07.05.2019

Kurzbericht zum 52. Innsbrucker Symposion des FIW, 6.-8. März 2019

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FIW
52. FIW-Symposion
Kartellrecht

Das diesjährige Innsbrucker Symposion des FIW fand vom 6. März bis zum 8. März 2019 statt. Die Veranstaltung bot zum 52. Mal führenden Vertretern der Wirtschaft, Anwaltschaft, Verwaltung und Justiz ein Forum über Fragen der Wirtschaftsverfassung und der Wettbewerbspolitik. Zur Einstimmung auf die Tagung fand am Vorabend der Tagung ein Empfang auf Einladung der Österreichischen Industriellenvereinigung statt.

Donnerstag - 06.03.2019

Die Vorstandsvorsitzende des FIW, Dr. Angelika Westerwelle, begrüßte die Teilnehmer als „Kartellfamilie". Die Wettbewerbspolitik halte nicht zuletzt angesichts der politischen Weltlage viele neue Herausforderungen für das Kartellrecht bereit. Westerwelle führte daraufhin kurz in die Vortragsthemen der nächsten zwei Tage ein.

Im Anschluss übermittelte die Vizebürgermeisterin ihre Grußworte. Das Symposion gehöre einfach zum Innsbrucker Frühlingsbeginn, und machte einen Exkurs zum Thema Wohnen, das ein europäisches Thema in den Ballungsräumen geworden sei. Man müsse klären, was unter „leistbar" zu verstehen sei und wieviel man Familien und Einzelnen zumuten könne. Es sei zu klären, wem Grund und Boden gehöre. Dies sei ein großes Thema in Tirol, da es wenig bebaubare Fläche, aber viel landwirtschaftliche Flächen gebe. Man könne zur Lösung an die Einführung eines Interessentenmodells denken, etwa an den landwirtschaftlichen Betrieb gekoppelt, verbunden mit einem Vorkaufsrecht. Dies werde auch für den Bereich Wohnen überlegt. Es handele sich daher um eine Paralleldiskussion zum Wettbewerb, bei dem man sich auch frage, wie man die Rahmenbedingungen richtig setze. Die Europawahl lasse aufgrund von nationalistischen Bewegungen kurzfristige Zielsetzungen befürchten.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts: Wettbewerb und Fairness - wie Europa den richtigen Rahmen setzt

(vgl. separaten FIW-Bericht vom 14.03.2019)

Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur /

Prof. Dr. Jürgen Kühling, Mitglied der Monopolkommission:

Herausforderungen der Gigabitgesellschaft

Homann schilderte zunächst die vielfältigen Aufgaben der Bundesnetzagentur als

Genehmigungsbehörde für Netzzugang und Entgelte, als Verbraucherschutzbehörde und Behörde für die technische Überprüfung und für automatische Auskunftsersuchen Deutschland vertreten sei. Die Arbeitsfelder des Kartellamts und der Netzagentur wüchsen zunehmend zusammen. Für beide Behörden spiele die Marktabgrenzung eine überragend wichtige Rolle. Branchen, in denen es nur eingeschränkten Wettbewerb gebe, erforderten hohen Kapitaleinsatz. Betriebswirtschaftlich lohne es sich oft nicht, doppelte Infrastrukturen zu betreiben (Beispiel: Straßennetz, Schienennetz, Wassernetz, Stromnetz). Der Telekommunikationsbereich stelle insofern eine Ausnahme dar. Problematisch seien die vielen Funklöcher („Telekommunikationswüste"). Dort gebe es nur Wettbewerb, wenn die Regulierung Druck ausübe oder die Politik Steuergelder bereitstellten.  Einerseits wolle die Politik den Wettbewerbsgedanken hochhalten, andererseits sei sie aber mit dem Ergebnis nicht zufrieden. In diesem Spagat bewegten sich die Regulierung und Förderprogramme. Der Koalitionsvertrag sehe einen rechtlich abgesicherten Zugang zum schnellen Internet vor. 20 Jahre nach der Liberalisierung komme es jetzt auf einen klaren Kurs an, um den Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit zu geben. Bei den Telekommunikationsnetzen gehe es jetzt vor allem darum, das bestehende Netz durch ein neues zu ersetzen (Kupfer durch Glas, 4G durch 5G). Der Bundesnetzagentur komme dabei die Aufgabe zu, „knappes Gut" zu verwalten und die Zukunft zu gestalten. Sie habe Interesse, nur dem besten Bieter die 5G-Anwendungen zu geben. Neue Frequenzen, die sich aufgrund ihrer geringen Reichweite nur für Campuslösungen eigneten, würden erst im Jahr 2026 vergeben. Frequenzen für die Fläche würden auch erst zukünftig vergeben, allerdings bestünden bereits jetzt Auflagen für die Flächenversorgung (Autobahnen, Schienenweg, Wasserstraßen). Es stehe den Unternehmen frei, auch auf die vorhandenen 700er Frequenzen zurückzugreifen. Bestimmte Frequenzbereiche (100 Megaherz) würden nicht versteigert. Diese könnten für Industrie 4.0-Anwendungen autark genutzt werden. Viele Mittelständler würden aber künftig Verträge mit Netzbetreibern schließen müssen, da nicht jedes Unternehmen ein eigenes Netz aufbauen könne. Glasfasernetze seien zukunftsweisend, weshalb die Infrastruktur ausgebaut werden müsse. Es müsse ein konsequenter Schritt in Richtung Gigabit-Gesellschaft erfolgen.

