29.11.2019

Kurzbericht zum 6. Berliner Kolloquium des FIW zur 10. GWB-Novelle

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FIW
Berliner Kolloquium
10. GWB-Novelle

Am 27. November 2019 fand in Berlin im Haus der Deutschen Wirtschaft das 6. Berliner Kolloquium des Forschungsinstituts für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (FIW) statt. Übergreifendes Thema war die 10. GWB-Novelle ("GWB-Digitalisierungsgesetz"), von der bislang nur ein inoffizieller Gesetzesentwurf vom 07.10.19 bekannt geworden ist. Ein offizieller Referentenentwurf wird schon länger erwartet. Dieser befindet sich aber noch in der Abstimmung. Ein Fokus der Novelle wird auf den Digitalmärkten und einer Verschärfung der Missbrauchsaufsicht unter Einschluss von Datenzugangsregeln liegen. Darüber hinaus wird es auch eine ganze Reihe weiterer Änderungen geben, insbesondere bei der Zusammenschlusskontrolle und den Verfahrensrechten (vgl. dazu FIW-Bericht vom 12.11.19).

 

Frau Dr. Angelika Westerwelle, Vorsitzende des FIW und Herr Dr. Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des BDI und stellvertretender Vorsitzender des FIW, eröffneten die Tagung und führten auch durch zwei Panel. Das erste Panel (von Herrn Dr. Lang moderiert) hatte das Thema "Digitalisierung und Missbrauchsaufsicht" mit den Themenschwerpunkten Intermediärsmacht, Zugang zu Daten und "Überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" zum Inhalt.

 

Das zweite personengleiche Panel (moderiert von Frau Dr. Westerwelle) widmete sich dem Thema "ECN-Plus und weitere Themen" und den Themenschwerpunkten "Durchsuchungen, Haftung von Verbänden, Fusionskontrolle, Rechtssicherheit für Kooperationen und Kartellschadensersatzrecht.

 

Panelisten waren die Folgenden:

 

Wesentlicher Inhalt der Paneldiskussion:

 

Herr Dr. Steinberg wies darauf hin, dass das Wettbewerbsrecht mit der Novelle insbesondere besser „fokussiert“, „proaktiv“ und schneller werde. Die Novelle habe u.a. das Ziel, den Marktzugang besonders für KMU zu verbessern. Deshalb sei die Novelle auch für die Wirtschaft von Vorteil. Die Novelle verlasse nicht den Bereich des klassischen Kartellrechts. Die Datenzugangsregeln seien wahrscheinlich eher eine Klarstellung. So würde die Essential-Facility-Doktrin neu gefasst. Darüber hinaus werde ein spezieller Datenzugang bei bestehenden Vertragsverhältnissen geschaffen im Falle der Informationsasymmetrie bei relativer Marktmacht. Dieser Anspruch sei ein Marktzutrittsprogramm für kleinere Unternehmen.

 

Die Einführung des Konzepts der Intermediationsmacht als ein Kriterium für eine marktbeherrschende Stellung sei ebenfalls eine Klarstellung. Revolutionär sei jedoch der neue § 19 a GWB-E. Diese Vorschrift habe einen beschränkten Anwendungsbereich auf die großen GAFA, wenn sie bestimmte missbräuchliche Verhaltensweisen an den Tag legten. Darüber hinaus wolle die Novelle die Entstehung von Monopolen frühzeitig verhindern (Tipping).

Insgesamt sei diese Novelle ein kluger Weg, um Dinge auszuprobieren.

Herr Mundt hielt die Novelle für eine natürliche evolutionäre Entwicklung. Klarstellungen seien nicht geringzuschätzen, so Mundt. Auch Präzisierungen und die schlichte Darstellung der Praxis durch den Gesetzgeber könnten hilfreich sein. Deutschland reihe sich im Übrigen in die internationalen Überlegungen ein, wie es Kartellbehörden schaffen könnten, einen „echten Impact“ hinzubekommen, digitale Märkte wettbewerblich zu machen. Davon sei man derzeit noch weit entfernt. Die 9. GWB-Novelle sei schon weitreichend gewesen. Sie habe zudem den Vorteil gehabt, dass sie aus echter Fallerfahrung heraus entstanden sei, während die 10. Novelle jetzt viele hypothetische Fallbetrachtungen und Lösungsansätze verkörpere. Mundt ging noch auf einige neue Regelungen wie die Einführung der Intermediärsmacht, die Änderung in § 20 Abs. 1 (Wegfall des KMU-Kriteriums bei relativer Marktmacht) und auf die Datenzugangsregelungen näher ein. Gerade der Datenzugangsanspruch werde eine schwierige Interessensabwägung beinhalten. So müsse beispielsweise dem Schutz von personenbezogenen Daten Rechnung getragen werden. 

Die Novelle bewege sich zwischen „Kartellrecht Plus“ und einem leicht regulatorischen Ansatz. Gegebenenfalls könne man von einer kartellrechtsnahen Regulierung sprechen. Bei § 19 a GWB-E würden umfangreiche Ermittlungen notwendig sein, um eine marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens festzustellen. Neu sei die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Allerdings bleibe der Amtsermittlungsgrundsatz bestehen. Nur ein non liquet gehe zu Lasten der Unternehmen. Insgesamt handele es sich um eine maßvolle Erweiterung des bestehenden Instrumentariums. Ob die Verfahren tatsächlich schneller würden, werde man sehen müssen.

