01.06.2004
FIW: Bonner Kolloquium und Mitgliederversammlung 2004
Deutschland
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Im Anschluss an die Mitgliederversammlung fand wie üblich das "Bonner Kolloquium" statt, diesmal in Form einer Podiumsdiskussion zur Frage "Was erwarten wir von der 7. GWB-Novelle?".
Ministerialrat Michael Baron, der im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit den Entwurf betreut, schilderte den Zeitplan:
- Der Regierungsentwurf ist am 26. Mai 2004 verabschiedet worden.
- Der erste Durchgang im Bundesrat wird im normalen Verfahren, nicht im Eilverfahren, betrieben. Die Stellungnahme des Bundesrates wird für den 9. Juli 2004 erwartet.
- Die Bundesregierung wird über die Sommerpause ihre Gegenäußerung vorbereiten.
- Anfang September 2004 wird die erste Lesung im Bundestag sein. Dann beginnen die Ausschussberatungen. Von ihrer Dauer hängt das Inkrafttreten ab.
- Das BMWA hofft auf den 1. Januar 2005.
Herr Baron erwähnte einige Änderungen, die sich gegenüber dem allgemein bekannten Referentenentwurf vom Dezember 2003 in den letzten Wochen noch ergeben haben:
- Bei § 33 (Schadensersatz) kommt der Regierungsentwurf auf das Prinzip des Schutzgesetzes zurück, wobei Artikel 81 und 82 EUV ausdrücklich zu Schutzgesetzen erklärt werden, auch wenn sich der Kartellverstoß nicht gezielt gegen den Geschädigten gerichtet hat.
- Nicht nur der unmittelbare Abnehmer, sondern jeder in der Abnehmerkette soll klagen können. Dies hat die Konsequenz, dass man für eventuelle Kleinschäden der Verbraucher eine Verbandsklage benötigt.
- Auf eine Regelung der passing-on-defense wird verzichtet. Man überlässt der Rechtsprechung zur Vorteilsausgleichung die Lösung des Problems.
- Bei § 81 Absatz 5 ist jetzt vorgesehen, dass mit der Geldbuße der wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden kann. Er kann dem Kartellanten durch das Bundeskartellamt aber auch über § 34 gesondert entzogen werden.
Dr. Klaus Gründler, Chefsyndikus der ThyssenKrupp Steel AG, nahm aus der Sicht eines Großunternehmens zu der Novelle Stellung. Grundsätzlich kommt es darauf an, die Handlungsfreiheit der Unternehmen zu erhalten, das Wettbewerbsprinzip zu bewahren, die Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Kosten gering zu halten:
- Der Beratungsbedarf wird sich unter dem System der Legalausnahme erhöhen, aber das Ausmaß ist derzeit noch schwer einzuschätzen.
- Die neuen Regeln über den Schadensersatz sind ebenfalls noch unerprobt, sie werden vom Europarecht nicht gefordert, was übrigens auch für die Verbandsklage gilt.
- Wichtig ist eine möglichst große Übereinstimmung zwischen deutschem und europäischem Wettbewerbsrecht, auch in der Handhabung und Auslegung.
- Für die Unternehmen wäre ein Anspruch auf Bescheidung durch das Bundeskartellamt in bestimmten Fällen sehr hilfreich, die Furcht vor einem Anmeldesystem durch die Hintertür ist wohl unbegründet.
- Die Beibehaltung der Missbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmen (§ 20 Absatz 2) und die Marktbeherrschungsvermutungen (§ 19 Absatz 3) sind systemwidrig, aber leider nicht geändert worden.
- Bei der Fusionskontrolle hält sich die Novelle sehr zurück: der SIEC-Test sollte nicht eingeführt werden, vor allem nicht ohne die übermäßige Kontrolldichte des deutschen Fusionskontrollrechts (wettbewerblich erheblicher Einfluss!) zu verringern. Die Schwellenwerte, besonders bei Bagatell- und Bagatellmarktklausel sollten angehoben werden.
Frau Dr. Ellen Braun, Allen & Overy, hielt es für die Beratungspraxis für wichtig, dass das deutsche Recht weitgehend an das europäische angeglichen worden sei und unterhalb der zwischenstaatlichen Auswirkungen Europarecht gilt (mit Ausnahme der Vorschriften über Marktbeherrschung). Wünschenswert sei es, dass die Leitfunktion des deutschen Wettbewerbsrechts gerade in einer vergrößerten EU erhalten bleibt, aber ein bestimmtes Leitbild bei der Novelle wird vermisst. Im Vordergrund sollte ein mehr wirtschaftlicher Ansatz stehen (economic approach).
Die Zusammenarbeit der Kartellbehörden im Europäischen Netzwerk sei nur aus der Sicht der Behörden befriedigend geregelt. Für die Betroffenen ist im Bereich der Information, der Beteiligung, der Rechtsfolgen und des Rechtsschutzes noch manches unklar.
Dr. Peter Klocker, Leiter der Grundsatzabteilung des Bundeskartellamts, bedauerte das verspätete Inkrafttreten der Novelle, wies aber darauf hin, dass immerhin die VO 1/03 jetzt schon geltendes Recht sei:
- Seit Mai 2004 werden alle Verfahren nach Artikel 81, 82 EUV von den Kartellbehörden in ihr Intranet gestellt, was zu einer enormen Informationsflut führt, aber auch schon zu gemeinsamen Aktionen von Kartellbehörden Anlass gegeben hat.
- Mit den Regeln über Schadensersatz und Geldbußen ist das Bundeskartellamt zufrieden: Abschreckung wird im neuen System noch wichtiger sein.
- Ein Anspruch auf eine Entscheidung nach § 32 c (kein Anlass zum Tätigwerden) sollte nicht eingeräumt werden, die Vorschrift muss vielmehr Leitentscheidungen vorbehalten bleiben. Jedes Unternehmen kann jederzeit mit der zuständigen Beschlussabteilung Kontakt aufnehmen und wird auf diese Weise ein hohes Maß an Rechtssicherheit erhalten.
- Von der Abschaffungsmöglichkeit wird das Bundeskartellamt so oft wie möglich Gebrauch machen,
- Zu beachten ist die Übergangsphase: Freistellungen von Kartellen gelten nur noch für ein weiteres Jahr.
Es schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Zum Untersagungskriterium der Fusionskontrolle kündigte Herr Baron ein Diskussionspapier an, das Vorteile und Nachteile von SIEC-Test und Marktbeherrschungstest darstellen werde. Dazu können die interessierten Kreise Stellung nehmen.