23.02.2015

Mundt (Bundeskartellamt) „Kommunikationsmärkte in der digitalen Welt zwischen Regulierung und Wettbewerb“ beim 48. FIW-Symposion in Innsbruck (Rede)

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FIW
48. Innsbrucker Symposion
Bundeskartellamt
Rede

Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, sprach am 19. Februar 2015 anlässlich des 48. FIW-Symposions in Innsbruck, das dem Thema „Marktwirtschaft 2015 und das Wettbewerbsprinzip" gewidmet war, über „Kommunikationsmärkte in der digitalen Welt zwischen Regulierung und Wettbewerb".

Mundt warf zunächst Fragen auf, zum einen ob die digitale Wirtschaft einen Regulierungsrahmen erfordere und zum anderen, ob eine Regulierung in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Verbraucherschutz oder Datenschutz notwendig sei. Diese Formen der Regulierung seien auseinanderzuhalten. Auch sei zu klären, inwieweit traditionelle gesetzliche Regelungen (z. B. Handelsrecht, ZPO) verändert werden müssten. Die Antworten auf diese Fragen hingen damit zusammen, inwieweit die Regelungen der analogen Welt auf die digitale Welt passen würden. Die Tragweite dieser Fragen sei in etwa vergleichbar mit der industriellen Revolution zu Beginn 19. Jahrhunderts und betreffe sämtliche Bereiche des Lebens: In Zeitraffung werde der Einzelhandel zum Onlinehandel, für die Verlage stellten Fragen nach der Buchpreisbindung, die eventuell erweitert werden müsste. In Frage gestellt würden auch das Urheberrecht bei Zeitschriften, das Taxigewerbe durch neue Anbieter wie Uber sowie Banken durch moderne Formen des Internetbanking. Auch neue Sicherheitsfragen und Haftungsfragen seien die Folge. Die digitale Umwälzung bringe es mit sich, dass „kein Stein auf dem anderem" bleibe, so Mundt. Schon jetzt sei zu sehen, dass Kundenbeziehungen auf Intermediäre (Plattformen) übergingen. Duale Netzwerkeffekte führten zu einer bestimmten Unternehmensgröße, und die digitalen Unternehmen bauten „echte Schätze" in Form ihrer Datensammlung auf. Mundt zog ein erstes Fazit: Die Regeln aus der analoge Welt passten nicht 1:1 auf die digitale Welt.

Mundt ging insbesondere näher auf den Telekommunikationsmarkt ein, der exemplarisch für Neuerungen stehe. Auch hier revolutioniere die digitale Welt das Umfeld, und es herrsche „Goldgräberstimmung". Es sei heute selbstverständlich, auch auf der Zugspitze oder dem Mont Blanc erreichbar zu sein. Industrie 4.0. führe zum Smart Home und zum Connected Car. Grundvoraussetzung für das digitale Wachstum seien dabei schnelle Internetverbindungen; es bestünden höhere Anforderungen an den Datenverkehr und Breitbandanschlüsse. Es frage sich, inwieweit sich die klassischen Telekommunikationsanbieter noch behaupten könnten. Während seinerzeit im Zuge der Liberalisierung eine Konvergenz von Märkten hergestellt wurde, gingen heute Märkte zunehmend ineinander über. So kannibalisiere Messenger SMS, Skype ersetze Bildtelefonie und Kabelanbieter böten eine hohe Bandbreite in abgeschriebenen Netzen. Hieraus resultiere eine Zwickmühle zwischen Investitionsbedarf auf der einer Seite und scharfem Wettbewerb auf der anderen Seite. Die Ertragskraft auf den etablierten Märkten sei oft unzureichend, Skaleneffekte nicht möglich und  Investitionen erschwert.

In der Öffentlichkeit würden oft vier Kernforderungen für Veränderungen laut. Erstens sollte die Fusionskontrolle weniger stringent sein. Dieser Forderung erteilte Mundt eine Absage. Marktabgrenzungen seien nach wie vor notwendig, auch stünde die Fusionskontrolle einer Marktkonsolidierung nicht wirklich entgegen.