Herr Prof. Wambach schilderte, dass sich die Wettbewerbskommission 4.0 intensiv mit vielen Fragen der Novelle auseinandergesetzt habe. Die Rechtsordnungen stünden vor neuen Herausforderungen bei der Digitalisierung, und man sei in besonderem Maße auf Experten angewiesen. Alle neuen Märkte hätten zunächst einen „Glaskugelcharakter“. Er beschrieb, warum sich die Wettbewerbskommission gegen ein Verbot von „Killer Aquisitions“ ausgesprochen habe und ging dann näher auf Fragen der Datenökonomie ein, die besser als „Informationsökonomie“ bezeichnet werde. Es dürfe nicht aus den Augen verloren werden, dass es aufwendig sei, Daten zu generieren und zusammenzuführen. Man müsse Unternehmen auch Anreize geben, Daten zu generieren und zu nutzen.

Das Wettbewerbsrecht sollte auch, wo möglich, in Anlehnung an das EU-Recht fortentwickelt werden. Die Aufnahme von Intermediationsmacht sei sinnvoll, die Anwendung von § 20 Abs. 1 GWB-E auf Großunternehmen sei in sich konsistent. Das Wegfallen des Kausalitätsbezugs bei der Missbrauchsaufsicht sah Wambach kritisch. Es sollte hier beim EU-Wortlaut bleiben. Man könne auf europäischer Ebene auch überlegen, ein Spürsamkeitskriterium einzuführen, wie die Monopolkommission vorgeschlagen habe. § 19 a GWB-E sah Wambach kritisch, da dieser eine Abkehr von den Grundsätzen des EU-Missbrauchsrechts beinhalte. Die Verfahren würden zudem äußerst ressourcen- und zeitintensiv. Die Wettbewerbskommission 4.0 habe stattdessen Regeln für marktmächtige Plattformen vorgeschlagen. Hier bestehe tatsächlich Handlungsbedarf, der jedoch auf EU-Ebene und nicht national adressiert werden sollte. 

Herr Dr. Heider sprach von einem Paradigmenwechsel bei der Novelle. Die Novelle sei ein evolutionärer Schritt, um einen Rechtsrahmen für die Digitalwirtschaft zu setzen und um einer weiteren Vermachtung entgegenzuwirken. Der Gesetzgeber könne sich jedenfalls im Angesicht von Marktumwälzungen nicht davor zurückziehen, wieder für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Der Alleingang Deutschlands sei auch gerechtfertigt, da der Anwendungsbereich des EU-Rechts nationale Sonderregelungen zulasse und es sinnvoll sei, auch national erst einmal weitere Erfahrungswerte zu sammeln. Diese könnten dann bereits im Rahmen der Ratspräsidentschaft auf EU-Ebene aufgegriffen werden. 

 

Die Anhebung der Inlandsumsatzschwelle bei der Fusionskontrolle beinhalte, dass das Bundeskartellamt wieder mehr Kapazitäten für andere Fälle übrighabe. Die werde es auch brauchen, da die Umsetzung von § 19 a GWB-E viele Kräfte benötigen werde. Es sei essenziell, die Märkte für Wettbewerber offenzuhalten. Der Marktbegriff dürfe dabei nicht zu eng ausfallen. Weiter sei der Anspruch auf einen Bescheid des Bundeskartellamts im Vorfeld von Kooperationen eine wichtige Neuerung. Die Änderungen bei der Ministererlaubnis wertete Heider ebenfalls als positiv, da sie das Verfahren schneller machten. 

 

Frau Dröge äußerte sich überrascht, dass Entwurf der Novelle „grundsätzlich brauchbar“ sei. Positiv seien die Neuerungen in den Bereichen der digitalen Märkte, beim Missbrauch von Marktmacht und der Vorgabe der Interoperabilität. Auch § 19 a GWB-E sei grundsätzlich zielführend, es sei aber fraglich, warum man eine neue Definition für den Normadressaten brauche. Man hätte auch den eingeführten Begriff der Marktbeherrschung verwenden können. Eine Gesetzgebung nur für einen kleinen Kreis, d.h. eine „Lex GAFA“, zu machen, sei ebenfalls prinzipiell schwierig. Dröge forderte, dass sowohl die Maßgabe nach Interoperabilität als auch das Verbot einer Bevorzugung eigener Produkte für alle Marktteilnehmer gelten sollten. Sie kritisierte, dass die Novelle keine „Killer Aquisitions“ adressiere. Auch die Ansprüche zur Datenteilung hinterließen viele Fragezeichen. Hier sei eine Präzisierung in Bezug auf den Datenschutz und den Anwendungsbereich (etwa nur maschinenbezogene Daten) wünschenswert. Selbst voll anonymisierte Daten ließen ansonsten Rückschlüsse auf personenbezogene Daten zu.

 

Dröge vertrat die Ansicht, dass die „missbrauchsunabhängige Entflechtung“ noch ein aktuelles Thema sei angesichts der sehr verfestigten Marktmacht der großen vier Digitalunternehmen, um mehr Wettbewerb in den Markt zu bringen. Sie bedauerte, dass die Novelle nicht die verbraucherschutzrechtlichen Kompetenzen des Bundeskartellamts weiter stärke. Die Einschränkung Klagerechte Dritter bei der Ministererlaubnis („Lex Rewe“) im Zuge der letzten Novelle hielt Dröge ebenfalls für problematisch. Sie kündigte an, diese Problematik in einem Entschließungsantrag aufzugreifen.

 

In der anschließenden Diskussion mit dem Auditorium wurden viele der bereits angesprochenen Themen weiter vertieft und weitere Punkte, z. B. Industriepolitik, näher erörtert.

 

Zum Antitrust Blog D’Kart des Instituts für Kartellrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der ebenfalls über diese Veranstaltung berichtet, gelangen Sie hier.