13.03.2003

36. FIW-Symposion vom 5. bis 7. März 2003 in Innsbruck

XXXVI. FIW-Symposion Innsbruck
"Die Wende in der Europäischen Wettbewerbspolitik"

 

5. - 7. März 2003

 

Tagungsbericht

 

 

Philip Lowe, Generaldirektor der GD Wettbewerb, Europäische Kommission, Brüssel

Philip Lowe sprach einleitend über die Wende in der europäischen Wettbewerbspolitik. Die Europäische Union verfolgt als Reformziel die zukunftssichere Gestaltung der Wettbewerbspolitik, die mit den Reformen des Kartellverfahrensrechts (VO 1/2003) und der Fusionskontrollverordnung eingeleitet wurden.

Die neue Kartellverfahrensverordnung Nr. 1/2003 wird am 1. Mai 2004 in Kraft treten und die erste Phase der Neuorganisation des Wettbewerbsrechts auf EU-Ebene zu Ende bringen. Die Verordnung bringt einen Systemwandel mit sich, der auf drei Hauptelementen beruht:

  1. Übergang von einem Anmeldesystem zur direkten Anwendbarkeit von Artikel 81 Abs. 3 EG
    Das neue System der Legalausnahme ersetzt das zentralisierte Anmelde- und Genehmigungsverfahren. Artikel 81 Abs. 3 EG wird unmittelbar anwendbar sein, wobei es keiner behördlichen Freistellung mehr bedarf.
  2. Aufgabe der Freistellung
    Einzelstaatliche Behörden und Gerichte können Artikel 81 nun umfassend anwenden, wie dies bereits bei Artikel 82 EG der Fall war. Nationale Behörden und die Kommission gehen im Netzwerk der Behörden gemeinsam gegen Wettbewerbsverstöße vor.
  3. Vorrang des EG-Wettbewerbsrechts gegenüber nationalem Wettbewerbsrecht
    Bei zwischenstaatlichen Fällen besteht eine Pflicht zur Anwendung von Artikel 81 und 82 EG durch die nationalen Wettbewerbsbehörden. Daneben bleibt nationales Recht anwendbar, das EG-Recht jedoch nicht aushebeln darf.

Notwendig wurde auch eine Anpassung der Ermittlungsbefugnisse und Sanktionen der Kommission auf Gemeinschaftsebene, um eine effizientere Anwendung der Wettbewerbsregeln zu ermöglichen.

Die Kommission wird begleitende Texte erlassen, die die Regelungen klarstellen und deren Ausübung erleichtern sollen. Es handelt sich um Folgende:
Das Ziel der Reform der europäischen Fusionskontrolle ist es, sicherzustellen, dass die Fusionskontrolle den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst wird. Die Kommission möchte dabei die Transparenz und Konsistenz stärken sowie ihren eigenen Entscheidungsfindungsprozess verbessern. Neben dem Verordnungsentwurf zur Fusionskontrolle, der dem Rat vorliegt und von der griechischen Ratspräsidentschaft unterstützt wird, hat die Kommission Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse entworfen sowie „Best Practices“ im Fusionskontrollverfahren zusammengestellt.

Zum Marktbeherrschungstest führte Lowe aus, dass dieser - richtig angewendet - in der Lage sei, alle Probleme aufzugreifen. Allerdings bestehe eine Lücke bei Oligopolsituationen (so genannte „unilateral effects“), weshalb der Text im Sinne größerer Klarheit geändert werden solle.

Am Ende lobte Lowe das International Competition Network, das große Fortschritte zur Verbesserung der Konvergenz der Kartellrechtsordnungen gemacht habe.



Dr. Ulf Böge, Präsident des Bundeskartellamtes, Bonn

Dr. Böge referierte zum Thema Weichenstellungen in der europäischen Wettbewerbspolitik aus Sicht des Bundeskartellamtes.

Die durch die VO 1/2003 eingeführte Legalausnahme hat das Bundeskartellamt seinerzeit kritisch bewertet. Dadurch sei die Transparenz von Wettbewerbsbeschränkungen vermindert worden, was zu mehr Rechtsunsicherheit für die Unternehmen führe. Aus dieser Regelung resultiere ein erheblicher Anpassungsbedarf mit weitreichenden Folgen.

