29.10.2015
Monopolkommission veröffentlicht Sondergutachten „Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen“
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Am 27. Oktober 2015 hat die Monopolkommission ihr 72. Sondergutachten mit dem Titel „Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen" zu der für das nächste Jahr geplanten neunten Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) veröffentlicht.
Anlass des Sondergutachtens war ein Prüfauftrag der Bundesregierung, ob eine weitere Angleichung der Vorschriften über die Bußgeldhaftung bei Kartellverstößen an das europäische Recht vorgenommen werden sollte; dies beinhaltet insbesondere die Prüfung, ob die Bußgeldhaftung in Abkehr vom deutschen Rechtsträgerprinzip an das europäische Konzept der Zurechnung einer Zuwiderhandlung über die „wirtschaftliche Einheit" anknüpfen sollte. Auslöser dieser Diskussion waren vor allem gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungsmaßnahmen auf Unternehmensseite („Wurstkartell"), um einer Bußgeldhaftung letztlich zu entgehen.
Anm.: An späterer Stelle des Gutachtens spricht die Monopolkommission allerdings bereits vom angeblichen „Willen der Bundesregierung", § 81 GWB in Anlehnung an Art. 101 AEUV so zu ändern, um eine Umgehung der Kartellhaftung durch Umstrukturierungen auszuschließen (vgl. Tz 153). In Tz 2, worauf sich Tz 153 bezieht, ist allerdings lediglich vom Willen des Bundeskartellamts und den Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums die Rede.
Für das Kartellzivilrecht äußert sich die Monopolkommission ebenfalls dahingehend, dass die Bundesregierung plane, den kartellrechtlichen Unternehmensbegriff des EU-Rechts für Zivilklagen in das deutsche Recht im Zuge der Umsetzung der europäischen Schadensersatzrichtlinie zu übernehmen, weil die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, Geschädigte in die Lage zu versetzen, gegenüber „Unternehmen" Schadensersatz geltend zu machen.
Anm.: Das BMWi arbeitet derzeit an der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie: Pläne der Bundesregierung zur Übernahme des kartellrechtlichen EU-Unternehmensbegriffs in deutsches Recht sind öffentlich bislang nicht bekannt geworden.
Die Monopolkommission geht damit offenbar davon aus, dass die Richtlinie zur Umsetzung des europäischen Unternehmensbegriffs verpflichte und prangert lediglich ein mögliches Auseinanderlaufen des Unternehmensbegriffs im anzupassenden Zivilrecht im Verhältnis zur Haftungsrecht an.
Die Monopolkommission hält darüber hinaus eine Angleichung des Haftungsrechts an das europäische Recht mit der Konsequenz der Übernahme des europäischen Unternehmensbegriffs und der so genannten umstrittenen Konzernmutterhaftung sogar rechtlich für geboten. Der deutsche Gesetzgeber müsse gemäß Art. 3 VO 1/2003 eine in jeder Hinsicht effektive und diskriminierungsfreie Durchsetzung von Art. 101 AEUV gewährleisten und müsse (ex Art. 5 VO 1/2003) subjektive Haftungsvoraussetzungen vorgeben, die mindestens genauso streng seien wie die im europäischen Verfahrensrecht (vgl. Art. 23 VO 1/2003). Auch sei dem Grundsatz der Unionstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV) Folge zu leisten.
Ein Anpassungsbedarf folge zudem - so die Monopolkommission - schon aus der Rechtsprechung der europäischen Gerichte zum EU-Kartellverbot. Die von der Anwaltschaft und von Seiten des Schrifttums über die Jahre vertretenen kritischen Ansichten beruhten vielfach auf einem Fehlverständnis der europäischen Rechtsprechung und gingen von einem rein deutschen Rechtsverständnis aus. Die Monopolkommission kommt in ihrer Abhandlung zu dem Ergebnis, dass „die Haftung des ganzen Unternehmens für Kartellzuwiderhandlungen (...) zumindest mit den fundamentalen Rechtsgrundsätzen des europäischen Rechts vereinbar" sei. Und „ein Verstoß gegen wesentliche deutsche Verfassungsprinzipien" dränge sich „zumindest nicht auf"; im Übrigen komme es darauf auch nicht an, so die Kommission.
