14.10.2002
Bundeskartellamt: Arbeitskreis Kartellrecht diskutiert Wettbewerb in der Energiewirtschaft
Deutschland
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https://www.bundeskartellamt.de |
Bestandsaufnahme
- Bei Strom sind drei Märkte zu unterscheiden: der Weiterverteiler-Markt (national), der Endkundenmarkt (regional), der Absatz an Stromhändler.
- Bei Gas ist die überregionale Ferngasstufe von der regionalen Weiterverteilung und dem Endkundenmarkt zu trennen.
- Generell ist der Netzzugang das Problem: da die Versorger das Netz selbst benutzen und oft eigene Angebote aus einer Hand (Wasser, Strom, Gas) machen, haben sie wenig Anreize, ihre Netze für Dritte zu öffnen.
- Darüber hinaus mangelt es an Transparenz der Entgeltkalkulation. Bei Gas gilt das entfernungsabhängige Punktsystem, dem das entfernungsunabhängige „Briefmarkenmodell“ gegenübersteht.
- Bei Gas bereitet die Langfristigkeit der Lieferverträge Schwierigkeiten für den Marktzutritt.
- Das Papier schildert die Liberalisierung in Frankreich, Großbritannien, Schweden, Finnland, den Niederlanden und Österreich: alle haben von der EU-Option des behördlich regulierten Netzzugangs Gebrauch gemacht, nur Deutschland weicht mit dem verhandelten Netzzugang davon ab (Aushandeln der Bedingungen durch Verbände).
Problemfelder (Schwerpunkt Strommärkte)
- Die totale Verweigerung des Netzzugangs ist selten geworden.
- Der Lieferantenwechsel ist etwas leichter geworden, nachdem das Doppelvertragsmodell aufgegeben worden ist (neuer Kunde musste Verträge mit dem Lieferanten und mit dem Netzbetreiber schließen).
- Wechselentgelte werden von den Gerichten zunehmend auf Missbrauch kontrolliert.
- Zu den Netzzugangsentgelten, dem zentralen Problem, sind 12 Verfahren anhängig. Es gilt das Vergleichsmarktprinzip, das jedoch schwierig zu handhaben ist (Was ist ein einigermaßen ähnlicher Markt? Kann man den Durchschnitt aller deutschen Märkte nehmen? Sollte man ausländische Märkte, die schon geöffnet sind, nicht einbeziehen?)
- Bei Gas laufen Lieferverträge oft über 20 Jahre, im Import sogar länger. Bei Fusionen besteht das Bundeskartellamt deshalb oft auf Auflagen in Form von Sonderkündigungsrechten für die Kunden oder in Form von Reduzierungen der Abnahmeverpflichtungen. Das OLG Düsseldorf hat jetzt langfristige Altverträge für kartellrechtswidrig erklärt.
Anforderungen an die Aufsicht: Regulierungsbehörde oder Kartellbehörde?
- In Deutschland gibt es 900 Netze, die Kontrolle ist deshalb nicht ganz einfach.
- Die Aufsichtsbehörde muss unabhängig sein (es darf nicht zu „regulatory capture“ durch die Kontrollierten kommen) und personell angemessen ausgestattet werden: eine Missbrauchsaufsicht ex post könnte hier günstiger als eine ex-ante-Genehmigung durch eine Regulierungsbehörde sein.
- Bei den rechtlichen Instrumenten ist vor allem das Vergleichsmarktkonzept noch zu verbessern.
- Die Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen (sollte durch die nicht mehr verabschiedete Novelle zum Energiewirtschaftsgesetz eingeführt werden) ist problematisch: wenn widerleglich vermutet wird, dass die Regelungen der Verbändevereinbarung guter fachlicher Praxis entsprechen, entfällt dann die gerichtliche Kontrolle solcher Vereinbarungen?
- Die ebenfalls nicht mehr eingeführte sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen der Aufsichtsbehörde ist äußerst wünschenswert.
- Die Entbündelung von Energieversorgern (Netzbetrieb und Lieferung) ist weiter zu betreiben, wobei als Instrumente die Entflechtung (eigentumsrechtlich und verfassungsrechtlich bedenklich), die gesellschaftsrechtliche Trennung (möglich) und die Trennung der unternehmerischen Leitung oder der Geschäftsbereiche (wahrscheinlich zu schwach) zur Verfügung stehen.
- Eine Regulierungsbehörde kann durch vorherige Genehmigung der einzelnen Netznutzungsentgelte Rechtssicherheit schaffen. Durch die Zusammenlegung mehrerer Regulierungsbehörden würde die Gefahr der „regulatory capture“ (so das Konzept der Monopolkommission im 14. Hauptgutachten). Das Bundeskartellamt würde durch Entscheidung konkreter Einzelfälle im Rahmen der Missbrauchskontrolle aber ebenfalls Maßstäbe für Nutzungsentgelte entwickeln und auf diese Weise eine ähnliche Rechtssicherheit herstellen können: Voraussetzungen sind dafür aber die sofortige Vollziehbarkeit der Entscheidungen und generell ein schnelles Verfahren.
- Das Papier zieht folgendes Fazit (S. 43):
Letztendlich ist weniger von Bedeutung, welche Behörde die Regulierungsaufgaben wahrnimmt, als vielmehr welches rechtliche Instrumentarium ihr zur Verfügung steht, ob sie unabhängig und sachlich und personell hinreichend ausgestattet ist.
§§ 19 Abs. 1 und 4, 20 Abs. 1 GWB ermöglichen den Kartellbehörden eine effektive Missbrauchsaufsicht. Sie sind danach befugt, sowohl Vergleichsmarktbetrachtungen als auch Kostenprüfungen durchzuführen, um in konkreten Einzelfällen Netznutzungsentgelte auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung hin zu überprüfen Die Effizienz dieser Vorschriften könnte durch einen gesetzlich verankerten Sofortvollzug kartellbehördlicher Verfügungen in der leitungsgebundenen Energie noch maßgeblich gesteigert werden.
Das Bundeskartellamt geht davon aus, dass es sich bei den derzeit anhängigen Verfahren um Präzedenzfälle handelt, deren Abschluss weitreichende Signalwirkung haben wird. Dies betrifft das Verhalten nicht direkt betroffener Unternehmen ebenso wie die Verwaltungspraxis der Landeskartellbehörden und die zivilrechtliche Geltendmachung einschlägiger Ansprüche durch Netzzugangspetenten.
Allerdings kann das Bundeskartellamt die derzeit anhängigen Missbrauchsverfahren nur dann zügig durchführen, wenn es personell und sachlich besser ausgestattet wird.