03.11.2004
International Competition Network: Arbeitspapiere zur Prüfung von Zusammenschlüssen
ICN
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https://www.internationalecompetitionnetwork.org/investigativetechniques.html
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Das ICN ist ein Forum, in dem Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten und sich um Konvergenz des Wettbewerbsrechts und seiner Anwendung bemühen. Vorsitzender des ICN ist seit September 2004 der Präsident des Bundeskartellamtes, Dr. Ulf Böge.
Die Arbeit des ICN vollzieht sich in Arbeitsgruppen. Die Arbeitsgruppe "Fusionskontrolle" (mergers) leitet Makan Delrahim (DoJ). Eine der Untergruppen widmet sich praktischen Fragen der Prüfung eines angemeldeten Zusammenschlusses (Subgroup Investigative Techniques for conducting effective merger review). Den Vorsitz führt Dror Strum von der israelischen Wettbewerbsbehörde.
Für einen Workshop im Oktober 2004 in Brüssel hatte die Untergruppe einige interessante Arbeitspapiere zusammengestellt, die eine breitere Aufmerksamkeit verdienen:
Bericht über Untersuchungstechniken der Mitgliedstaaten (report on investigative techniques employed by member agencies in the area of merger review)
- Der Bericht umfasst 28 Seiten und beruht auf einer Umfrage im Sommer 2002, an der sich 31 Wettbewerbsbehörden beteiligten. Er dient der Vorbereitung von "best practices". Es fällt auf, dass das Bundeskartellamt unter den Teilnehmern fehlt.
- Je nach den erforderlichen Untersuchungen werden Zusammenschlüsse in unproblematische und näher zu untersuchende eingeteilt (üblich sind 2 bis 5 Kategorien). Die Mehrzahl der Fälle (je nach Einteilung 55 bis 70 Prozent) werfen keine Bedenken auf: niedrige Marktanteile, geringe Umsätze und Vermögensgegenstände, spezielle Transaktionen wie der Erwerb durch Investmentfonds. Wichtig ist allerdings, dass man sich auf die Angaben der Parteien verlassen kann und deshalb die Angaben in einer nachprüfbaren Art und Weise zur Verfügung gestellt werden.
- Fast alle Behörden beraten die Beteiligten vor der Anmeldung in kritischen Fällen, etwa die Hälfte in einem formalisierten Verfahren.
- Die Wettbewerbsbehörden haben bestätigt, dass ihnen alle Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die in dem Fragebogen aufgezählt waren, zur Verfügung stehen. Jedes einzelne Instrument wurde von rund 75 Prozent der Behörden auch benutzt. Die Liste ist lang und umfasst die Anmeldung selbst, Anforderungen zusätzlicher Informationen von den Beteiligten, Befragung von Wettbewerbern und Kunden, telefonische Auskünfte, eidliche Erklärungen, andere mündliche Informationen, Aufforderungen an die interessierte Öffentlichkeit, angekündigte und unangekündigte Inspektionen, Studien von Experten, ökonomische Daten, öffentliche Daten, Kooperation mit anderen Behörden. Die meisten Behörden sind mit dieser Liste zufrieden.
- Der Einsatz der Instrumente variiert nach der Kategorie des Zusammenschlusses. In einfachen Fällen verlässt man sich auf die Anmeldung, auf öffentliche Daten und Aufforderungen an Interessenten, Einwände zu erheben. Bei schwierigen Fällen kommen meist Informationsersuchen an die Parteien und an Wettbewerber hinzu. Viele Behörden verzichten völlig auf unangemeldete Inspektionen und beschworene Statements. Die Häufigkeit des Einsatzes jedes einzelnen Instruments wird in dem Bericht in einem Schaubild dargestellt.
- Bis auf eine haben alle Wettbewerbsbehörden die Möglichkeit, Informationen zu erzwingen. In einem Fall stehen dafür sogar Durchsuchung und Beschlagnahme zur Verfügung, in allen anderen Bußgelder und Strafverfahren.
- Die große Mehrheit der Länder kennt spezielle Vorschriften über die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen. Gewöhnlich werden Geheimnisse nur weitergegeben, wenn Zustimmung vorliegt (waiver).
- Nur jede dritte Wettbewerbsbehörde informiert interessierte Dritte vom Ergebnis der Prüfung, meist nur dann, wenn Dritte Einwände erhoben haben oder eine Anhörung stattgefunden hat. Nur 40 Prozent der Behörden geben Dritten Zugang zur Akte.
- Es gibt drei Typen von Verfahren: die Wettbewerbsbehörde prüft und entscheidet, anschließend kann ein Gericht angerufen werden; eine Behörde untersucht, eine andere entscheidet und anschließend findet richterliche Kontrolle statt; (seltener:) eine Behörde untersucht, ein Gericht entscheidet.
- Nach den Mitteilungen der Wettbewerbsbehörden sind 33 Prozent des Personals Juristen und 37 Prozent Ökonomen. Meist arbeiten beide Fakultäten in den case teams zusammen. Nur in zwei Ländern werden Ökonomen überhaupt nicht herangezogen.