Eine Angleichung an das EU-Recht sei jedoch auch inhaltlich zu begrüßen, so die Monopolkommission. Denn sie beende die wettbewerbspolitisch problematische Ungleichbehandlung, die sich daraus ergebe, dass Unternehmen immer noch einem unterschiedlichen Haftungsrisiko ausgesetzt seien, je nachdem ob deutsche oder europäische Kartellbehörden gegen sie ermitteln. Die Monopolkommission gibt aber zu, dass die geplante Änderung zu einer spürbaren Haftungsverschärfung für Unternehmen führen würde, die künftig von den deutschen Kartellbehörden in Anspruch genommen werden.
Dennoch ist es aus Sicht der Monopolkommission zweifelhaft, ob die Kartellverfolgung künftig - nach den aus ihrer Sicht erforderlichen Rechtsanpassungen - zu einem ausreichend tiefgreifenden Bewusstseinswandel in Bezug auf Kartellverstöße führen würde. Die Monopolkommission sieht einen wesentlichen Grund hierfür in dem Umstand, dass hohe Geldbußen, die gegenüber einem Unternehmen verhängt werden, keine unmittelbaren Auswirkungen auf direkt kartellbeteiligte Unternehmensangehörige hätten. Deshalb bestünden Anreize zu rechtskonformem Verhalten aufgrund von Bußgelddrohungen für Unternehmensangehörige auch nicht in demselben Maße wie für das Unternehmen (sog. Principal-Agent-Problem). Im Gegenteil, die Monopolkommission hält fest, dass „das Unrechtsbewusstsein für Kartellverstöße bei den Verantwortlichen in Deutschland weiterhin unterentwickelt ist", was sich schon daran zeige, dass die aufgedeckten Kartelltaten „fast immer vorsätzlich" begangen worden seien und „die Kartellbeteiligten zu einer freiwilligen Kompensation geschädigter Marktteilnehmer (...) regelmäßig nicht bereit" seien.
Die Monopolkommission empfiehlt aus diesen Gründen, ergänzend eine Kriminalisierung natürlicher Personen per Strafvorschrift bei besonders schwerwiegenden Wettbewerbsverstößen (sog. Hardcore-Kartellen) einzuführen; dies würde „zu einer deutlichen Erhöhung des Unrechtsbewusstseins bei den kartellbeteiligten Unternehmensangehörigen beitragen". Sie knüpft insofern an ihre Untersuchung im XX. Hauptgutachten zu demselben Thema an. Im Sondergutachten macht die Monopolkommission konkrete Vorschläge, die als Diskussionsgrundlage im laufenden Gesetzgebungsverfahren dienen sollen (Details in Tz. 204). Hinzukommen soll eine strafbewehrte Pflicht zur Kapitalerhaltung bei Gesellschaftern, gegen welche die Kartellbehörde ein Bußgeldverfahren eingeleitet hat (Details in Tz. 206).
Interessant sind zudem die pauschal ablehnenden Ausführungen der Monopolkommission zu einer etwaigen rechtlichen Anerkennung von Compliance-Maßnahmen der Unternehmen, die - so die Monopolkommission pauschalierend - mit europäischem Recht unvereinbar sein sollen. In Tz. 167 heißt es:
167. Eine etwaige Verschärfung der deutschen Bußgeldpraxis aufgrund einer Übernahme der europäischen Grundsätze zum Umfang der persönlichen Haftung dürfte sich nicht ohne Weiteres durch andere Gesetzesvorgaben abfedern lassen, beispielsweise durch eine ausdrückliche Vorschrift zur haftungsmindernden Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen. Eine solche Besserstellung von Unternehmen, bei denen es dennoch zu einem Kartellverstoß gekommen ist, liegt zwar im Ermessen der Behörden, dürfte mangels eines entsprechenden Rechtsgrundsatzes aber keiner gesetzlichen Regelung zugänglich sein. Die europäische Rechtsprechung lehnt eine haftungsmindernde Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen ab.284 Ihre Kodifizierung dürfte folglich nur zu neuen Defiziten in der wirksamen Durchsetzung des Kartellverbots in Art. 101 AEUV führen und daher mit europäischem Recht unvereinbar sein.