02.05.2015

Rede des Präsidenten der CMA David Currie zu den Erfahrungen der CMA im Bereich der Verhaltensökonomie

In einer Rede des Präsidenten David Currie der Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs, der Competition and Markets Authority (CMA), vom 20. April 2015 in Wellington (Neuseeland), äußerte sich dieser zu den Erfahrungen der CMA im Hinblick auf die Verhaltensökonomie (behavioural economics).

Nach einer kurzen Einführung der bisherigen Arbeit und Schwerpunkte der CMA stellte Currie - selbst kein Verhaltensökonom - Schwerpunkte der Verhaltensökonomie vor, in deren Zentrum die Einsicht stehe, dass der normale Verbraucher sich nicht als vollkommen rationaler Verbraucher im Sinne neoklassischer Ökonomie verhalte. Dies machte Currie an einigen Beispielen fest, z. B. dass der normale Verbraucher nur über begrenzte Fähigkeiten verfüge, um Informationen zu verarbeiten und zu berechnen. Wenn dieser mit Komplexität konfrontiert sei, konzentriere er sich oft nur auf eine Teilmenge der Eigenschaften eines Produkts und treffe so schlechte Entscheidungen. Auch werde der Wahrscheinlichkeitsrechnung oft wenig Bedeutung zugemessen, man überschätze Sonderangebote und neige zu einem Mangel an Selbstbeherrschung und zu Selbstüberschätzung, v. a. wenn es um gute Vorsätze gehe. Der normale Verbraucher sei zudem mehr verlust- als gewinnorientiert; darüber hinaus würde anderen Werten wie „Fairness" ebenfalls Bedeutung zugemessen. Diese Eigenschaften habe auch schon Adam Smith Mitte des 18. Jahrhunderts gesehen, der schon früh Zeugnis von Konzepten wie Zeitinkonsistenz, Verlustaversion und einer Tendenz zur Selbstüberschätzung abgelegt habe.

Die normale ökonomische Analyse gehe aber vom so genanntenn rationalen Marktteilnehmer („rational player") aus. Allerdings verhalte sich dieser rationale Marktteilnehmer gar nicht besonders rational. Currie fragte, wer schon im Einzelnen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) studiere, wenn er online Einkäufe tätige. Hierzu gebe es Studien, die dieses Ergebnis untermauerten. Die wenigstens Verbraucher öffneten oder läsen die AGB im Internet. Dies sei angesichts der Länge und Komplexität mancher AGB auch nicht verwunderlich und berücksichtige evolutionär begründete Verhaltensstrategien, die das Überleben sichterten und die den Homo sapiens im Gegensatz zum Homo oeconomicus auszeichneten. Erst Ökonomen, wie Daniel Kahneman und Amos Tversky, hätten diesen (irrationalen) Verhaltensmustern  zu Recht Aufmerksamkeit gewidmet. Es stehe nun fest, dass das individuelle Verhalten in jedem Fall Abweichungen zum so genannten rationalen Verhalten der neoklassischen Ökonomie aufweise.

Für die Wettbewerbsanalyse sei interessant, dass Unternehmen hingegen mehr dem Modell neoklassischer Ökonomie entsprächen als der individuelle Verbraucher. Unternehmensverhalten weiche im Grunde kaum vom so genannten rationalen Verhalten ab (hier bestünden jedoch Unterschiede zwischen großen Unternehmen und KMU). Dies liege zum einen an größeren Ressourcen und mehr Informationen seitens der Unternehmen und zum anderen an einem größeren Anreiz, richtig zu handeln. Verbraucher würden andererseits in vorhersehbarer Weise Abweichungen vom rationalen Verhalten aufweisen, was sich Unternehmen wiederum zunutze machen könnten und würden. Unternehmen könnten eine Strategie an den Tag legen, um den Verbraucher beispielsweise mittels einer Informationsflut zu verwirren („confusopoly") und ihm ein teures Produkt zu verkaufen, dessen vielfältige Möglichkeiten seine Bedürfnisse überstiegen. Verbraucher träfen möglicherweise durch mehr Informationen, als sie verarbeiten könnten, schlechte Entscheidungen. Dafür gebe es konkrete Beispiele auf dem Mobilfunkmarkt und Energiemarkt in Großbritannien. Auch versteckte Kosten, die erst beim Endpreis einer Buchung auftauchten, seien oftmals Ausdruck einer Verwirrungstaktik, dem das Office of Fair Trading in der Vergangenheit schon nachgegangen sei (bei Flugbuchungen). Das Gleiche gelte für vorgebliche Preisreduzierungen (framing problems), bei denen der wahre Ausgangspreis dem reduzierten Preis entspreche. Auch gleichgültige Kunden, die keine besseren Angebote suchten, verstärkten die Möglichkeit, teuere Produkte zu verkaufen und den Wettbewerbsanreiz bei den Unternehmen zu verringern.

Der Markt könne sich allerdings auch wieder mit Hilfe von Vermittlern und Vergleichstools selbst korrigieren, indem Verbraucher informiertere Entscheidungen treffen könnten und in die Lage versetzt würden, sich nicht aufgrund irrationaler Vorlieben oder Verhaltensweisen ausnutzen zu lassen. Darüber hinaus könne den Unternehmen an ihrem Markenimage gelegen sein, was gleichzeitig einen Anreiz darstelle, die Verhaltensweisen der Verbraucher nicht auszunutzen. In vielen Fällen werde eine Marktkorrektur jedoch ausfallen, so Currie. Bei nur geringem Einkaufsvolumen würden Verbraucher nicht im erforderlichen Maße lernfähig, um ihr Verhalten zu ändern. Auch wenn der Schaden für den einzelnen Verbraucher zu gering sei, um Verhaltensänderungen herbeizuführen, dürfte der Schaden für alle Verbraucher jedenfalls beträchtlich sein. Aber selbst bei Verhaltensänderungen auf Seiten des Verbrauchers bestehe die reelle Gefahr, dass die Unternehmen ihm im Datenzeitalter immer „einen Schritt voraus" seien.

Behördliche Eingriffe, um das Kräftegleichgewicht zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern wieder herzustellen, würden in Großbritannien erwogen und in Einzelfällen angewandt, sie seien jedoch genau abzuwägen, um keine kontraproduktiven Effekte auszulösen oder konkludente abgestimmte Verhaltenweisen auf Unternehmensseite zu stimulieren. Eingriffe in Form von Abhilfemaßnahmen seien auch nicht immer erfolgreich gewesen.

Currie stellte am Ende die Frage, ob Unternehmen in ihrem Verhalten auch Vorurteilen aufsäßen („behavioural biases"), die ausgenutzt werden könnten und bejahte dies. Es gebe Literatur, die besage, dass die Mehrheit der Zusammenschlüsse den Unternehmenswert eher reduziert als vergrößert hätten, was die Annahme neoklassischer Ökonomie, dass Unternehmen stetige Gewinnmaximierung beabsichtigten, ad absurdum führe. Untersuchungen zur Verhaltensökonomie in Bezug auf Unternehmen seien jedoch noch nicht weit vorangeschritten, um eindeutige Aussagen zu treffen.

Für die CMA sei es angesichts der wachsenden Bedeutung von Online-Märkten eine wichtige Priorität, zu verstehen, wie sich die Verbraucher online verhielten und wie dieses Verhalten zu ihrem Schaden ausgenutzt werden könne. Im Schadensfalle müsse man genau eruieren, welche Abhilfemaßnahmen geeignet seien, ohne den großen Verbrauchernutzen des Internets und seiner Vernetzung zu reduzieren.