Die zweite Forderung nach einem weniger strikten Regulierungsrahmen im Telekommunikationsmarkt werfe weitere Fragen auf, so Mundt. Notwendig sei vielmehr ein Paradigmenwechsel, der stärker Investitionen in den Fokus nimmt. Eine weniger strenge Regulierung gehe immer auf Kosten der Wettbewerber. Den etablierten Versorger (Incumbent) weniger streng zu regulieren, könnte zudem kleinere Wettbewerber benachteiligen, die auf Vorleistungen angewiesen seien.  

Ein dritter Vorschlag ziele auf die Beteiligung der OTTs (Over-The-Top-Anbieter) an der Finanzierung der Infrastruktur. Die OTTs (z. B. Youtube, Netflix, RTL), generierten hohe Umsätze und nutzten die Infrastruktur der TK-Unternehmen, die dafür aber keine Gebühren erhielten. Hier würden Fragen der Netzneutralität aufgeworfen. Eine zu strikte Neutralität könne sowohl Freiheit als auch Investitionen begrenzen. Wenn Transportkapazitäten knapp seien, könne aus ökonomischer Sicht der Zugang zur Infrastruktur nach Entgelten gestaffelt werden; in jedem Fall müsse man aber Marktverschlusswirkungen entgegenwirken.

Die vierte Forderung ziele auf die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für die Internetunternehmen und die Telekommunikationsbranche. Die Regulierung des TK-Sektors müsse selbst europäisch werden. Die derzeit 28 verschiedenen Regulierungssysteme bei gleichzeitig wenigen Markteintritten in diesem Sektor erschwerten die europäische Konsolidierung.

Mundt erwähnte noch die mit den Telekommunikationsmärkten verwandten Medienmärkte, auf denen der TK-Sektor ebenfalls aktiv sei. Dass dieses Märkte völlig unterschiedlichen Regeln unterlägen, beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit, z.B. im Steuerrecht. Hier habe sich die Europäische Union Abhilfe auf ihre „Wettbewerbsfahne" geschrieben.

Politisch schwierigstes Thema sei der Datenschutz. Daten seien der „Schatz" der IT-Unternehmen. Nicht jedes Unternehmen dürfe Daten anhäufen. Während Google unbegrenzt Daten sammle, unterlägen die Telekommunikationsunternehmen den strikten Vorgaben des TKG. Mundt sprach sich gegen den Abbau des Datenschutzes aus. Man solle jedoch darüber nachdenken, wie man das Level-Playing-Field angleichen könne.

Auch im Hinblick auf die Anwendung des Wettbewerbsrechts seien noch viele Fragen ungeklärt, z. B. im Hinblick auf den Umgang mit zweiseitigen Märkten, auf denen „nur auf einer Seite Geld fließt", während der Verbraucher kein Geld zahlt, dafür aber seine Daten hingebe. Es sei noch ungeklärt, ob Daten einen monetären Vorteil und welche Marktmacht sie verschaffen könnten. Problematisch sei auch der Umgang mit den durch das Internet geschaffenen rein faktischen Beziehungen ohne zugrunde liegendes Vertragsverhältnis. Unklar sei, wie weit das Diskriminierungsverbot reiche, wenn der Marktbeherrscher seine eigenen Produkte bevorzuge, wenn man wie im Internetzeitalter oft auf eine bestimmte Plattform angewiesen sei. Plattformen seien zwar keine essential facility, da sie duplizierbar seinen. Allerdings sei die Duplizierbarkeit aufgrund umfangreicher Datensammlungen in vielen Fällen nur in der Theorie möglich. Es schlössen sich weitere rechtstechnische Fragen an, wie z. B. ob die Aufgreifschwellen für die Fusionskontrolle geändert werden sollten.

Aufgrund der digitalen Umwälzungen müsse die Wirtschaft sich sehr stark auf neue Verhältnisse einstellen. Die Politik sollte das bewährte Instrumentarium der Wettbewerbsbehörden nicht kleinreden. Das Wettbewerbsrecht sei sogar besonders flexibel, um die digitale Revolution zu erfassen, weil es zu zutreffenden Marktabgrenzungen komme. Mundt sagte, dass dies keineswegs ausschließe, sich über verfeinerte Instrumente Gedanken zu machen und gesetzliche Regelungen auf ihre Anwendbarkeit zu überprüfen. Man solle jedoch „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten". Der „Wildwuchs" in der digitalen Welt beinhalte gleichzeitig ein großes Innovationspotential; bei sämtlichen Eingriffen gelte es daher, die Balance zu halten.