Kühling ergänzte, dass derzeit ein Paradigmenwechsel in der Telekommunikationsordnung zu beobachten sei. Es handele sich um ein hoch ausdifferenziertes System, bei dem die wettbewerbsrechtlichen Leitplanken zu beachten seien, um nicht im „regulatorischen Straßengraben" zu landen. Laut Koalitionsvertrag habe das Gigabit-Ziel, d.h. der flächendeckende Ausbau mit Gigabit-Netzen, höchste Priorität, um im Bereich der digitalen Infrastruktur an die Weltspitze zu kommen. Dieses Ziel sei äußerst ambitioniert. Der „Rasi" (rechtlich abgesicherter Anspruch auf „schnelles Internet") könne auch an den Universaldienst in niedrigschwelliger Form „angedockt" werden. Das stehe auch im Einklang mit dem Interkonnektivitätsziel der EU, das eine flächendeckende Ausrollung dieser Netze vorsehe. Kühling schlug vor, sich von der Nachfrage zu entkoppeln und zügiger den Ausbau vorantreiben, um baldmöglichst Rendite einfahren zu können. Das bisherige Erfolgsmodell der privatwirtschaftlichen Leistungserbringung im funktionsfähigen Wettbewerb solle durch eine Weiße-Flächen-Abdeckung, ggf. auch mit Steuermitteln oder als Ausschreibungsmodell mit Förderungen, ergänzt werden. Der Universaldienst müsse von den Konsumenten bezahlt werden.  

In der Vergangenheit sei der Infrastrukturwettbewerb im Mobilfunk und Festnetz gut gewesen, da er unterschiedliche Angebote und Qualitäten bereitgestellt habe. Dieser sei jedoch in der Gigabit-Gesellschaft und bei Glasfasernetzen nicht mehr vorstellbar. Auch konterkarierten die Ziele im Mobilfunk mit den Zielen des Glasfaserausbaus. Es könne nicht mehrere Glasfasernetze geben. Im Mobilfunk müsse man die „Weißen Flecken" letztlich durch Förderprogramme schließen. In zweiter Linie kämen auch Versorgungsauflagen in Betracht. Kooperationen müssten auch beim gemeinsamen Infrastrukturaufbau und deren Nutzung zunehmend zugelassen werden.

Kühling zeigte schließlich noch die rechtlichen Leitplanken auf. Es sei sinnvoll, dass das EU-Beihilfenrecht strenge prozedurale Anforderungen aufstelle, auch wenn es in seiner materiellen Steuerungswirkung begrenzt sei. Auch sei das Kartellrecht keine Schranke, die vernünftigen Effizienzerwägungen im Wege stehe. Alles in allem ließen die rechtlichen Rahmenbedingungen viel staatliche Förderung zu.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts /

Dr. Theodor Thanner, Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde /

Prof. Dr. Andreas Heinemann, Präsident der schweizerischen Wettbewerbskommission:

