15.03.2004
Dr. Böge beim FIW: Durchsetzung des Wettbewerbsrechts (Vortrag)
Deutschland
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Dr. Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamts, hat auf dem 37. FIW-Symposion in Innsbruck am 26. Februar 2004 über die "Durchsetzung des Wettbewerbsrechts aus Sicht es Bundeskartellamts" referiert. Die drei Hauptteile des Vortrages sind der Zusammenarbeit der europäischen Wettbewerbsbehörden im European Competition Network (ECN), der 7. GWB-Novelle und der neuen Fusionskontrollverordnung gewidmet. (Der Vortrag ist auf der Website des Bundeskartellamts bisher noch nicht veröffentlicht):
ECN
- Das Netzwerk wird in der VO 1/2003 nur in einem Erwägungsgrund erwähnt.
- Kommission und nationale Behörden informieren untereinander über eingeleitete Verfahren und beabsichtigte Entscheidungen (Intranet).
- Die Umverteilung eines Falles sollte innerhalb von zwei Monaten geklärt sein.
- Die Zuständigkeiten sind nicht justitiabel geregelt, sondern im Prinzip bleibt jede Behörde zuständig, aber es werden sich eine sinnvolle Vorverteilung und Kooperationen herausbilden.
- Auch über Fälle, in denen ein Kronzeuge einen Bonus-Antrag stellt, wird im ECN informiert, aber eine andere Behörde darf diese Mitteilung nicht zum alleinigen Anlass einer Verfahrenseröffnung nehmen.
- Die Weitergabe von Beweismitteln ist in solchen Fällen beschränkt (Zustimmung des Kronzeugen, Verpflichtungen der empfangenden Behörde).
- Die Zusammenarbeit im ECN wird nicht durch Sanktionen gesteuert, sondern durch die Vorteile, die jede Behörde daraus zieht, und die damit verbundenen Anreize ("Grundvertrauen").
- Der Wunsch der Industrie, der Bonus-Antrag bei einer Behörde solle als Antrag an das gesamte ECN gelten, lässt sich angesichts der Unterschiede der nationalen Programme nicht verwirklichen.
7. GWB-Novelle
- "Was die Anpassungen des deutschen Kartellrechts an die VO 1/2003 anbelangt, so ist es ihr Ziel, sicherzustellen, dass gleichgelagerte Sachverhalte, in denen es lediglich an der Berührung des zwischenstaatlichen Handels fehlt, nicht unterschiedlich behandelt werden müssen. Es geht aber nicht darum, die europäischen Wettbewerbsregeln einfach eins zu eins zu übernehmen. Vielmehr ist im Einzelnen zu fragen, welche abweichenden und ergänzenden Regeln im nationalen Recht geboten sind, um sachgerechte Entscheidungen treffen zu können."
- Die Missbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmen muss unangetastet bleiben (Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung in der VO 1/2003).
- Nach EU-Kartellrecht kann gegen einseitige wettbewerbsbeschränkende Praktiken nicht marktbeherrschender Unternehmen nicht vorgegangen werden, weshalb der EU-GH den Begriff der Vereinbarung (Artikel 81) sehr weit auslegt, um Eingriffsmöglichkeiten zu schaffen. Der Adalat-Fall (EU-GH 6.1.2004 WuW 04, 327 = DB 04, 245) hat gezeigt, wo die Grenzen dieser Rechtsprechung liegen. Daran erweist sich auch, wie wichtig es ist, wenigstens in Deutschland die Missbrauchsaufsicht über marktstarke Unternehmen beizubehalten.
- Künftig kann das Bundeskartellamt in einer Entscheidung feststellen, dass in einem bestimmten Fall kein Anlass zum Einschreiten besteht. Aber dies kann keinen Rechtsanspruch der Unternehmen auf eine solche Entscheidung begründen. In Zweifelsfällen können sich die Unternehmen aber vom Amt beraten lassen.
- Die Existenz der Monopolkommission macht die neue Befugnis des Bundeskartellamtes, Sektoruntersuchungen durchzuführen, nicht überflüssig, zumal der Kommission keine Auskunftsrechte zustehen.
- Das GWB wird nach seiner Anpassung europakonform auszulegen sein. Darin fließt die Praxis des Gerichtshofes und der Kommission selbstverständlich ein. Eine "Berücksichtigung" der europäischen Grundsätze, wie in der Novelle vorgeschlagen, lehnt das Amt aber ab, weil damit eine Bindungswirkung suggeriert würde, die nicht bestehen kann. Es kann nicht um eine "passive Reproduktion" der europäischen Wertungen gehen. Vielmehr muss das Amt auch die Möglichkeit haben, zur Weiterentwicklung solcher Grundsätze beizutragen, was letztlich das Ziel des ECN ist.
- In der Pressefusionskontrolle würde die Anhebung der Schwellenwerte zur Stärkung der Marktmacht großer Verlage beitragen. Das "Redaktionsmodell" ist aus verschiedenen Gründen abzulehnen (Fusion trotz Marktbeherrschung möglich, konzerninterner Wettbewerb kann Außenwettbewerb nicht ersetzen, Unmöglichkeit der Kontrolle durch das Bundeskartellamt, Verstoß gegen die Pressefreiheit).
FKVO
- Bedenken bestehen gegen den neuen SIEC-Test (significant impediment to competition, dazu ausführlich Böge, Reform der europäischen Fusionskontrolle, WuW 04, 138 – ein sehr lesenswerter Aufsatz).
- Zweifel bestehen an der Berücksichtigung von Effizienzen und besonders an ihrer Weitergabe an die Verbraucher als Kriterium (warum sollte ein Unternehmen, das durch den Wettbewerb dazu nicht gezwungen wird, solche Vorteile an die Verbraucher weitergeben?).
- Sachgerechte Fallverteilung: "Der Schlüssel liegt in den Verweisungsregeln". Die Mitgliedstaaten sind jetzt gefordert, Kriterien zu entwickeln, wann sie einer Verweisung an die Kommission vor Anmeldung einer Fusion zustimmen wollen.