08.10.2002

FIW XXXI. Brüsseler Informationstagung am 25. und 26. September 2002 - neuere Entwicklungen des europäischen Wettbewerbsrechts

EU
FIW
Informationstagung

Anlässlich des traditionellen Abendessens mit Beamten der Kommission im Restaurant „La Maison du Cygne“ am Mittwochabend hielt Augustinus O. Praem. Heinrich Graf Henckel von Donnersmarck eine gelungene After-Dinner-Speech zum Thema „Kirche-Ethik, Moral und Wettbewerb“. Der Redner trat im Jahre 1953 als Frater Augustinus in den Orden der Prämonstratenser ein. Er war Gründungsmitglied der Abtei Hamborn in Duisburg-Hamborn, Geistlicher Rektor und Dozent an der Diözesanakademie des Bistums Essen, Domprediger an der Kathedralkirche in Essen, Ehren-Domherr des Hochwürdigen Metropolitankapitels an der Hohen Domkirche zu Köln. 1996 gründete er Unicorn Consultants GmbH, als deren Gesellschafter und Geschäftsführer er Firmen in Fragen der Unternehmensethik

Augustinus O. Praem. Heinrich Graf Henckel von Donnersmarck stellte eine interessante Verknüpfung von ethischen Werten und dem Wettbewerbsprinzip her. Die Kirche sei ein wahrer Monopolist, ein Institut, in dem es Wettbewerb nicht gebe. Allerdings verfügt die Kirche über einen großen Erfahrungsschatz, der auch für den Wettbewerb nutzbar gemacht werden könne. Donnersmarck unterschied dabei zwischen der philosophiegestützten und auf den Menschen bezogenen Ethik und der durch Autorität garantierten und begründeten Moral, die nur so lange wirksam sei, wie die Autorität existiere. Er plädoyierte dabei für eine größere Verankerung ethischer Prinzipien in der Europäischen Union. Die Europäische Union und ihre Organe müssten eine pro-aktive Tätigkeit entfalten, um zu verdeutlichen, dass dieses Gebilde auf ethischen Spielregeln beruhe und dieser auch bedürfe. Dabei solle man sich keinesfalls auf den kleinstmöglichen Nenner beschränken. Das Kartellrecht, dessen Anwendung letztlich zu geringeren Preisen führt und einen unmittelbaren Einfluss auf die Freiheit des Bürgers nimmt, sei kein Selbstläufermodell. Um die Spielregeln, die von allen eingehalten werden müssen, noch mehr in den Köpfen der Menschen zu verankern, gelte für jeden, der die Regeln des Kartellrechts anwendet, an die Vernunft der Menschen zu appellieren und ihnen den tieferen Sinn der Bestimmungen und ihres Nutzens zu erklären. Insofern müsse jeder in Vorleistung treten, da ethische Prinzipien des Diskurses bedürfen und letztlich auf einen Konsens angewiesen sind, der sich nicht im luftleeren Raum herstellen

Die Tagung selbst zeichnete sich durch vier ausgezeichnete Vorträge und lebhafte Diskussionen

Den ersten Vortrag zum Thema “Modernisation of the Enforcement of the European Competition Law: The Implications for the Court of Justice and the Court of First Instance“ hielt Ignace Maselis, der Rechtsreferent am Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften

In seinem Vortrag beleuchtete Maselis die Auswirkungen der geplanten Reform des europäischen Kartellverfahrensrechts für den Europäischen Gerichtshof und das Gericht erster Instanz. Dabei stellte er zunächst die wichtigsten Neuerungen der Reform vor. Wegweisend ist, dass nationale Gerichte und Behörden künftig EG-Recht unmittelbar anwenden müssen. Zwar konnten auch bisher nationale Kartellbehörden EG-Kartellrecht anwenden, jedoch nur, wenn es dafür eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage gab, die jedoch nicht von allen Mitgliedstaaten geschaffen wurde. Vor den Gerichten konnte sich jedes betroffene Unternehmen direkt auf die Normen des Gemeinschaftsrechts berufen. Allerdings fehlt es - so Maselis - bislang an einer breiteren Anwendungspraxis der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch nationale

