27.01.2003
Dr. Ulf Böge: Funktionierender Wettbewerb in der Energiewirtschaft? (Vortrag)
Deutschland
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Trotz einiger Fortschritte in den vergangenen fünf Jahren besteht auf den Strommärkten noch kein funktionierender Wettbewerb im Sinne von diskriminierungsfreiem Zugang und voller Transparenz für Dritte. Auch dem Gasmarkt kann „kein Zeugnis für funktionierenden Wettbewerb“ ausgestellt werden. Dies liegt an den Abwehrstrategien der etablierten Versorgungsunternehmen: Behinderung des Wechsels von Kunden, Aufkauf unerwünschter Konkurrenz, Drängen auf politische Änderung der Rahmenbedingungen.
Abwehrstrategie 1 (Netzzugang)
- Der Schwerpunkt der Missbrauchsaufsicht liegt bei der Überprüfung der Netznutzungsentgelte. Das Bundeskartellamt führt derzeit 10 Verfahren. Weitere Abmahnungen sind zu erwarten. Das Bundeskartellamt rechnet damit, dass Beschwerden eingelegt werden.
- Um die Angemessenheit der Entgelte festzustellen, wird das Vergleichsmarktprinzip bevorzugt. Zum Vergleich können auch ausländische Unternehmen herangezogen werden. Ist ein Vergleich nicht möglich, greift das Amt auf die Kostenkontrolle zurück. Aus seiner Sicht sind verschiedene Kostenzuordnungen nicht gerechtfertigt. Einige Preisfindungskriterien der „Verbändevereinbarung Strom II plus“ sind problematisch (Wagniszuschlag).
- Ein weiteres Aktionsfeld sind die Mess- und Verrechnungspreise für Stromzähler, die bis zu 20 % des Strompreises ausmachen können.
- Zum Gasmarkt hat das Bundeskartellamt Beschwerden über Zugangsverweigerung, überhöhte Netzentgelte, Bearbeitungsgebühren für Netznutzungsverfahren und Informationsverweigerungen gegenüber interessierten Dritten erhalten. Sie sind allerdings seltener als Beschwerden über den Strombereich. Die „VV Gas“ ist noch keine ausreichende Basis für funktionsfähigen Durchleitungswettbewerb.
Abwehrstrategie 2 (Zusammenschlüsse)
- Es geht um die Absicherung der Marktpositionen durch Beteiligungen auf der Anbieter- und der Nachfragerseite. Dabei berücksichtigt das Amt, dass die Unternehmen im internationalen Wettbewerb stehen. Aber: „für den Verbraucher zählt nur, wenn der internationale Preiswettbewerb auch bis an seine Brennstelle reicht“.
- Bei vertikalen Beteiligungen lehnt das Bundeskartellamt eine „Unerheblichkeitsgrenze“ zugunsten kleiner Stadtwerke ab. Künftig sind solche Zusammenschlüsse nur noch in engen Grenzen und nicht ohne Ausgleichsmaßnahmen genehmigungsfähig.
Abwehrstrategie 3 (Gesetzgebung)
- Die Interessanten wirken auf die Arbeiten an der Energierechtsnovelle und die EU-Binnenmarktrichtlinien in ihrem Sinne ein. Sie haben Zeit gewonnen, weil die Energierechtsnovelle in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte. Der Sofortvollzug von Missbrauchsverfügungen ist nach wie vor eine dringende Forderung.
- Dem Wettbewerb würde „ein Bein gestellt“, wenn es bei der Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen bliebe. Sie gelten ohnehin nur noch bis September (Gas) und Dezember 2003 (Strom). Die Verbändevereinbarungen stellten nach wie vor „Baustellen“ dar, besonders im Gasbereich. Sie würden faktisch als „Bremse der Wettbewerbsentwicklung“ wirken.
Der deutsche Weg der Liberalisierung mit Verbändevereinfachungen und Missbrauchsaufsicht ist marktwirtschaftlich und für unser Land passend. Es bedarf keines speziellen Regulierers für Gas und Strom. Das Bundeskartellamt kann die den Wettbewerb regulierende Rolle durchaus ausfüllen.
Aber das Bundeskartellamt braucht dafür die notwendige personelle und finanzielle Ausstattung. „Für den Finanzminister bedeutet dies keine zusätzliche Belastung, denn wir führen schon seit langem mehr als das Zehnfache an Einnahmen an ihn ab, als wir ausgeben“.