11.10.2022

Rede von Wettbewerbskommissarin Vestager zur Fusionskontrolle

EU
Kommission
Kommissarin
Rede
Fusionskontrolle

Speech by EVP Vestager at the IBA Competition Conference (europa.eu) 

Die Vizepräsidentin der Kommission und EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, hat am 9. September 2022 eine Rede vor der International Bar Association (IBA) zur „Zukunft der Fusionskontrolle“ („Future of Merger Control“) in der EU gehalten.  

Zur Anwendung des Art. 22 Fusionskontrollverordnung 

In ihrer Rede äußerte sich Vestager unter anderem zu der neuen, ausgeweiteten Anwendung des Art. 22 Fusionskontrollverordnung (FKVO) durch die EU-Kommission und bezog sich dabei auf die untersagte Übernahme von GRAIL durch Illumina (vgl. unten näher zum Hintergrund dieses Falles). Vestager gab an, dass die Kommission in der Vergangenheit von solchen Verweisungen abgeraten habe, da sie davon ausging, dass alle den Binnenmarkt wesentlich beeinflussenden Zusammenschlüsse über die Umsatzschwelle erfasst würden. Angesichts sich wandelnder Märkte sowie der Eigenarten digitaler Akteure sei mittlerweile der Umsatz jedoch nicht mehr der einzige Indikator für Wettbewerbsrelevanz. Der Umsatz sei zeitweise überhaupt kein Indikator mehr. Das Ziel der Fusionskontrolle habe sich zwar nicht verändert, wohl aber der Kontext. Mit der Anpassung des Verweisungsmechanismus könnten auch solche Zusammenschlüsse erfasst werden, die sich unterhalb der Umsatzschwelle bewegten und dennoch Befürchtungen der Wettbewerbsbeeinträchtigung auslösten. Um das Potential des Verweisungsinstruments auszuschöpfen, solle mit den nationalen Wettbewerbsbehörden eine einheitliche Herangehensweise erarbeitet werden. 

Das neue System solle nicht ein Übermaß an Kontrolle ermöglichen. Auch solle dadurch keine Rechtsunsicherheit entstehen. Das Verweisungsverfahren stelle aber ein wichtiges Werkzeug dar, um auf „Killer Acquisitions“ und vorläufigen Erwerb reagieren zu können. Die neue Herangehensweise zu Art. 22 FKVO erzeuge insoweit auch Synergien mit dem Gesetz über Digitale Märkte (DMA). 

Zum Hintergrund des Falles GRAIL// Illumina (Fusionskontrolle (europa.eu)) 

Die EU-Kommission hat am 6. September 2022 die bereits vollzogene Übernahme von GRAIL durch Illumina untersagt. Sie befürchtete ein Hemmnis für den Innovationswettbewerb und eine Einschränkung der Auswahl auf dem sich entwickelnden Markt der blutbasierten Krebsfrüherkennungstests. Aus Sicht der Kommission hätte Illumina als “einziger ernstzunehmender Anbieter einer Technologie, die es ermöglicht, diese Tests zu entwickeln und zu verarbeiten“, mit der Übernahme von GRAIL einen Anreiz gehabt, die Wettbewerber von GRAIL vom Zugang zu dessen Technologie abzuschneiden oder anderweitig zu benachteiligen. Die von Illumina angebotenen Abhilfemaßnahmen, wie z. B. das Aussetzen von Patentklagen oder das Angebot von Standardverträgen, konnten die Bedenken der Kommission nicht ausräumen. 

Der Zusammenschluss von Illumina und GRAIL erreichte die in der Fusionskontrollverordnung festgelegten Umsatzschwellen nicht und wurde auch in den Mitgliedstaaten nicht angemeldet. Allerdings waren die Kriterien des Art. 22 FKVO erfüllt. Die Kommission gab dem Verweisungsantrag von sechs verweisenden Mitgliedstaaten statt. In der Prüfung kam sie zu dem Ergebnis, dass der geplante Zusammenschluss den Wettbewerb auf dem Hoheitsgebiet der betroffenen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und sich nachteilig auf den Handel auf dem Binnenmarkt auswirken würde. Die Bedeutung des Unternehmens GRAIL für den Wettbewerb würde zudem nicht angemessen durch den Umsatz widergespiegelt, weshalb die Verweisung an die Kommission aus deren Sicht angemessen war. 

Aus dem Leitfaden der Kommission zu Art. 22 (guidance_article_22_referrals.pdf (europa.eu)) lassen sich Kategorien von Vorhaben entnehmen, die auch ohne Anmeldepflicht im Wege der Verweisung durch die Kommission geprüft werden können. Die Verweisungsbeschlüsse der Kommission und insoweit auch die Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung der Auswirkungen des Zusammenschlusses wurde mit Urteil vom 13. Juli 2022 vom Gericht der Europäischen Union bestätigt.