26.02.2019

Rede (Studienvereinigung Kartellrecht, Brüssel) von GD Laitenberger: „Aktuelle Entwicklungen und Probleme des EU-Kartellrechts: Anmerkungen zu den Fusionskontrollentscheidungen der Europäischen Kommission in den Fällen Wieland/Aurubis und Siemens/Alstom“

EU
Rede
Generaldirektor
Johannes Laitenberger

http://ec.europa.eu/competition/speeches/text/sp2019_02_de.pdf

Bei der Brüsseler Arbeitssitzung der Studienvereinigung Kartellrecht am 15. Februar 2019 hielt der Generaldirektor der GD Wettbewerb, Europäische Kommission, aus aktuellem Anlass eine Rede zu den Fusionskontrollentscheidungen der EU-Kommission in den Fällen Wieland/Aurubis und Siemens/Alstom (Untersagungen), obwohl er ursprünglich über „Wettbewerb und Digitalisierung" sprechen wollte.

Laitenberger führte aus, dass es seit 1990 über 7000 Anmeldungen bei der KOM gegeben habe und dabei weniger als 30 Verbote ausgesprochen worden seien. Nur in den Jahren 1996 und 2001 seien überhaupt einmal zwei Untersagungen in einem Jahr ausgesprochen worden. Insofern sei die Entscheidung, zwei Fusionen an demselben Tag zu untersagen, tatsächlich historisch. Die Kommission stehe mit ihrer Ansicht im Übrigen nicht allein dar, sondern werde durch andere Kartellämter unterstützt. Laitenberger sagte, er lade jeden dazu ein, sich die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen (noch nicht veröffentlicht) durchzulesen.

Die Kommission habe sich die Wettbewerbssituation mit China für den konkreten Fall sehr genau angesehen und es bestünde weder aktueller noch potentieller Wettbewerbsdruck, insbesondere im Bereich der Signaltechnik werde in China eine ganz andere Technik genutzt. Entsprechend habe sich bislang kein chinesisches Unternehmen an einer Ausschreibung zur Signaltechnik in Europa auch nur beteiligt. Im Bereich der Höchstgeschwindigkeitszüge sei die Technologie in China zwar weit vorangeschritten, aber es habe bisher noch keinen einzigen Fall gegeben, in dem CRRC einen Höchstgeschwindigkeitszug außerhalb Chinas verkauft habe. Die Zugangsvoraussetzungen für Höchstgeschwindigkeitszüge seien in der EU sehr hoch und bei Ausschreibungen würde auch ein Track Record gefordert, den CRRC, zumindest für Züge außerhalb Chinas, nicht aufweisen könne. Natürlich sei es möglich, dass chinesische Unternehmen irgendwann einmal auf den europäischen Markt kämen, aber das sei noch sehr unklar.

Die Kommission untersuche bereits heute umfassend den Wettbewerbsdruck auf den relevanten - auch globalen - Märkten und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH, so Laitenberger. Aus seiner Sicht gehe die Diskussion daher nicht wirklich um neue Marktabgrenzungen, sondern vielmehr darum, ob sich bestimmte marktmächtige Unternehmen vom Wettbewerbsrecht freistellen lassen können.

Zur politischen Diskussion um Änderungen im Kartellrecht formulierte Laitenberger einige Vorfragen, die vor etwaigen Änderungen berücksichtigt werden sollten:

1. Wie werden die Voraussetzungen für die „Champions-Anwartschaft" definiert und geprüft? Selbsteinschätzung? Marktmacht? Innovationskraft?

2. Wie wird abgewogen? Zwischen den Vorteilen für die „Champions" und den Nachteilen für andere Wirtschaftsteilnehmer im Binnenmarkt, unterschiedliche Mitgliedstaaten und die europäische Gesellschaft insgesamt.

3. Wie wird sichergestellt, dass die Vorteile, die „Champions" zu Gute kommen sollen, auch der Union insgesamt zu Gute kommen und sich nicht nur in „Shareholder Value" niederschlagen?

4. Gibt es eine wissenschaftliche Evidenz? Erfahrungen in anderen Wirtschaftsräumen mit einem „softening" des Wettbewerbsrechtes? Bedurfte es zur Schaffung von „Champions" einer Ausnahme vom Wettbewerbsrecht? Welche „Champions" sind erst durch Wettbewerbsdruck entstanden?

5. Wie stellt sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer solchen Rechtsänderung im Vergleich zur konsequenten Anwendung aller aktuell bestehenden Instrumente dar? (konsequente Anwendung des Wettbewerbsrechtes, Handelsschutzinstrumente, Instrumente zur Prüfung ausländischer Direktinvestitionen, Vergaberecht zur Abwehr wettbewerbsverzerrender Praktiken aus Drittstaaten, Freihandelsverträge, multilaterale Organisationen/WTO)

6. Wie verhält sich die Forderung zu der Diskussion um die Durchsetzung des Wettbewerbsrechtes in der Digitalwirtschaft, wo vor allem eine unzureichende Schärfe des Wettbewerbsrechtes bemängelt wird?

7. Wollen wir wirklich „Machtwirtschaft vor Marktwirtschaft"?