Zunächst wird das Bundeskartellamt im Netzwerk der Behörden effektiv mit der Kommission zusammenarbeiten. Das Bundeskartellamt beansprucht ebenfalls alle Entscheidungsbefugnisse, die der Kommission eingeräumt wurden (z.B. Erlass von Entscheidungen, eingeschränktes Enquêterecht, Verhängung von Geldbußen, Beteiligung am Informationsaustausch).

Sinnvoll sei auch die Angleichung deutschen Rechts an die europäische Legalausnahme sowie ein Gleichlauf bei den vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen. Dr. Böge sprach sich ebenfalls für einen Freistellungstatbestand analog Artikel 81 Abs. 3 EG aus; dabei plädierte er jedoch für eine Überleitung der Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts. Auch sollen die Gruppenfreistellungsverordnungen in das GWB eingebettet werden.

Positiv wertet das Bundeskartellamt die Abschaffung des Freistellungsmonopols der Kommission, da damit eine Stärkung der nationalen Behörden verbunden sei. Die Regelung des Artikel 3 VO (Vorrang des europäischen Wettbewerbsrechts) entspricht jedoch nicht den Vorstellungen des Bundeskartellamts. Den Aufbau des Netzwerks der Behörden wertete Herr Dr. Böge als gelungen.

Die EU-Fusionskontrollverordnung habe sich - so Herr Dr. Böge - ebenfalls bewährt, jedoch seien Anpassungen sinnvoll, um effektiveren Rechtschutz und eine effizientere Anwendung zu ermöglichen. Positiv sei, dass der derzeitige Verordnungsentwurf keine Veränderung der Aufgreifschwellen enthalte. Den Verweisungsregeln als Korrektiv für die zu hohen Aufgreifschwellen kommt jetzt größere Bedeutung zu. Zuständig für einen Fall solle die Behörde sein, die am besten geeignet ist, den Fall zu prüfen. Konsequent sei daher, geringere Anforderungen an die Voraussetzungen einer Verweisung bei Artikel 9 VO zu verlangen.

Eine möglichen Erleichterung einer Verweisung an die Kommission im Rahmen von Artikel 22 VO betrachtet Herr Dr. Böge jedoch mit Skepsis. Dabei sei insbesondere inakzeptabel, dass das Schweigen von drei Mitgliedstaaten, die unter Umständen an dem Fall nicht interessiert seien, Aufschluss über die gemeinschaftsweite Bedeutung des Fusionsvorhabens geben soll mit der weitreichenden Konsequenz, dass Brüssel für die Fallprüfung zuständig sei.

Dr. Böge wertete die Einführung eines Vorverfahrens positiv, sofern dies nicht zu einem „Forum-Shopping“ für Unternehmen führe.

Der Marktbeherrschungstest solle in jedem Fall in der alten Form beibehalten werden, da dieser auch auf kollektive Systeme anwendbar sei und keine Lücke aufweise. Der SLC-Test sei abzulehnen, da er keine definierten Grenzen enthalte. Im Übrigen bestehe kein materieller Unterschied zwischen dem Marktbeherrschungstest und dem SLC-Test.



Erwin Staudt, Vorsitzender des Aufsichtsrates, IBM Deutschland GmbH, Stuttgart

Herr Staudt gab einen informativen Einblick in das Thema Deutschland online - Wachstum durch Informationstechnologie?

Herr Staudt wies darauf hin, dass Deutschland größter IT-Markt in Europa und damit ein Zukunftsmarkt sei. In den Jahren 2001/2002 sei der Markt jedoch eingebrochen und habe ein Minuswachstum in Höhe von 3,4 % zu verzeichnen. Auch für das Jahr 2003 bestünden schlechte Wachstumsaussichten.

Während Schweden 10,2 % des Bruttoinlandprodukts in die Informationstechnologie investiert, investiert Deutschland gerade mal 6,8 %.