Da mit dem Reformvorhaben die Kommission zukünftig keine Freistellungsentscheidungen mehr treffen wird, sondern nur noch Entscheidungen erlassen kann, in denen sie einen Verstoß oder das Fehlen eines Verstoßes feststellt und Beschwerden zurückweist, wird sich die Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch nur noch auf solche Entscheidungen beziehen. Es ist zu vermuten, dass als Folge des Gebots, dass nationale Gerichte und Behörden keine dem EG-Recht entgegenstehenden Entscheidungen erlassen dürfen (Artikel 16 VOE), das europäische Gericht erster Instanz mehr Verweisungen für eine Erstentscheidung erhalten wird. Vermutlich wird die Zahl privater Beschwerden und Klagen zunehmen. Offen ist die Frage, ob eine Verweisungsentscheidung selbständig gerichtlich überprüft werden

Der Überprüfungsmaßstab hinsichtlich der Feststellung eines Verstoßes wird sich allerdings auch in Zukunft nicht ändern. Er ist darauf beschränkt, ob der Kommission ein „offensichtlicher Beurteilungsfehler“ unterlaufen

Sehr erhellend war auch der Vortrag von Dr. Stephan Simon aus der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, Mitglied der Task Force Fusionskontrolle, vormals in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen. Herr Simon berichtete über die „Neuere Entwicklung der Verwaltungspraxis nach der

Zunächst stellte er die Airtours-Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vor und untersuchte, ob die Kommission hier eine neue Theorie der kollektiven Marktbeherrschung durch unilaterales Verhalten der Marktteilnehmer aufgestellt haben könnte. Die darauf gerichtete Sichtweise der Kommission hatte jedenfalls vor dem Gericht erster Instanz Bestand. Dieses hatte der Kommission lediglich Beurteilungsfehler vorgeworfen. Der vorsitzende Richter Vesterdorp hat darüber hinaus angekündigt, dass der Gerichtshof erster Instanz zukünftig eine aktivere Rolle einnehmen

Herr Simon stellte im Anschluss auch noch den aktuellen Verfahrensstand bei der Reform der Fusionskontrollverordnung dar. Neu sei, dass die Kommission zukünftig mehr Ökonomen einstellen und auch einen Chefökonom beschäftigen wolle und weitere interne Verbesserungen

Am 15./16. Oktober wolle sich die Kommission mit den Mitgliedstaaten zusammensetzen und Mitte Dezember bereits ein Weißbuch oder einen Verordnungsvorschlag zusammen mit Mitteilungen über horizontale Fusionen, Effizienzen und das Marktbeherrschungskriterium verabschieden. Die Verordnung soll 2003 vom Rat verabschiedet

Für das Problem der Mehrfachanmeldungen zeichnen sich zur Zeit folgende Lösungsmöglichkeiten

1. eine wahlweise Zuständigkeitsregel in Verbindung mit einem
2. ein Ausbau der Verweisungsregel in Artikel
3. eine Verteilung im Netzwerk der Behörden noch vor der

Eine automatische Zuständigkeit (3+-Regel), ein „Finetuning“ der bisherigen Kriterien oder eine Reformverschiebung gehören nicht zu den favorisierten Lösungsansätzen. Die Lösungsbestrebungen laufen derzeit auf einen modifizierten 3+-Vorschlag im Zusammenhang mit einem Reformpaket (z.B. Änderung der Verweisungsregeln) und einer Koordinierung im Netzwerk der Behörden

Sofern der Marktbeherrschungstest auch einseitige Verhaltensweisen umfasse, wie von der Kommission angenommen (s. oben) und von vielen Seiten behauptet, weise der Marktbeherrschungstest im Vergleich zum SLC-Test keine Lücke

