVO hat ein neues Untersagungskriterium eingeführt: Erhebliche Behinderung des Wettbewerbs als Grundtatbestand, Entstehung oder Verstärkung von Marktbeherrschung als Regelbeispiele. Damit gleicht sich Europa an den SLC-Test der USA an (substantial lessening of competition). Die Rechtssicherheit wird durch die Umstellung allerdings verringert.
- Anstoß zur Änderung gab die Diskussion um "unilaterale Effekte" im engen Oligopol: Entstehung von Wettbewerb nicht kontrollierter Verhaltensspielräume bei Fusionen ohne Entstehung von Marktbeherrschung, besonders bei Aufholfusionen. Auch die Entscheidung Airtours des EuGH hat für die Kommission eine Rolle gespielt. Es bestehen aber Zweifel, ob der Fall unter dem neuen Kriterium anders entschieden worden wäre.
- Die Kommission hat ferner angekündigt, in der Fusionskontrolle entstehende Effizienzen stärker zu berücksichtigen. Sie sind zwar bisher schon bei der Marktbeherrschung mitgeprüft worden, ihnen wird jetzt aber größeres Gewicht eingeräumt (Erwägungsgrund 29 der FKVO). Die Prüfung verläuft anders: Bisher schlossen Umstände wie Innovation oder Preissenkungen eine Marktbeherrschung aus, jetzt wird Marktbeherrschung angenommen, aber durch solche Umstände gerechtfertigt. Hier gibt es Unsicherheiten im Konzept. Die Schwelle für den Nachweis von Effizienzen ist zudem nicht niedrig, die Beweislast liegt bei den Unternehmen. In den USA wird über Effizienzen viel diskutiert, in der Fusionskontrolle gibt es aber keine Fälle, wo sie entscheidend waren.
- Die horizontalen Leitlinien der Kommission sind in verschiedenen Punkten, die für die Prognose der Folgen eines Zusammenschlusses wichtig sind, sehr unbestimmt. Es gibt kaum Zeithorizonte (für Marktzutritt zwei Jahre, für Effizienzen Eintritt in einem "überschaubaren" Zeitraum).
- Eine Übernahme des SIEC-Tests durch die 7. GWB-Novelle in das deutsche Recht würde zu einer fundamentalen Änderung der Praxis führen. Zwar wäre dann bei Verweisungen von Brüssel nach Bonn dasselbe Untersagungskriterium anzuwenden und die deutsche könnte die europäische Entscheidungspraxis mitprägen, aber sollte Europa wirklich im wesentlichen bei der jetzigen Praxis bleiben (Marktbeherrschung entscheidet in den allermeisten Fällen), dann ist für deutsches Mitreden wenig Spielraum. Die Struktur unserer Fusionskontrolle würde sich aber bei einer Übernahme ändern, weil das Bundeskartellamt über die Effizienzen dann Aspekte des Gemeinwohls prüfen müsste, die jetzt aus guten Gründen der Ministererlaubnis des BMWA vorbehalten worden sind. Der SIEC-Test würde eine Einschränkung der Ministererlaubnis unerlässlich machen. Besser ist es deshalb, die Entwicklung abzuwarten und Änderungen allenfalls in der 8. GWB-Novelle vorzunehmen.
Herr Professor Christian Koenig: Methodenregulierung der Netznutzungsentgelte durch das BMWA?
- Es wird künftig vier Regulierer geben: den Methodenregulierer (BMWA), den Justizregulierer (OLG Düsseldorf), den Hilfsregulierer (REGTP) und die Kommission.
- Die vorgesehene Regulierung der Netznutzungsentgelte ist zu starr und in einigen Punkten auch widersprüchlich. So wird der Wagniszuschlag für die Netzinhaber praktisch zweimal angesetzt, einmal als Zuschlag von 5 Prozent, dann noch einmal durch die Netznutzungsverordnung in Form einer vortragenden Verlustsaldierung.
- Die Regulierung "atmet nicht", es handelt sich um eine harte gesetzgeberische Regulierung mit engen Vorgaben.
- Wichtig wäre, bei der Entgeltkalkulation der Regulierungsbehörde möglichst viel Spielraum zu geben, der nur einer eingeschränkten Nachprüfung durch die Gerichte zugänglich ist.
- Als Überregulierer tritt im Hintergrund die Kommission auf, die über das Komitologie-Verfahren weitere Vorgaben machen, soft law von Gremien wie dem Madrid-Forum Gesetzeskraft verleihen kann.
Herr RA Heinz Weil, Vorsitzender des Europaausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer: Spannungsfeld anwaltliches Berufsrecht und europäisches Wettbewerbsrecht
- Hintergrund der Deregulierungsdebatte sind das Urteil Wouters des EuGH und die Initiative Kommissar Montis. Fest steht allerdings, dass die Anwaltschaft schon seit jeher dem europäischen Kartellrecht unterlag, sich dessen aber nicht so recht bewusst war.
- Eine rein ökonomische Betrachtungsweise würde der Rolle der Anwaltschaft in der Rechtspflege nicht gerecht. Diese Erkenntnis setzt sich in Brüssel allmählich durch. Danach hat die Überprüfung der einschlägigen Vorschriften durch die Mitgliedstaaten Vorrang. Betroffen sind die Preise (Honorarordnung), Werbeverbote, Zugangsregelungen und die Zusammenarbeit mit anderen Berufen, besonders den Wirtschaftsprüfern. Hier ist in Deutschland in den letzten Jahren schon einiges an Liberalisierung geleistet worden. Das BMJ hat nunmehr den Entwurf eines Gesetzes über Rechtsdienstleistungen vorgelegt, mit dem das Rechtsberatungsgesetz abgelöst werden soll.
- In den Fällen Wouters und Arduino hat der EuGH die Maßstäbe gesetzt: Anwälte unterliegen dem Wettbewerbsrecht, ihre Zusammenschlüsse sind Unternehmensvereinigungen, Anerkennung der Grundwerte der Anwaltschaft (Berufsgeheimnis, Vermeidung von Interessenkonflikten, Unabhängigkeit). Im Urteil CIF (italienisches Zündholzmonopol) hat der EuGH zudem die Kartellbehörden verpflichtet, nationales Recht nicht anzuwenden, das Unternehmen zu Wettbewerbsverstößen verpflichtet. Davon könnten auch Vorschriften des Anwaltsrechts betroffen sein.
- Die Monopolkommission wird die Anwälte am 15. Dezember 2004 anhören.
- Fazit: Die selbstverfasste Anwaltschaft wird nicht abgeschafft. Eine einseitige ökonomische Betrachtungsweise muss vermieden werden. Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ist wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaates.