02.10.2003

XXXII. Brüsseler Informationstagung zu den "Neueren Entwicklungen des europäischen Wettbewerbsrechts"

XXXII. Brüsseler Informationstagung
"Neuere Entwicklungen des europäischen Wettbewerbsrechts"

 

24./25. September 2003

 

Tagungsbericht

 

Mittwoch, den 24. September 2003

Anlässlich des traditionellen Abendessens im Restaurant La Maison du Cygne hielt Prof. Dr. Joachim Felix Leonhard, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, die After-Dinner-Speech zum Thema "Kulturpolitik in Europa".

Prof. Leonhard gab zunächst einen kurzen Abriss über den Werdegang Europas, beginnend mit der Entführung der Europa, über das Aufkeimen des Globalisierungsgedankens im 15. Jh. durch Marco Polo und andere Entdecker, über den Gutenberg'schen Buchdruck als Vorläufer der Informationsgesellschaft bis hin zur Entwicklung als Wirtschafts- und Währungsunion. Das Europa des Jahres 2003 setzt sich insbesondere mit unterschiedlichen kulturpolitischen Identitäten auseinander, wobei der Vermittlung von Kulturtechniken (z.B. der Sprache) entscheidende identitätsstiftende Bedeutung zukomme. Prof. Leonhard plädierte für ein Europa regionaler Vernetzung anstelle eines Europas der Nationen, wobei ein Schlüssel zum gegenseitigen Verständnis auf den Verständigungsmöglichkeiten untereinander liege. Es sei daher die Mehrsprachigkeit jedes Einzelnen in der EU zu fördern; auch müsse dafür Sorge getragen werden, dass Studienabschlüsse grenzüberschreitend anerkannt würden.

Donnerstag, den 25. September 2003

Zunächst referierte Herr Dr. Alexander Winterstein, Mitarbeiter der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission und Delegierter beim Europäischen Verfassungskonvent, über "Eine Wirtschaftsverfassung für Europa".

Herr Winterstein stellte im Rahmen der vier Teile des Verfassungsentwurfs einige Neuerungen im Bereich der Ziele, Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen im Vergleich zum bisherigen EG-Vertrag dar. Während für den bisherigen Wirtschaftsraum ein Bekenntnis zu einem beständigen nichtinflationären Wachstum, einem hohen Beschäftigungsniveau, einem unverfälschten Wettbewerb sowie zur offenen Marktwirtschaft vorherrsche, ist in der Zielsetzung des Verfassungsentwurfs nun stattdessen von einem ausgewogenen Wachstum, der Vollbeschäftigung, freiem und unverfälschtem Wettbewerb und dem Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft die Rede.

Bei den Zuständigkeiten unterscheidet der Entwurf zwischen ausschließlichen, geteilten und ergänzenden Zuständigkeiten. Zu den ausschließlichen Zuständigkeiten zählen danach die Wettbewerbsregeln, die Währungspolitik, der Binnenmarkt und die Sozialpolitik. Neue Rechtsgrundlagen sollen für die Bereiche Energie, Raumfahrt, Sport und Katastrophenschutz geschaffen werden. Während des Verfassungskonvents habe es auch eine lange Debatte über die funktionale Kompetenz (Artikel 95 EGV) gegeben, die wesentlich für die Verwirklichung des Binnenmarktes war. Hier habe sich jedoch nichts geändert. Auch das Wettbewerbsrecht bleibe unverändert. Im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik belässt es der Entwurf bei bloßen Empfehlungen der Kommission zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik, jedoch kann die Kommission - anders als bis jetzt - den Mitgliedstaaten direkt und unmittelbar Frühwarnungen zukommen lassen. Beim Haushaltsdefizit sieht der Verfassungsentwurf ebenfalls die Möglichkeit von Frühwarnungen der Kommission vor und billigt der Kommission zusätzlich ein eigenes Vorschlagsrecht für eine entsprechende Ratsempfehlung zu. Dies habe zu einer Verstärkung der Schiedsrichterfunktionen der Kommission geführt.

In Artikel III-6 des Verfassungsentwurfs ist für den Bereich der Daseinsvorsorge eine Rechtsgrundlage für eine so genannte Rahmenrichtlinie für Dienstleistungen im allgemeinen Interesse geschaffen worden, die auf Initiative von Giscard d'Estaing aufgenommen worden sei. Kritiker befürchten allerdings Ausnahmen von den Wettbewerbsregeln und vom Beihilfenrecht.

Die Regierungskonferenz folgt mit nur 7 angesetzten Treffen einem ehrgeizigen Zeitplan, wobei noch fraglich ist, ob einzelne Vorschriften des Verfassungsentwurfs dort wieder aufgeschnürt werden.

Es folgte ein Vortrag von Herrn Dr. Daniel Dittert, Mitarbeiter der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, zum Thema "Die Reform der Europäischen Fusionskontrolle".

Der Entwurf der Fusionskontrollverordnung der Kommission werde derzeit intensiv und konstruktiv im Rat beraten. Die Kommission sei für eine Beibehaltung des Marktbeherrschungstests und nicht für einen Übergang zum SLC-Test. Allerdings soll der Marktbeherrschungstest aus Gründen der Klarstellung und Rechtssicherheit deutlicher gefasst werden.

Die gegenseitige Zuständigkeitsverteilung funktioniere gut, jedoch seien die Umsatzschwellen nur ein Näherungswert. Die geänderten Verweisungsvorschriften des Verordnungsentwurfs versuchten daher einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten und dem Gemeinschaftsinteresse zu schaffen. Durch eine Verbesserung der bisher zu komplizierten Verweisungsvorschriften, die auch eine Anwendbarkeit vor der Anmeldung zuließen, soll auch das Problem der Mehrfachanmeldungen gelöst werden.

Änderungen im Verfahrensablauf bezweckten eine Verbesserung der Transparenz und der Koordination zwischen den Unternehmen, Mitgliedstaaten und der Kommission. So sollen zukünftig verstärkt "State-of-Play-Meetings" mit den Unternehmen stattfinden, welche auch ein frühzeitiges Einsichtsrecht in Beschwerden geltend machen könnten. Das strenge Fristenregime soll zukünftig, sowohl in Phase 1 als auch in Phase 2, flexibler gehandhabt werden.

Zuletzt dienten interne Reorganisationsmaßnahmen in der Generaldirektion Wettbewerb der Verbesserung der Entscheidungsprozesse der Kommission. Hierzu zählt die Einstellung eines Chefökonoms. Kollegiale Panels sollten die Aufgabe des Advocatus diaboli übernehmen und systematisch in allen Fällen der Phase 2 angewandt werden. Auch die Auflösung der MTF und Restrukturierung der Generaldirektion dürfte der Sektorkenntnis der Fallbearbeiter zugute kommen.

Die Tagung wurde am Nachmittag mit dem Vortrag von Frau Dorothe Dalheimer, Mitarbeiterin der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, zum Thema "Die VO 01/2003 und das Modernisierungspaket der Kommission" fortgesetzt.

Frau Dalheimer ging kurz auf die Grundzüge der Verordnung 01/2003 (Abschaffung des Anmeldesystems, Einführung der Legalausnahme, direkte Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EGV, Konvergenzregeln und das Netzwerk der Behörden) ein. Die von der Kommission in diesem Zusammenhang angekündigten Bekanntmachungen würden in Kürze veröffentlicht werden und eine öffentliche Konsultation auslösen.

Die Bekanntmachung über den zwischenstaatlichen Handel führe eine neue Spürbarkeitsschwelle für das Zwischenstaatlichkeitskriterium ein, die jedoch nicht mit der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung zu verwechseln sei.