Die Zukunftsaussichten in Deutschland wertete Herr Staudt jedoch als vielversprechend: So sei ein erhebliches Wachstum durch neue Technologien zu erwarten (z. B. durch UMTS, Internettaugliche Fernseher, Autos mit Telematikfunktionen etc.).

Hervorzuheben sei auch die Initiative D-21, um Investitionen auch in Deutschland anzukurbeln. Dies sei jedoch noch nicht genug. Der Aufholeffekt gehe zur Zeit in Deutschland noch mühsam voran. Unbedingt müsse in die Schulbildung, Ausbildung (z. B. Schulen ans Netz) investiert werden, um als Wissensgesellschaft einen Standortvorteil zu haben.

Es hat sich herausgestellt, dass es bisher noch schwierig sei, Unternehmen ans Netz zu bringen, was an der Zugangs- und Transformationsproblematik liege. Der Einsatz neuer Technologien sei jedoch auch dort zwingend, um Skaleneffekte zu realisieren, Effizienzsteigerungen und enorme Einsparpotentiale (z. B. durch e-Commerce) herbeizuführen. Auch der Mittelstand müsse bei den technischen Innovationen mithalten, der sich gegenüber Großunternehmen sogar einen gewissen Vorteil sichern könne. So ermöglichen die flexibleren Entscheidungsstrukturen beim Mittelstand den schnelleren Einstieg in neue Technologien.



Dr. John Vickers, Director General of Fair Trading, London

Der weit gespannten Podiumsdiskussion zwischen Philip Lowe und Dr. Böge am Nachmittag des 6. März folgte ein Referat von Dr. Vickers zum Thema ̶Changes in EU and UK Competition Law“ in englischer Sprache.

Herr Vickers ging auf Reformen in der Europäischen Union und in Großbritannien der letzten Jahre ein, dort insbesondere auf den Competition Act 1998 und den Enterprise Act 2002.

Das Office für Fair Trading (OFT) ist 1973 durch den UK Fair Trading Act gegründet worden, der vor fünf Jahren durch den Competition Act 1998 ersetzt wurde. Die Regelungen in Kapitel 1 und 2 sind ein Spiegelbild der Wettbewerbsregeln der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag. Danach sind sowohl horizontale als auch vertikale Vereinbarungen sowie der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten.

Der Enterprise Act 2002 reformierte das Office of Fair Trading. Dieses übernimmt anstelle des Secretary of State für Trade and Industry die Entscheidungskompetenz in Verweisungen von Fusionen an die Competition Commission. Durch den Act wurde auch die derzeitige Fusionskontrolle in Großbritannien reformiert und der SLC-Test eingeführt.

Außerdem führt dieses Gesetz eine Verfolgung und Ahndung von Kartellverstößen nach Maßgabe des Strafrechts ein, die z. B. bei Hardcore-Kartellen wirksam werden. Für die Strafverfolgung ist das Serious Fraud Office zuständig. Eine Kronzeugenregelung findet ebenfalls Anwendung.

Im Bereich der Fusionskontrolle ändert sich das Untersagungskriterium für Fusionen von einem „public interest“-Test zu einem SLC-Test. Die Umstellung auf den SLC-Test bestärkt darüber hinaus den Verbraucherschutzansatz insofern, als er eine Customer Benefit-Klausel (Verbrauchervorteilsklausel) enthält.

Im Anwendungsbereich der Reform der europäischen Fusionskontrolle sprach sich Dr. Vickers für die Anwendung eines parallelen Tests im Sinne eines kumulativen Marktbeherrschungs- und SLC-Tests aus, da es nicht sicher sei, dass der Marktbeherrschungstest unilateralen Effekte umfasse. Darüber hinaus befürwortete er flexiblere Verweisungsvoraussetzungen, die garantierten, dass die am besten geeignete Behörde sich der Fallprüfung annähme.



Wolfgang Jaeger, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf

Wolfgang Jaeger referierte im Anschluss über „Die Auswirkungen der neuen Durchführungsverordnung zu Artikel 81 und 82 EG auf die Rechtsprechung der einzelstaatlichen Gerichte“.

