25.02.2016

Rede (Andreas Mundt) auf dem 49. FIW-Symposion (2016) in Innsbruck zur Digitalisierung

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FIW
49. FIW-Symposion
Rede Andreas Mundt

Auf dem 49. Symposion des Forschungsinstituts für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (FIW) in Innsbruck, das unter dem Leitthema „Wettbewerb 4.0 - Ordnungspolitik und Kartellrecht im Zeitalter der Digitalisierung" stand, sprach Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, zum Thema „Digitalisierung der Wirtschaft - Paradigmenwechsel in der Wettbewerbspolitik" und ging dabei auch auf die bevorstehende GWB-Novelle ein.

Wesentliche Inhalte der Rede:

  1. Mundt prognostizierte, dass die Digitalisierung einen gigantischen Transformationsprozess („Tsunami") mit sich bringen werde, dessen Auswirkungen auf die Industrie noch weitgehend unbekannt seien. Umwälzungen seien in jedem Sektor zu erwarten. Der gefürchtetste Wettbewerber der Automobilindustrie sei beispielsweise derzeit ein Internetkonzern, der bisher kein einziges Auto hergestellt habe. Bill Gates habe die Größenordnung auf den Punkt gebracht: „We don't need banking. I doubt that we need banks."
  2. Die Digitalisierung werde auch den Arbeitsmarkt umkrempeln. Einerseits schaffe die Digitalisierung Arbeitsplätze, andererseits würden Millionen von Arbeitslätzen verschwinden, vor allem im Sektor der Niedrigqualifizierten. Es handele sich um eine gesamtgesellschaftliche Frage, wie man mit Big Data umgehen wolle. Gerade in Deutschland sei ein Thema, ob Daten in den Händen von Unternehmen sicher seien. Für die Verbraucher bedeuteten Suchmaschinen, soziale Medien, Preisvergleichsportale etc. gewaltige Fortschritte. Auf den ersten Blick seien diese Dienstangebote auch kostenlos; nur die Gegenseite zahle, z. B. bei Hotelportalen, und dies nicht zu knapp. Kleine Intermediäre (Plattformen) erwirtschafteten einen gewaltigen Umsatz, während die eigentlichen Dienstleistungserbringer oft weniger als zuvor verdienten. Der Verbraucher „zahle" mit seinen Daten. Die Dienste, die Daten einsammelten, würden besser, je mehr Daten sie vereinnahmten.
  3. Die Kehrseite dieser „neuen Welt" betreffe den Datenschutz, die Frage, ob tatsächlich alle Datenschutzregelungen eingehalten würden. Daten könnten Marktmacht und Wissensvorsprünge erhöhen und zu Marktabschottung führen. Diese Thematik habe mittlerweile eine politische Dimension erreicht, und das Primat der Politik werde in Frage gestellt. GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) seien mittlerweile 1,6 Billionen USD wert und damit so viel wie das halbe deutsche Bruttoinlandsprodukt. Der CEO von Alphabet fordere sogar politikfreie Räume; Google berate amerikanische Politiker in sensiblen Bereichen, u. a. im Sicherheitssektor. Wenn wirtschaftliche Macht in politischen Macht umzuschlagen drohe, sei Handlungsbedarf gegeben, so Mundt.
  4. In der Vergangenheit hätten nationale Wettbewerbsbehörden den Einfluss des Staates auf die Unternehmen eingedämmt. Mundt zeigte sich überzeugt, dass im Internetzeitalter wieder die Politik gefordert sei; denn diese müsse sich fragen, ob der ordnungspolitische Rahmen noch geeignet und wie hoch der Einfluss der Wirtschaft auf demokratische Strukturen sei.
  5. Auch stelle sich die Frage nach ausreichender Medienvielfalt. Wie könne sichergestellt werden, dass Intermediäre objektiv berichteten? Nachrichten verbreiteten sich v. a. über soziale Medien. Dies könne ein „Segen", aber auch ein „Fluch" sein. Dass bei den sozialen Medien keine verlässliche Stelle zwischengeschaltet sei, werfe Fragen auf, wie Intermediäre beaufsichtigt werden könnten und wie Transparenz hergestellt werden könne. Es sei zudem augenscheinlich, dass das Wettbewerbsrecht zunehmend politisiert werde. Ob es in den USA eine übereinstimmende politische Stimmung gebe, das Wettbewerbsrecht nicht gegenüber GAFA anzuwenden, könne dahinstehen. Generell gelte, dass Protektionismus und politische Einflussnahme um sich griffen, sowohl in den USA, aber auch in anderen Ländern, wie z. B. in Polen oder Griechenland. Dies sei nicht die direkte Folge der Digitalisierung, aber die Folge der Förderung der Digitalisierung.
  6. Viele Politiker glaubten, dass das Wettbewerbsrecht das Instrument sei, die Probleme in den Griff zu bekommen. Hier müssten die Politiker, bei denen sich Unbehagen und Enttäuschung breit mache, geduldiger sein. Die Wettbewerbsbehörden führten eine Vielzahl von Verfahren in Europa und weltweit. Fraglich sei, ob das ausreiche, oder ob man es mit einem Paradigmenwechsel zu tun habe, der zu weiterem Handeln zwinge. Funktioniert die Wirtschaft noch wie vor der Digitalisierung.
  7. Während einige Fürsprecher aus dem Silicon Valley dahingehend plädierten, dass man Wettbewerbsregeln eventuell überhaupt nicht mehr brauche, da „die schöne neue Welt" Innovationen ganz von selbst hervorbringe, zeige der Wirklichkeits-„check", z. B. das Verfahren gegen Microsoft, dass es ohne Wettbewerb keine Innovationen gebe. Ohne Wettbewerbsrecht sei der Wettbewerb schlechthin nicht zu schützen. Allerdings sei es sinnvoll, die Dauer der Verfahren weiter zu kürzen. Eventuell seien auch gesetzliche Klarstellungen in folgenden Bereichen sinnvoll: 

