01.04.2019

Think Tank der EU-Kommission veröffentlicht Strategiepapier zur Industriepolitik

Am 18.03.19 hat der hauseigene Think Tank der Europäischen Kommission, das Europäische Zentrum für politische Strategie (EPSC), das im November 2014 gegründet worden ist, das  Strategiepapier „EU Industrial Policy after Siemens-Alstom - Finding a new balance between openness and protection" veröffentlicht. Das EPSC hat die Aufgabe, dem Kollegium der Kommissare eine strategische, evidenzbasierte Analyse und zukunftsorientierte Politikberatung im Rahmen interdisziplinärer Forschungs- und Kooperationsprojekten zu bieten. Zu seinen Aufgaben gehört es auch, die Beteiligung der EU-Kommission am Europäischen Strategie- und Politikanalysesystem (ESPAS) zu ermöglichen.

Das Strategiepapier untersucht, ob und inwiefern die Befürchtungen der europäischen Industrie, angesichts der anhaltenden technologischen Revolution und des Aufstiegs Chinas ins Hintertreffen zu geraten, ein mögliches neues Gleichgewicht zwischen „Offenheit und Schutzmaßnahmen" erforderlich macht.

Zunächst weist das Papier darauf hin, dass die Durchsetzung des Wettbewerbs keinesfalls die Schaffung von „European Champions" verhindere. Im Gegenteil, die konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechts trage zur Aufrechterhaltung fairer und wettbewerbsorientierter Märkte bei und schaffe die Voraussetzungen für Verbesserungen, aus denen effizientere und innovativere Industrien entstehen können. Außerdem werde die überwiegende Mehrheit der Fusionsvorhaben von der EU vorbehaltlos freigegeben. In den letzten zehn Jahren Jahre (2009-2019) habe die EU-Kommission über 3.000 Fusionen genehmigt und nur neun untersagt.

Das Strategiepapier spricht sich zudem ganz klar gegen eine Lockerung der Vorschriften zur Fusionskontrolle sowie des Kartell- und Beihilfenrechts aus. Eine solche Lockerung berge „erhebliche Risiken", insbesondere bei einer Genehmigung wettbewerbsschädlicher Zusammenschlüsse. Falls die Marktabgrenzungskriterien aufgeweicht würden, würde dies „systemische Folgen" haben, die sich negativ auf die Beurteilungen von Zusammenschlüssen woanders („elsewhere") auswirken könnten. Die auch diskutierte Ratserlaubnis könnte zu undurchsichtigen Entscheidungen führen, die weniger internen Kontrollen ausgesetzt wären und einigen Unternehmen unfaire Vorteile verschaffen könnten, während auf die Verbraucher höhere Kosten zukämen. Auch könnten die größeren Volkswirtschaften ihren Willen den kleineren Volkswirtschaften aufzwingen, was zu einer „Abwärtsspirale von wirtschaftlicher Ineffizienz und politischer Willkür" führen würde. Zugespitzt formuliert es das Papier wie folgt:

Europe could find itself in a downward spiral of economic inefficiency and political arbitrariness, ushering in mistrust and internal divisions as larger Member States would ultimately be able to impose their will on those with smaller economies - hardly contributing towards strengthening its position in the global economy.

 Allerdings schlägt das Papier andererseits vor, in größerem Umfang temporäre Kooperationen von Unternehmen, auch sich ergänzende Konsortien, zuzulassen. Auch eine Zusammenarbeit zur Verwirklichung von technischen großen Entwicklungsprojekten als „wichtigen Projekten im gemeinsamen europäischen Interesse" (IPCEI) sollte gefördert werden. Es gehe darum, dort, wo Europa einen Wettbewerbsvorteil habe, verstärkt Kooperationen zur Vernetzung bzw. Vervollständigung von Produkten und Dienstleistungen und für gemeinsame Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zu bilden. Viele dieser Bereiche, in denen Europa einen Wettbewerbsvorteil habe, seien in der industriepolitischen Strategie der EU für 2017 aufgeführt worden. Diese beträfen beispielsweise die Automobilindustrie (einschließlich Batterieherstellung), die Energiesysteme, das Internet der Dinge, Robotik, Künstliche Intelligenz, Verteidigung, Weltraum, die Bio-Wirtschaft, Technologien wie 5G oder Quantentechnologien. Hier müssten Maßnahmen ansetzen, um auszuschließen, dass Europa abgehängt werde und der Fortschritt nur in anderen Regionen der Welt stattfinde.

Da die EU auf WTO-Ebene derzeit keine Fortschritte erziele, müsse sie dringend auch noch alternative Mittel in Betracht ziehen, um einen fairen und gegenseitigen Zugang („reciprocity") bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu gewährleisten, so EPSC.