Herr Jaeger äußerte Bedenken gegen die Zulässigkeit des Systemwechsels zu einer Legalausnahme im Verordnungswege. Wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass dem Rat die Kompetenz für die Anordnung dieses Systemwechsels auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung des Artikel 83 EG gefehlt hat, wäre die Verordnung Nr. 1 unwirksam. Dies könnte in einem Vorlageverfahren gemäß Artikel 234 EG durch ein einzelstaatliches Gericht geklärt werden.

Herr Jaeger bewertete kritisch, dass einzelstaatlichen Zivilgerichten nicht die Befugnis zustehe, den Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung unter den Voraussetzungen des Artikel 29 Abs. 2 VO Nr. 1 zu entziehen.

Die für die Kommission geschaffene Möglichkeit, Verpflichtungszusagen für bindend zu erklären, überlässt im Grunde den Gerichten die Prüfung, ob solch eine Verpflichtung geeignet ist, den wettbewerbsbeschränkenden Charakter einer Vereinbarung gemäß Artikel 81 und 82 EG zu mildern. Die Gerichte seien nicht an einer eigenständigen Entscheidung hierüber gehindert.

Die Feststellung der Nichtanwendbarkeit seitens der Kommission im Rahmen von Artikel 10 VO dürfte lediglich deklaratorischen Charakter haben und keine Bindungswirkung gegenüber einzelstaatlichen Gerichten entfalten. Artikel 16 Abs. 1 VO sieht jedoch vor, dass solchen Positiventscheidungen der Kommission Vorrang zukommt und diese von den Gerichten zu beachten seien. Da das einzelstaatliche Gericht nicht in jedem Fall ein Vorlageverfahren beim EuGH durchführen kann, stellte Herr Jaeger die Wirksamkeit des Artikel 16 Abs. 1 VO in Bezug auf Positiventscheidungen infrage. Nicht geklärt ist bisher auch, ob auch nationale Wettbewerbsbehörden Abhilfemaßnahmen struktureller Art nach Artikel 7 VO treffen können und ob Verbotsentscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden gemeinschaftsweit gelten könnten.

Die Kommission sollte ebenfalls verpflichtet sein, Auskunftsverlagen der Gerichte nach Artikel 15 VO nachzukommen.

Eine von Herrn Jaeger zur Verfügung gestellte Zusammenfassung des Berichts können Sie hier abrufen.



Professor Dr. Wernhard Möschel, Universität Tübingen

Prof. Möschel hielt einen Vortrag über juristisches versus ökonomisches Verständnis eines Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen.

Problematisch ist, wenn das auf Wenn-Sätzen beruhende ökonomische Verständnis, Gegenstand einer juristischen Bewertung wird. So kann z. B. das Verbot überhöhter Preise aus ökonomischer Sicht als kontraproduktiv eingestuft werden. Den Gesetzgeber lässt diese Sicht anscheinend jedoch unbeeindruckt.

Zur Beurteilung von Wettbewerbsbeschränkungen ist aus wohlfahrtstheoretischen Gründen und politökonomischen Gründen an eine Rule of Law zu denken. Problematisch ist jedoch, diese Beurteilung in das enge Korsett der Rechtsanwendung zu fassen.

An Beispielen von Fusionen und der Fusionskontrolle zeigte Prof. Möschel auf, dass das wirtschaftliche Scheitern von Fusionen oft andere als erwartete Gründe habe könne, z.B. könne dieses auch in völlig unterschiedlichen Unternehmenskulturen liegen.

Es empfiehlt sich darüber hinaus nicht, möglichen Zielkonflikten zwischen Wettbewerbsschutz und Effizienz-Zielen durch eine generelle Anhebung der materiellen Eingriffsschwellen Rechnung zu tragen. Den Zusammenschlussbegriff des GWB, bei dem die bloße Möglichkeit eines wettbewerberheblichen Einflusses für die Annahme der Marktbeherrschung ausreiche, bezeichnete Prof. Möschel als virtuell.