     Bei Märkten ohne Gegenleistungen: Die Annahme, unentgeltliche Dienstleistungen stellten keinen Markt dar, werde den Interdependenzen zwischen den entgeltlichen und unentgeltlichen Seiten nicht gerecht. So werde die unentgeltliche Seite durch Werbeeinnahmen bepreist. Auch müssten indirekte Netzwerkeffekte berücksichtigt werden. Dies entspreche auch der Praxis der EU-Kommission sowie der Amtspraxis bei den Immobilienportalfälle; unklar sei jedoch, wie die Gerichte dies ohne gesetzliche Klarstellung sehen würden. 

     Marktmachtkriterien: Am bisherigen Maßstab der Marktbeherrschung solle festgehalten werden, allerdings wiesen Plattformen Besonderheiten auf (bestimmte Größenvorteile, direkte und indirekte Netzwerkeffekte), die sich im Gesetz niederschlagen sollten. Kriterien wie Größenvorteile (Multihoming, Plattformdifferenzierung) sollten im Gesetz erwähnt werden. Marktanteile blieben wichtig, allerdings weniger wichtig als in der „Offline-Welt“.

 

-      Innovationsgetriebenheit: Innovationspotentiale sollten als eigenständiger Schutzgegenstand Berücksichtigung finden.

 

-      Die Datenbewertung könnte gesetzlich fixiert werden.

 

-      Während die Anwendung der Missbrauchskontrolle in der „neuen Welt“ schwieriger zu werden verspreche, so Mundt, legten einige Fälle in der Praxis (z. B. der WhatsApp-Kauf durch Facebook) Änderungen in der Fusionskontrolle nahe. Hier könnte daran gedacht werden, das Transaktionsvolumen als zusätzliche Aufgreifschwelle zu normieren.

Auf EU-Ebene sei entscheidend für die Rechtsanwendung, in welchem Umfang die Fallkonsistenz im ECN gesichert werden könne. Bestehende Divergenzen (Hotelportale, Vertikalfälle) solle man nicht künstlich aufbauschen. So werde insbesondere in den ECN-Subgroups über die Konsistenz von Fällen gesprochen. Es gebe eine hohe Konvergenz (z. B. bei der theorie of harm und Einschätzung ökonomischer Wettbewerbsschädlichkeit). Allerdings bestehe Uneinigkeit, wie weit man bei Abhilfemaßnahmen gehen könne. Die Diskussionen würden sich im Laufe der Zeit relativieren. Das ECN werde nicht an der Enge oder Breite von Best-Preis-Klauseln scheitern. Sicherlich müsse man die Fallverteilung im ECN weiter diskutieren. Märkte seien global, bestenfalls europäisch, selten national. Damit sei die EU oftmals die best placed Behörde bei Digitalfällen.

Ob man tatsächlich von einem Paradigmenwechsel sprechen könne, sei eine Frage der Perspektive und der Definition. Den Disruptionen in der Wirtschaft folgend, finde im Wettbewerbsrecht derzeit auch eine disruptive Evolution statt. Die alte Ordnungspolitik sei allerdings mitnichten tot, sie behalte ihren wahren Kern. Nur das Umfeld sei schwieriger geworden und die Anforderungen an die nationalen Wettbewerbsbehörden höher. Diese müssten ökonomischer denn je denken und die richtige Balance finden zwischen Eingriff und Nichteingreifen, schloss Mundt.