Podiumsdiskussion - Verbraucherschutz und Kartellrecht

Mundt bekräftigte seinen Wunsch, dass Verbraucherschutz und Kartellrecht enger miteinander verwoben werden sollten. Beide Rechtsgebiete hätten den Verbraucher im Blick und seien in vielen Ländern in einer Behörde angesiedelt. Das Wettbewerbsrecht verfolge teilweise unmittelbare Verbraucherschutzziele (Beispiele: überhöhte Preise, Konditionenmissbrauch, Wasserverfahren in Berlin und Facebook). Gerade in der digitalen Welt hätten Behörden die Ziele, Märkte offen zu halten und dafür zu sorgen, dass Verbraucher nicht unter geschlossenen Märkten litten. Auch nicht marktbeherrschende Unternehmen würden massenhaft Verbraucherrechte verletzen. In Deutschland werde Verbraucherschutz traditionell auf zivilrechtlichem Weg durchgesetzt. Daneben hätten komplementär einzelnen Behörden einzelne spezifische verbraucherrechtliche Kompetenzen, wie z. B. die Bundesnetzagentur oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Das Bundeskartellamt habe mit der 9. GWB-Novelle erstmals Kompetenzen im Verbraucherschutz erhalten. Mundt ging darauf näher auf die anhängigen und geplanten Sektoruntersuchungen des Amtes ein, die bereits Transparenzdefizite und damit verbundene Verbraucherschutzverstöße aufgedeckt hätten, die über eine behördliche Befugnis abgestellt werden könnten. Mundt äußerte Skepsis, dass Verbraucherschutzverbände diese Defizite zivilrechtlich abstellen könnten. Auch sei die Begrenztheit der zivilrechtlichen Urteile eklatant. Aus Sicht Mundts sei daher eine Aufwertung des behördlichen Verbraucherschutzes notwendig. Das Bundeskartellamt stehe bereit, „auf einer schmalen Ebene komplementär tätig" zu werden.

Thanner teilte mit, dass in Österreich der Schutz der Wettbewerbsordnung letztlich auch im Interesse des Verbrauchers sei, wie der österreichische Verfassungsgerichtshof in einer richtungsweisenden Entscheidung zu Bestpreisklauseln geurteilt habe. Der Begriff des Verbraucherschutzes sei demnach recht weitreichend. Die Zuständigkeiten der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) gingen über diejenigen des deutschen Bundeskartellamtes hinaus. Sie sei auch zuständige Behörde im Bereich der Verbraucherbehördenkooperation. Dies sei ein Netzwerk von zuständigen Behörden, um innergemeinschaftliche, grenzüberschreitende Verstöße gegen gewisse Verbraucherschutzvorschriften abzustellen. Die BWB sei auch für die adäquate und effektive Durchsetzung der Geoblocking-Verordnung zuständig. Thanner ging in seinem Beitrag noch näher auf die CPC-Verordnung ein, die gegen grenzüberschreitende Verbraucherschutzverstöße gerichtet sei. Zentrale Fragen würden bei der teilweise gebotenen Umsetzung in nationales Recht die Ausübung der Mindestbefugnisse durch die zuständige Behörde selbst oder im Wege eines Antrags an ein Gericht sein. Geregelt werden müssten Behördenzuständigkeiten, das einzuhaltende Verfahren, die Bestimmung von Sanktionen und deren Bemessung für Verstöße gegen das Verbraucherrecht sowie die Zuweisung zu einem Verfahren. Thanner erwähnte ebenfalls, dass es auf internationaler Ebene bereits zahlreiche Vorbilder für Zuständigkeiten von Kartellbehörden im Verbraucherschutz gebe, und plädierte im Sinne eines „One Stop Shop" dafür, der BWB weitere Zuständigkeiten im Verbraucherschutz zu geben.