Zur korrekten Erfassung der tatsächlichen Situation ist eine Verwendung wirtschaftswissenschaftlicher Methoden zwar unerlässlich, man müsse sich jedoch vor vorschnellen Verallgemeinerungen hüten. So lässt sich zwar gut begründen, dass eine Abgabenkaskade im Sinne zweier hintereinander geschalteter Monopole ungünstiger sei als ein durch vertikalen Zusammenschluss entstandenes Monopol, jedoch lässt sich dieser Ansatz nicht auf sämtliche ̶unvollkommene Märkte“ übertragen. Dass in der Ökonomie vorherrschende Verständnis von Wettbewerb ist hauptsächlich an den Ergebnissen und nicht den Voraussetzungen von Marktprozessen zu messen. Wettbewerb ist demnach ein bloßes Instrument und nicht ein Zweck an sich.



Charles Stark, Wilmer Cutler & Pickering, Brüssel

Charles Stark hielt einen Vortrag in englischer Sprache über „Efficiencies and Merger Control: the US Experience and the European Future“.

Herr Stark hob die bedeutende Rolle der Effizienzen in der Fusionskontrolle insbesondere in den USA und der Europäischen Union hervor. Sowohl in den USA als auch in Europa müssen sich die Behörden mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen. So ist es beispielsweise schwierig, verlässliche Daten zu bekommen und Effizienzen zu beweisen. Fraglich ist auch, welche Effizienzen tatsächlich berücksichtigt sollten und in welchem Maße Effizienzargumente tatsächlich bei der Prüfung berücksichtigt würden. Nicht sicher sei, dass Effizienzargumente stets im Sinne der fusionierenden Parteien gewertet würden. Die EG-Kommission habe in der Vergangenheit dazu geneigt, Effizienzen selbst einen wettbewerbsbeschränkenden Charakter zuzuerkennen (efficiency offense).

Herr Stark gab ebenfalls einen informativen Rückblick über die Entwicklung der Efficiency-Doktrin in den USA. Effizienzen in den USA müssen heute fusionsspezifisch, messbar sein und nicht aus einem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten resultieren. Sie müssen dem Verbraucher zugute kommen und können nur berücksichtigt werden, wenn die Fusion keine monopolartigen Strukturen annimmt.

In der europäischen Fusionskontrolle seien Effizienzen in keinem Fall berücksichtigt worden, indem die Kommission bereits von einer Marktbeherrschung ausgegangen ist. Der derzeitige Mitteilungsentwurf der Kommission zur Bewertung horizontaler Fusionen reflektiere inhaltlich die US-Leitlinien in diesem Bereich. Nach Ansicht von Herrn Stark enthält der Entwurf jedoch eine so genannte „efficiency offense“, da die von der Kommission entwickelten Kriterien zur Überprüfung der wirtschaftlichen Macht, die durch Fusion entsteht, schwerlich durch andere Umstände wieder auszugleichen sind.



Dr. Hanns R. Glatz, Bevollmächtigter des Vorstandes, DaimlerChrysler Brüssel

Herr Dr. Glatz nahm eine Kritische Lektüre der neuen Kfz-GVO Nr. 1400/02 vor.

Die Sektorregelung im KFZ-Bereich habe - so Dr. Glatz - durch die neue Verordnung 1400/02 von einem ursprünglichen Privileg zu einem Unterprivileg geführt.

Der Konsultationsprozess seitens der Kommission habe zwar den formalen Anforderungen genügt, die verfügbaren Informationen und Diskussionsmöglichkeiten seien jedoch mangelhaft gewesen.

Die in der neuen Verordnung zum Ausdruck gelangten politischen Ziele seien von der Kommission relativ willkürlich gewählt worden. Dr. Glatz nannte als Beispiele die Bevorzugung des Intra-Brand vor Inter-Brand-Wettbewerb, wodurch der Handel gestärkt werden sollte. Weitere Problemfelder seien der Mehrmarkenhandel, das Zurückdrängen des quantitativ selektiven Vertriebs, die völlige Trennung von Vertrieb und Kundendienst, die zwangsweise Offenlegung technischer Informationen, die Bezugs-und Vertriebsfreiheit für Ersatzteile etc. und die so genannte „multi-channel-distribution“.

