09.03.2015
Rede (GD Wettbewerb) von Alexander Italianer „Market opening: Regulation vs. Competition?“
EU
|
https://ec.europa.eu/competition/speeches/text/sp2015_01_en.pdf |
Der Generaldirektor der Generaldirektion Wettbewerb, EU-Kommission, Alexander Italianer, sprach am 19. Februar 2015 anlässlich des 48. FIW-Symposions in Innsbruck, das dem Thema „Marktwirtschaft 2015 und das Wettbewerbsprinzip" gewidmet war, über „Marktöffnung: Regulierung gegen Wettbewerb?" (Market opening: Regulation vs. Competition?).
Italianer betonte zunächst, dass Wettbewerb und das europäische Sozialmodell eng miteinander verknüpft seien. Dies sei bereits in Artikel 3 des Vertrags der Europäischen Union angelegt, wonach eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft als Unionsziel definiert werde. Italianer stellte weiter fest, dass es keinen Widerspruch zwischen Wettbewerb und einer sozialen Marktwirtschaft gebe. Man benötige Regeln, damit die freie Marktwirtschaft nicht kontraproduktiv wirke. Auf der anderen Seite seien Wettbewerb und Regulierung ebenfalls eng miteinander verbunden. In einigen Bereichen herrsche kein Wettbewerb vor, so z. B. im Verteidigungs- oder Sicherheitssektor; hier verbliebe die Verantwortung beim Staat, der das öffentliche Wohl dort besser befördern könne. Auch bei natürlichen Monopolen gebe es keinen Wettbewerb auf dem Markt. Allerdings könne immernoch ein Wettbewerb um den Markt existieren.
Italianer verglich den Wettbewerb mit den Segnungen eines „Dschinn aus der Flasche". Wettbewerb werde eingeführt, um Märkte zum Wohle des Verbrauchers zu gestalten, was mit niedrigeren Preisen, einem besseren Leistungsangebot oder innovativen Produkten einhergehe. Gleichzeitig müsse man darauf achten, dass jener nicht außer Kontrolle gerate, was mit Regulierung ex-ante und ex-post erreicht werde. Die Kartellrechtsdurchsetzung sein generell ein adäquates Vehicle, um Wettbewerb zu schützen. Regulierung sei oft zuvor nötig, um Märkte erstmals dem Wettbewerb zu öffnen. Marktöffnung führe nicht notwendigerweise zu Privatisierung, da es hierfür keine rechtliche Verpflichtung gebe.
Italianer richtete sodann seinen Blick auf die Sektoren Eisenbahnen, Telekommunikation, Energie und Flugverkehr. Italianer schilderte zunächst wie der Eisenbahnsektor für den Wettbewerb geöffnet wurde. Die Infrastruktur sei vom eigentlichen Verkehr getrennt worden, um möglichst vielen Anbietern Zugang zur Infrastruktur zu ermöglichen. Diese Marktöffnung sei durch drei aufeinanderfolgende Eisenbahnpakete erzielt worden. Allerdings seien dadurch noch kein europäischer Markt oder offene nationale Märkte geschaffen worden. Viele nationale Märkte seien noch immer abgeschottet, nationale Eisenbahndienste würden 94 Prozent des gesamten europäischen Zugverkehrs darstellen (mit Ausnahme von Schweden und dem Vereinigten Königreich). Um den Wettbewerb sicherzustellen, seien 25 Regulierungsbehörden in Europa eingerichtet worden. Darüber hinaus habe die Europäische Kommission einige wettbewerbsbeschränkende Fälle von vertikalintegrierten Konzernen aufgegriffen. Die europäische Regulierung habe die Märkte geöffnet. Die Wettbewerbsdurchsetzung sorge dafür, diese Märkte offen zu halten. Um den Wettbewerb weiter zu verbessern habe die Kommission 2013 ein viertes Eisenbahnpaket vorgelegt, in dem sie vorgeschlagen habe, die nationalen Märkte insgesamt für den Wettbewerb zu öffnen.