Wie man verlässliches Beweismaterial entwickelt (developing reliable evidence in merger cases)
- Auf 17 Seiten werden zunächst verschiedene Arten von Beweismitteln geschildert: Unterlagen aus der Zeit vor dem Zusammenschluss (Beispiel: Material über die Geschäftsentwicklung, Strategiepapiere, Geschäftspläne), Papiere im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss (Analysen, Berichte), Informationen von Marktteilnehmern und den Zusammenschlussparteien, die Anordnung von Auskünften, die Zuziehung von Sachverständigen.
- Höchst interessant sind praktische Tipps für die Wettbewerbsbehörden (7 Seiten) in Form von Leitsätzen mit Erläuterungen.
- there are no shortcuts to finding the important, reliable evidence,
- do not assume you can understand any document standing alone,
- do not accept conclusory statements,
- open-ended questions usually are best,
- use quantitative analysis when appropriate,
- maintain a healthy skepticism about the reliability of numerical analysis,
- be wary of unsound date analysis,
- be critical about what you consider to be reliable expert testimony.
- there are no shortcuts to finding the important, reliable evidence,
Die Rolle der Ökonomen und des ökonomischen Beweismaterials (the role of economists and economic evidence in merger analysis)
Der Einsatz von Ökonomen bei der Prüfung von Zusammenschlüssen ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich, in manchen freiwillig, in anderen vorgeschrieben, in den meisten hängt dies von der Komplexität des Falles ab. So schwankt auch der Prozentsatz der Ökonomen am Gesamtpersonal zwischen 0 und 85 Prozent.
Die qualitative Beurteilung eines Zusammenschlusses hat zunächst Vorrang und reicht in einfachen Fällen auch aus. Es kann jedoch nötig werden, dies durch quantitatives Material zu ergänzen. Der Hauptteil des Papiers (13 Seiten) beschreibt, welche ökonomischen Instrumente hier zur Verfügung stehen und wie und wo sie eingesetzt werden können:
- Messung von Marktanteilen,
- Abschätzung der Nachfrage und der Nachfrageelastizität (relevanter Markt, Plausibilität von Preiserhöhungen nach der Fusion): Kreuzpreiselastizität, SSNIP-Test,
- actual loss / critical loss (Marktdefinition, unilaterale Effekte): die Preiserhöhung muss sich rechnen, beim critical loss ist der Effekt Null,
- Preiskorrelation (Marktdefinition: Substituierbarkeit, Naheliegen unilateraler Effekte),
- "natural experiments": Studium früherer Vorgänge in der betroffenen Industrie ("dubious nature"),
- bei unilateralen Effekten Feststellung, ob die verbleibenden Wettbewerber die "Lücke" ausfüllen können (excess capacity, relocation, introduction of new products),
- bei koordinierten Effekten Studium der allgemeinen Marktverhältnisse in der Vergangenheit (sales patterns, Meistbegünstigung, Reaktion auf Preisänderungen, Struktur der Abnehmer, Bewegung der Marktanteile, Stabilität von Kosten und Nachfrage, Einführung neuer Produkte).
Planung der Prüfung eines Zusammenschlusses (planning a merger investigation)
Dieses Papier (13 Seiten) gibt Hinweise zur Planung der Prüfung, besonders zur frühen Feststellung benötigter Unterlagen und zur Verteilung der Aufgaben unter Berücksichtigung der gesetzlichen Zeitvorgaben.
Die Perspektive der Unternehmen (private sector perspective on tools and techniques used in merger investigations)
In diesem Dokument (21 Seiten) melden sich die Unternehmen und ihre Anwälte zu Wort. Sie haben in der Arbeitsgruppe die Rolle von Beratern (non-governmental advisors):
- die Länge der Prüfung (besonders in Phase II) ist für die Unternehmen eine große Belastung,
- ebenso sind dies die direkten und indirekten Kosten,
- dies gilt vor allem für Zusammenschlüsse, die in mehreren Ländern geprüft werden müssen.
Die Wettbewerbsbehörde kann die Kosten durch Zeitpläne und offene Diskussionen mit den Beteiligten senken und sich dadurch auch selbst zusätzliche Arbeit ersparen.
Bei der Informationsbeschaffung sollte die Behörde die Mühen für die Unternehmen und den Aufwand für die eigene Prüfung berücksichtigen (Abwägung von Kosten und Nutzen bei der Auswahl der Instrumente). Im Einzelnen werden dann Vorteile und Nachteile der einzelnen Instrumente erörtert:
- Anmeldung,
- schriftliche Fragen (meist besonders effektiv, aber es sollten Fakten, nicht Meinungen abgefragt werden),
- telefonische Anfragen (nützlich, aber Beschränkung in der Verwertbarkeit durch Prozessrecht),
- Präsentation der Zusammenschlussparteien (besonders in der Phase vor der Anmeldung angezeigt),
- Anforderung von Dokumenten (Problem der Kosten, Problem der Vollständigkeit und der Interpretation).
Das Papier unterstreicht dann in einem Schlusskapitel, wie wichtig die Wahrung der Vertraulichkeit geheimhaltungsbedürftiger Angaben durch die Wettbewerbsbehörden ist und wie die Weitergabe an andere Behörden geregelt werden sollte (blanket or partial waivers, Verpflichtung der empfangenden Behörde zur Geheimhaltung).
Das Papier listet schließlich in Form einer Checkliste Tipps auf (5 Seiten), die aus der Sicht der Unternehmen für die Arbeit der Wettbewerbsbehörde und ihre Kontakte mit den Beteiligten von Nutzen sein können.