Im Anwendungsbereich in der neuen Verordnung sei weiter problematisch, dass der Kfz-Vertrieb durch Eigentumsübertragung eingeschränkt worden sei. So sei das Leasing nicht mehr von der Verordnung erfasst. Problematisch sei auch die Erweiterung auf reine Kundendienstverträge und Liefer- und Vertriebsverträge von Ersatzteilen.

Die Bestimmung von Marktanteilen ist dem ökonomischen Ansatz zufolge zwar ein entscheidendes Kriterium. Die VO 1400/02 definiert jedoch weder relevante Produktmärkte noch räumlich relevante Märkte. Dies stelle einen weiteren Schwachpunkt dar.

Im Bereich der Instandsetzungs- und Wartungsdienste verfolgt die Kommission zum Teil widersprechende Ziele, indem sie die Trennung vom Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge vom Kundendienst abkoppele. Die Kfz-Hersteller unterlägen nun keiner Verpflichtung mehr, ein Kundendienstnetz aufzubauen, Händler hingegen dürften zu solch einem Kundendienst verpflichtet werden.

Im Bereich der Ersatzteile sei die Definition der Originalersatzteile nicht geglückt. Es bliebe offen, ob diese Definition auch für Nachbauteile gilt oder dadurch ein Privileg für Originalzulieferer errichtet würde. Insgesamt enthält die neue Verordnung viele Unstimmigkeiten und Unklarheiten ̵ so Dr. Glatz -, die die praktische Anwendung nicht gerade erleichtern.



Professor Dr. Winfried Tilmann, Lovells, Düsseldorf

Prof. Tilmann referierte abschließend über Geistiges Eigentum und Wettbewerbsfreiheit - GruppenfreistellungsVO über den Technologietransfer.

Er stellte zu Beginn seines Vortrags zwei einander widersprechende Thesen vor, zum einen die These, dass Patentrecht Monopolrecht sei, in dem eine Lizenz nur einen oder wenige begünstige. Die Antithese laute hingegen, dass Patentrecht den Wettbewerb belebe. In diesem Zusammenhang spielen Belohnungs- und Anreizfunktionen oder der Offenbarungszwang eine gewichtige Rolle.

Im Jahr 2006 wird die geltende Fassung der Technologietransferverordnung auslaufen, weshalb die Kommission bereits Vorarbeitungsarbeiten zur Reform der Technologietransferverordnung getroffen hat.

Patente haben in Deutschland und der gesamten Europäischen Union eine große wirtschaftliche Bedeutung. Eine Freistellungsverordnung im Bereich des Technologietransfer kann die Rechtssicherheit in diesem Bereich erhöhen, indem die Verwendung bestimmter Lizenzvertragsklauseln als zugelassen gelte.

Ein Vergleich mit den USA zeigt, dass Patentrecht dort kein Monopolrecht sei und das Hauptaugenmerk auf dem Wettbewerbsverhältnis zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer liege. In den USA gelten alle Beschränkungen zwischen dem Lizenzgeber und dem Lizenznehmer als zulässig, wenn diese Nichtbewerber sind. Sind sie Wettbewerber, hängt die Zulässigkeit von Beschränkungen von bestimmten Marktanteilen ab.

Die Kommission hat bereits indiziert, dass sie sich der amerikanischen Praxis zukünftig annähern möchte. Allerdings sieht die Kommission das Verhältnis zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer, wenn diese Nichtbewerber sind, kritischer, so dass Beschränkungen in diesem Verhältnis ebenfalls an Marktanteile geknüpft werden sollten.

Viele Fragen sind derzeit jedoch noch ungeklärt. Nicht klar ist beispielsweise, inwiefern das Urheberrecht, Markendesignrechte oder Patentpools in die neue Verordnung miteinbezogen werden sollen. Insgesamt bewertete Prof. Tilmann die Reformansätze in Europa jedoch als positiv, sofern sie auf eine Abspeckung und Liberalisierung des Regelwerks hinausliefen.


Dr. Suchsland-Maser