Auf der anderen Seite sei im Telekommunikationssektor ein klarer Erfolg zu verzeichnen. Der Markt sei durch verschiedene Legislativpakete von 1988 bis 1998 geöffnet und vollständig liberalisiert worden. Im Festnetz sei Regulierung notwendig gewesen, um die Märkte zu öffnen. Im Mobiltelekommunikationssektor würde Wettbewerb durch die Durchsetzung des Kartellrechts gewährleistet. Eine Zugangsregulierung sei im Mobilfunkbereich nicht notwendig gewesen, da der Wettbewerbsvorteil der etablierten Betreiber nicht so stark gewesen sei, dass sich nicht neue Wettbewerber hätten behaupten können. Wie im Eisenbahnbereich verstärkten sich Regulierung und Kartellrechtsdurchsetzung gegenseitig. Auch würden sich kürzlich aufgegriffene Fälle auf das Wettbewerbsverhalten der etablierten Betreiber beziehen, welche Wettbewerber von ihren Netzen fernhielten oder die Gewinnmargen einschränkten. Insgesamt sei die Wettbewerbssituation im Telekommunikationssektor äußerst zufriedenstellend. Die Marktanteile der etablierten Betreiber sänken von Jahr zuJahr; derzeit lägen sie bei 42 Prozent durchschnittlich. Im Mobilfunksektor könnten die Verbraucher unter einer verschiedenen Anzahl von Betreibern wählen. Die Dienstleistungen seien vielfältig und würden zu günstigen Preisen angeboten. Feste Breitbandverbindungen seien derzeit zu 61 Prozent in der EU-Bevölkerung erhältlich. Wettbewerb habe hier Investitionen angespornt. Es gebe zwar einen offenen Telekommunikationsmarkt, jedoch sei dieser nicht europäisch. Die meisten Wettbewerbsvorteile in diesem Sektor würden sich nur national auswirken. Bislang fehlten weitere Fortschritte auf dem Binnenmarkt.
Italianer zog auch Parallelen zum Energiemarkt, der in den 1990er Jahren mit Hilfe verschiedener legislativer Pakete seitens der EU geöffnet worden sei. Hier habe der Fokus zunächst auf der Zugangsregulierung gelegen. Allerdings seien auch im Energiesektor die etablierten Betreiber weiterhin marktbeherrschend auf nationalen Märkten tätig, was Drittanbietern erschwere, in den Wettbewerb einzutreten. 2009 habe das dritte Energiepaket verschiedene Maßnahmen eingeführt, wonach Unternehmen die Energieerzeugung und Verteilung vom Netzwerk und Übertragungsaktivitäten abkoppeln mussten. Auch in diesem Sektor habe die Kartellrechtsdurchsetzung die Regulierung komplementiert. Der EU-Binnenmarkt sehe aber auch hier noch aus. Es werde zudem eine Energieunion benötigt, um Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit zu verbessern. Erneuerbare Energien müssten noch besser in den Markt integriert werden.
Zuletzt ging Italianer noch auf den Luftverkehrssektor ein, den er als das bislang beste Beispiel für eine gelungene Marktöffnung anführte. Der Luftverkehrssektor sei vollständig dereguliert und europäisch. Dies sei ebenfalls das Werk der EU, die verschiedene Regulierungspakete (bis 1992) verabschiedet habe. Beschränkungen an den Eigentumsverhältnissen bei Fluglinien seien aufgehoben worden. Fluglinien könnten nun ihre eigenen Preise festsetzen. Zur Sicherstellung von Wettbewerb sei es ebenfalls notwendig gewesen, die Annex-Dienstleistungen von denen der Luftverkehr abhänge, zu regulieren. Dies habe Versicherungserfordernisse, Flughafengebühren, Bodendienstleistungen, Vergabe von Slots etc. betroffen. In 2008 sei die Verordnung Nr. 1008 verabschiedet worden, die wesentliche verbleibende Wettbewerbsprobleme adressiert habe. Die Anzahl der Flughäfen sei daraufhin angestiegen, und die Anzahl der grenzüberschreitenden Flugrouten habe sich verdoppelt. Darüber hinaus habe die Liberalisierung Billigflieger ermöglicht. Diese preisgünstigen Wettbewerber hätten 2011 bereits einen Marktanteil von 42 Prozent gehabt, der damit höher als bei den etablierten Betreibern gelegen habe (zuvor nur 1,5 Prozent in 1992). Hieran zeige sich auch eine enge Verbindung zwischen Wettbewerb und Investitionen. Die preisgünstigen Wettbewerber hätten auf die etablierten Betreiber Druck ausgeübt, neue Routen zu eröffnen, die Flugfrequenz zu erhöhen und innovative neue Dienstleistungen wie self-check-in, fast-track-security und e-tickets einzuführen. Italianer schloss mit der Bemerkung, dass der „Dschinn des Wettbewerbs" nicht mehr zurück in die Flasche gezwungen werden solle, da der Wettbewerb immer noch der beste Weg zu mehr Wohlstand sei. Allerdings sollten die Marktkräfte nicht vollständig unkontrolliert wirken. Regulierung habe die Aufgabe, ein level-playing-field zu garantieren. Die EU werde auch weiterhin durch eine Kombination von Regulierung und Wettbewerb die Öffnung europäischer Märkte anstreben.