05.09.2015
Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kartellschadensersatz erfordert Änderungen im deutschen Recht
EU
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https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:JOL_2014_349_R_0001&qid=1418058783572&from=DE |
Die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union muss bis zum 27. Dezember 2016 in nationales Recht umgesetzt werden. Sie war am 5. Dezember 2014 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden (vgl. FIW-Bericht vom 10.12.2014).
Die Vorarbeiten zur Umsetzung haben längst begonnen. Der Referentenentwurf wird für den Herbst 2015 erwartet. Auch wenn viele Aspekte der Richtlinie in § 33 GWB bereits geregelt sind, besteht doch Anpassungsbedarf an mehreren Stellen. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass die Bundesregierung bei der Umsetzung in einzelnen Bereichen über den Wortlaut der Richtlinie hinausgehen könnte.
Die Richtlinie beruht auf einem Vorschlag der EU-Kommission vom Juni 2013 und hat das Ziel, einen vollständigen Ersatz des aufgrund eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht erlittenen Schaden zu gewährleisten. Gleichzeitig soll das Zusammenspiel zwischen öffentlicher und privater Rechtsdurchsetzung verbessert werden, indem insbesondere ein verstärkter Schutz von Kronzeugen in späteren Schadensersatzprozessen vorgesehen ist.
In Deutschland besteht bei mehreren Aspekten Änderungsbedarf. Streitig wird schon jetzt in der Literatur insbesondere die Frage diskutiert, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, den weiten europäischen Unternehmensbegriff zu übernehmen, was eine drastische Haftungserweiterung der Muttergesellschaft einer gegen das Wettbewerbsrecht verstoßenden Tochtergesellschaft zur Folge hätte („Einführung einer automatischen Konzernmutterhaftung“). Schon seit langem behandelt die EU die Gesellschaften eines Konzerns als wirtschaftliche Einheit, innerhalb derer Bußgelder auch gegenüber der Muttergesellschaft erhoben werden können, wenn die Tochtergesellschaft gegen Wettbewerbsrecht verstoßen hat. Das Bundeskartellamt hält es für erforderlich, den europäische Unternehmensbegriff auch in das deutsche Recht einzuführen, um etwaige Rechtsnachfolgelücken bei der Bußgeldhaftung zu schließen und gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen mit dem Ziel einer Freizeichnung vom Bußgeld zu verhindern.
Wesentlicher Umsetzungsbedarf besteht untern anderem bei folgenden Regelungen:
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Einführung einer Vermutung, dass Kartelle einen Schaden verursachen.
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Passing-on-defence: Die Richtlinie begünstigt durch ihre Beweislastregeln den mittelbaren Abnehmer. Hier besteht Anpassungsbedarf.
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Offenlegung von Beweismitteln und Akteneinsicht: Die Ausnahmeregelungen der Richtlinie, insbesondere zum Schutz von Kronzeugenakten, müssen umgesetzt werden. Möglicherweise ist außerdem eine nähere gesetzliche Regelung zu Kronzeugen erforderlich. Weitere umsetzungsbedürftige Fragen betreffen Sanktionen bei Verstößen gegen die Offenlegungsanordnung, die in der Richtlinie vorgesehenen Beweisverwertungsverbote oder die Definition von „Kategorien von Beweismitteln“. Es stellen sich außerdem Fragen nach dem Schutz des Anwaltsprivilegs sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
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Gesamtschuldnerische Haftung: Die in der Richtlinie vorgesehene Privilegierung von Kronzeugen sowie kleinen und mittleren Unternehmen muss umgesetzt werden. Soll/muss zudem eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, die Rechtsmittel und Beteiligungsmöglichkeiten für Mitkartellanten vorsieht (Einstellung des Bußgeldverfahrens durch das Bundeskartellamt hat rechtsgestaltende Wirkung)? Sollte die Bonusregelung gesetzlich abgesichert werden?
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Einvernehmliche Streitbeilegung: Daneben muss geprüft werden, ob der deutsche Prozessvergleich die Richtlinienvorgaben zur einvernehmlichen Streitbeilegung in ausreichender Form abdeckt.
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Verjährung: Schließlich sind auch Änderungen an den Verjährungsregeln erforderlich (Erhöhung der Verjährungsdauer von drei auf fünf Jahre; Verjährungshemmung: ein Jahr nach Bestandskraft der Entscheidung bzw. Verfahrensbeendigung). Es stellen sich insbesondere Fragen zum Verjährungsbeginn.