Die Bekanntmachung über die Anwendung von Artikel 81 Abs. 3 EGV würde die dort genannten Voraussetzungen substantiieren, die bereits bestehenden Leitlinien und Gruppenfreistellungsverordnungen ergänzen.

Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit der Kommission mit den Gerichten beschränke sich nicht nur auf eine Kommentierung von Artikel 15 der VO 1/2003, sondern sei auch im Falle von Nachprüfungen relevant.

Die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit im Netzwerk der Behörden sei durch die gemeinsame Erklärung des Rates, der Kommission und der nationalen Kartellbehörden bereits vorgeformt worden und regele die Fallverteilung im Netz. Grundsätzlich solle stets die "gut geeignete Behörde" den Wettbewerbsverstoß untersuchen, d.h. die Behörde, die den Wettbewerbsverstoß effektiv abstellen oder ahnden kann. Ein paralleles Vorgehen sei jedoch dadurch nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus werde die Immunität von Kartellteilnehmern geschützt, indem derjenige, der sich auf eine Kronzeugenregelung berufe, durch eine selektive Informationsweitergabe geschützt werde.

Die Bekanntmachung über Beratungsschreiben lege die Voraussetzungen für eine schriftliche Stellungnahme der Kommission in Einzelfällen bei neuen und ungelösten Rechtsfragen fest, wobei aber sichergestellt worden sei, dass dadurch nicht wieder das alte Anmeldesystem eingeführt würde.

Die Bekanntmachung über Beschwerden differenziere zwischen einer einfachen Marktinformation (keine Beschwerde) und einer Beschwerde im Sinne von Artikel 7 Abs. 2 der Ratsverordnung, für die ein Formblatt C erforderlich sei. Die Kommission werde sich verpflichten, binnen vier Monaten zu prüfen, ob sie eine Beschwerde vertieft untersuchen oder zurückweisen wolle.

Die Tagung beschloss Frau Silke Hossenfelder vom Bundeskartellamt zu dem Thema "Die Auswirkungen der VO 01/2003 auf die Tätigkeit des Bundeskartellamts, insbesondere: die 7. GWB-Novelle".

Frau Hossenfelder stellte zunächst kurz den Hintergrund der Novellierung (System der europäischen Legalausnahme und der parallelen Anwendung von nationalem und europäischen Recht) dar. Im GWB soll das System der Legalausnahme übernommen und gleichzeitig das Sanktionsregime verstärkt werden, indem Unterlassungsansprüche gestärkt, Verbraucherschutzverbänden ein Klagerecht eingeräumt und die Möglichkeit der Kartellrenditeabschöpfung auch bei zivilrechtlichen Verstößen ermöglicht würden.

Darüber hinaus werde eine Bindung der Gerichte an bestandskräftige behördliche Entscheidungen, auch anderer nationaler Behörden, eingeführt und die Ermittlungsbefugnisse würden ausgedehnt. Artikel 81 EGV soll in das GWB aufgenommen und die Wirkung der Gruppenfreistellungsverordnungen auf den nationalen Anwendungsbereich erstreckt werden. Einige Ausnahmebereiche würden abgeschafft (Urheberrecht, Sport), während andere bestehen blieben (Landwirtschaft, Preisbindung für Zeitungen und Zeitschriften und Mittelstandskartelle). Die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen werde ebenfalls beibehalten, wobei aber das Kriterium der räumlichen Marktabgrenzung ausgedehnt würde.

Sowohl das Bundeskartellamt als auch die Landeskartellämter sollen zukünftig EG-Recht unmittelbar anwenden dürfen. Verstöße gegen Artikel 81 und 82 EGV sollen ebenfalls direkt bebußt werden können. Das GWB übernehme weiterhin Regeln zum Austausch vertraulicher Informationen (Artikel 12 VO 1/2003), um eine effektive Zusammenarbeit im Netzwerk zu ermöglichen. Eingeführt würden auch Regeln zur Amtshilfe bei Durchsuchungen.