Die bei der Kommission eingegangenen Stellungnahmen und Kommissar Monti seien darüber hinaus für eine restriktive Auslegung der Effizienzkriterien . Effizienzen müssen fusionsspezifisch sein, eine grenzkostenreduzierende Wirkung haben, an den Verbraucher weitergegeben werden, und die Beweislast müsse bei den Parteien liegen. Unwahrscheinlich sei die Einführung einer De-Minimis-Regelung. Möglicherweise würde aber im vereinfachten Verfahren zukünftig ein vereinfachtes Formblatt verwendet werden und eine Fusion vom Vollzugsverbot freigestellt werden

Am Nachmittag setzte Frau Professor Dr. Petra Pohlmann mit ihrem Vortrag „Doppelkontrolle von Gemeinschaftsunternehmen - eine Zwischenbilanz “ die Tagung fort. Frau Professor Pohlmann hat Anglistik (Grundstudium) sowie Jura studiert und hält seit 1997 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf einen Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Zivilverfahrensrecht

In ihrem Vortrag beleuchtete sie Gemeinschaftsunternehmen, die sowohl konzentrative als auch kooperative Wirkungen zeitigen. Seit 1998 unterliegen solche Gemeinschaftsunternehmen einer Doppelkontrolle und werden im Verfahren der Fusionskontrolle sowohl nach dem Marktbeherrschungstest als auch nach den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag beurteilt. Im Rahmen der Fusionskontrolle untersucht die Kommission zunächst die in Betracht kommenden Koordinationsmärkte und dabei, welche Marktanteile die Mütter der GU auf den GU-Märkten inne haben. Vertikale Verhaltenskoordinationen oder die Tätigkeit in verschiedenen Märkten, d.h. auch auf eng verknüpften, vorgelagerten und benachbarten Märkten, werden jedoch ausschließlich nach Artikel 81 EG-Vertrag geprüft. Sodann prüft die Kommission im Rahmen von Artikel 2 Abs. 4 FKVO, ob eine Verhaltenskoordination zwischen den Müttern bezweckt oder bewirkt wird (z.B. bei hohen Marktanteilen der Mütter, Oligopolstrukturen, symmetrischen Marktanteilen etc.), die „Spürbarkeit“ (in der Regel bis 10 % Marktanteil), Kausalitätsgesichtspunkte (beruht die Verhaltenskoordinierung aus anderen Gründen), die gemeinschaftsweite Bedeutung und mögliche Auflagen und Bedingungen nach Artikel 6 FKVO. Hier bevorzugt die Kommission in erster Linie Strukturauflagen und keine

Zum Schluss sprach Dr. Stefan Rating vom Juristischen Dienst der Europäischen Kommission über das Thema „Due Process - Verfahrensrechte und Kontrollmechanismen “ und veranschaulichte in sehr klarer Weise den Bedarf für bestimmte Reformen bei der

Unter dem Stichwort „Bündigkeit“ sprach sich Herr Rating für eine Wahrung des strengen Fristenregimes der FKVO aus. Besser als eine Ausweitung der Fristen sei die Möglichkeit einer frühzeitigeren Anmeldung. Ein Anhalten des Verfahrens (stop-the-clock) sei nur in der zweiten Phase zu befürworten, da es dort zu größerer Transparenz führen

Unter dem Stichwort „Transparenz“ fand Herr Rating äußerst kritische Worte für die seiner Ansicht nach ungenügende Handhabe der Akteneinsicht seitens der Kommission. Dabei sprach er sich einerseits für eine erhebliche Ausweitung der Akteneinsicht aus. Argumente Dritter sollten der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden oder einem unparteiischen Dritten vorgetragen werden. Andererseits forderte er eine Ausweitung der so genannten kommissionsinternen

Unter dem dritten Stichwort „Nachprüfbarkeit“ schlug Herr Rating vor, die Möglichkeiten für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu erweitern. Das Für und Wider der einstweiligen Verfügung wurde in der anschließenden Diskussion noch einmal aufgegriffen und den Vor- und Nachteilen des beschleunigten Verfahrens