24.11.2004
Thomas O. Barnett (DoJ): Jahresrückblick 2004 (Vortrag)
USA
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https://www.usdoj.gov/atr/public/speeches |
Auf der Herbsttagung der Antitrust-Sektion der American Bar Association hat Thomas O. Barnett, Deputy Assistant Attorney General, am 19. November 2004 in Washington in einem Vortrag über "Antitrust Enforcement Priorities: A Year in Review" einen Überblick über die Ereignisse des abgelaufenen Haushaltsjahres 2004 (nicht identisch mit dem Kalenderjahr) gegeben. Für das amerikanische Justizministerium gibt es danach abgestuft drei Prioritäten: Kartellbekämpfung, Fusionskontrolle, Abstellung des Missbrauchs von Marktmacht. In diese drei Teile gliedert sich der lesenswerte Vortrag:
Durchsetzung des Kartellrechts
- 2004 zahlten 17 Unternehmen und 15 natürliche Personen 350 Millionen Dollar an Strafgeldern (das zweitbeste Jahr aller Zeiten). 20 Angeklagte wurden zu insgesamt 7334 Tagen Gefängnis verurteilt.
- Die höchste Strafe entrichtete Infineon (160 Millionen Dollar für Preisabsprachen bei DRAM-Chips). Andere hohe Strafen wurden von Crompton (50 Millionen Dollar) und Bayer (66 Millionen Dollar) gezahlt.
- ACPERA (Antitrust Criminal Penalty Enhancement and Reform Act) hat die Strafrahmen erhöht (Obergrenze für Geldstrafen jetzt bei 100 Millionen Dollar, 10 Jahre Gefängnis), aber für kooperierende Unternehmen den dreifachen Schadensersatz abgeschafft, um die Attraktivität des Liniency-Programms nicht zu gefährden.
- International verstärkt sich die Zusammenarbeit (gemeinsame Aktion USA; EU, Kanada, Japan bei einer kürzlichen internationalen Durchsuchung).
- Die Empagran-Entscheidung des Supreme Court hat bestätigt, dass Kartellverstöße in den USA nur vor Gericht gebracht werden können, wenn die ausländische Schädigung mit der Schädigung in den USA zusammenhängt. Was dies genau bedeutet, muss nun der Court of Appeal beantworten (reicht schon aus, dass der betroffene Markt global ist? DoJ hält dies für falsch).
- Die Entscheidung Blakely vs. Washington des Supreme Court kann auch für die Bemessung von Kartellstrafen Bedeutung haben. Es ging in einem strafrechtlichen Fall um die Abweichung von einzelstaatlichen Sentencing Guidelines. Dies ist nur zulässig, wenn der Angeklagte die strafschärfenden Umstände eingestanden hat oder wenn eine Jury entschieden hat, nicht aber, wenn nur der Richter die Strafe erhöht hat. DoJ hilft sich bis zur Klärung mit Übergangspraktiken, etwa mit waivers.
Fusionskontrolle
- Eine Fusionswelle steht nicht bevor, aber die Anmeldezahlen haben sich gegenüber 2003 um 43 Prozent auf 1454 Fälle erhöht. 89 Fälle hat DoJ näher untersucht, in 15 Fällen weitere Untersuchungen veranlasst (second request) und 8 Fälle vor Gericht gebracht, darunter First Data/Concord und Oracle/Peoplesoft (DoJ ist hier unterlegen und wird kein Rechtsmittel einlegen).
- Im Zusammenhang mit der Entscheidung des District Court in San Francisco im Falle Oracle führt Barnett einiges aus, was auch in Europa beachtet werden sollte, etwa im Zusammenhang mit dem "more economic approach":
"There has also been considerable comment regarding the court´s competitive effects analysis. Stepping back from the court´s exposition, I think it is important that we keep some fundamentals in mind. Under section 7 of the Clayton Act, courts are to enjoin any transaction where "the effect of such acquisition may be substantially to lessen competition, or to tend to create a monopoly." That is the statutory standard, and it says nothing about "nodes," "unilateral effect," "coordinated effects," "critical loss," "diversion ratio," or even "HHIs." Those concepts are all aspects of the various analytical tools that courts and the antitrust enforcement agencies have developed to help assess whether a transaction may substantially lessen competition or tend to create a monopoly. These tools are extremely valuable, and I applaude the economists, attorneys, and judges who have helped develop them. Ultimately, however, these tools are only guides in the application of the statutory mandate. They are the means to an end, not an end in and of themselves. Nor do they replace more traditional kinds of evidence, such as customer testimony and internal company documents. Indeed, in some cases it is not possible to perform some of these more sophisticated economic analyses and the lack of these tools certainly does not immunize such transactions from antitrust scrutiny." - Im Hinblick auf die Untersuchung des Falles Oracle durch die EU-Kommission bemerkt Barnett folgendes:
"...when a competent authority in a jurisdiction with which the parties to a transaction have a strong connection rules in a case, generally speaking the global antitrust system should respect such a decision."
Missbrauch von Marktmacht (Sec. 2 Enforcement)
- Auf diesem Gebiet gibt es die größten Unterschiede unter den Kartellbehörden der einzelnen Länder. Es geht um die Abgrenzung der Praktiken mit Ausschlusswirkung (exclusionary conduct) von harter Konkurrenz, die in den USA auch dem Monopolisten oder Marktbeherrscher zugestanden wird, ganz im Unterschied zu Europa, wo - wie Barnett bemerkt - sich die Unternehmen "wie Gentlemen" verhalten müssten.
- Die Entscheidung Trinko des Supreme Court hat deutlich gemacht, dass es keine Pflicht für ein Unternehmen gibt, seinen Konkurrenten im Wettbewerb beizustehen, etwa durch den Zugang zu Schutzrechten. Das DoJ sieht seine eigene Analyse dadurch bestätigt, wonach ein Verhalten nur wettbewerbswidrige Ausschlusswirkungen hat, wenn es außer der Verdrängungsabsicht keine andere Rechtfertigung gibt (but-for-approach). Das IMS-Urteil des EuGH wird in diesem Zusammenhang positiv gewürdigt, weil der Gerichtshof jedenfalls keine allgemeinen Zugang von Konkurrenten zu störenden Schutzrechten postuliert hat.
- Der Microsoft-Fall ist nun abgeschlossen, denn die Frist zur Einlegung von Rechtsmitteln ist im Oktober 2004 endgültig abgelaufen. DoJ hat dies mit großer Befriedigung vermerkt.