Daraufhin schilderte Heinemann, wie sich der Konsumentenschutz in der Schweiz entwickelt habe. Anfangs habe die Schweiz einige Konsumentenschutz-Richtlinien der EU „autonom übernommen". Allerdings sei beispielsweise die AGB-Richtlinie nicht übernommen worden. In dem Bereich gebe es nur allgemeines Richterrecht. Der Gesetzgeber habe die Vorschläge bislang ignoriert, AGB-Regeln nach EU-Recht zu übernehmen. Konsumentenschutzregeln würden in der Schweiz eher im UWG angelegt. Es würden aber keine eigenen Konsumentengesetze avisiert. Dies liege daran, dass die Schweiz in ihrer Rechtstradition ein System der Selbstregulierung und Verhandlungslösungen präferiere. Die schweizerische Wettbewerbsbehörde WEKO habe auch keine Zuständigkeit für Konsumentenschutzrecht oder im UWG. Die Stellung der Konsumenten sei ebenfalls im Kartellrecht eher schwach. Konsumentenwohlfahrt sei auch kein explizites Ziel des Kartellrechts. Nach überwiegender Meinung könnten Konsumenten auch keinen kartellrechtlichen Schadensersatz geltend machen. Ansonsten gebe es vier anerkannte Konsumentenorganisationen und einen Preisüberwacher, dem eine wichtige Funktion zukomme. Heinemann sprach sich deutlich für eine Aktivlegitimation der Konsumenten und ihrer Verbände aus.

Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

Prof. Achim Wambach, PhD, Vorsitzender der Monopolkommission, Präsident vom Zentrum für Europöische Wirtschaftsförderung GmbH (ZEW)

10. GWB-Novelle und Wettbewerbskommission 4.0 als Bausteine einer Digitalen Ordnungspolitik

(vgl. zum Vortrag von Dr. Steinberg den separaten FIW-Bericht vom 27.03.2019)

Wambach berichtete über die Wettbewerbskommission 4.0. als deren Co-Vorsitzender. Da der Arbeitsprozess noch im Gang sein, könne er noch keine Ergebnisse verkünden. Innerhalb der Wettbewerbskommission gebe es die drei Arbeitsgruppen „Plattformökonomie", „Daten" und „Digitales Ökosystem". Zudem sei in Berlin ein Internetinstitut mit 170 Wissenschaftlern geschaffen worden. Auch über dessen langjährig angelegte Forschungsprojekte könne man noch keine Aussage treffen. Man müsse insofern seinem „Unverständnis Raum geben", so Wambach. Zur anstehenden GWB-Novelle sagte Wambach, dass er die Aufnahme von Intermediationsmacht gut nachvollziehen könne. Die angedachte Streichung des KMU-Begriffs in § 20 GWB sei aus der Plattformökonomie jedoch nur schwer ableitbar. Es sei in jedem Fall sinnvoll, kleine und mittlere Unternehmen zu schützen.

Der Ruf nach mehr Rechtssicherheit bei Kooperationen bewahrheite sich in der Plattformökonomie, wo es einen starken Kooperationsbedarf gebe. Der Bereich Daten sei wissenschaftlich bislang weniger robust durchdrungen. Offene Fragen seien, ob die essential-facility-doctrine beim Datenzugang für Dritte ausreiche. Durch Verpflichtungen zur Datenportabilität könnten Daten der öffentlichen Hand (z. B. im Bereich der Daseinsvorsorge) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Allerdings fehle es an einer Definition von Daten, die in erster Linie Informationen seien. Hierzu würden weitere Erkenntnisse benötigt.

Ein Verbot des Aufkaufens kleiner Start-Ups, wodurch frühzeitig Märkte besetzt würden, sei zweischneidig. Verbundvorteile seien Effizienzvorteile, und Unternehmen planten selbst ihren Exit. Die Dynamik der Märkte spreche für ein schnelleres, aber auch vorsichtigeres Agieren der Wettbewerbsbehörden. Bei der Missbrauchsaufsicht könne eine Ex-Post-Kontrolle in dynamischen Märkten sinnvoll sein, um einen Erfahrungsschatz zu etablieren. „Innere Entflechtung" als ex-post-Instrument und die Evaluierung von Fusionskontrollverfahren könnten ebenfalls in die richtige Richtung gehen. In jedem Fall aber gelte als erstes: „Wissen is key".

Prof. Dr. Stefan Thomas, Universität Tübingen /

Birgit Krueger, Abteilungsleiterin, Bundeskartellamt:

Vertragsfreiheit und Anzapfverbot

Thomas analysierte einige Auswirkungen der Entscheidung des BGH in Sachen „Hochzeitsrabatte", die wesentlich für das Verständnis des Anzapfverbots sind. Wenn man sich mit der Wirkungsweise des Anzapfverbots befasse, gehe es um die kartellrechtliche Korrektur von Verhandlungsergebnissen, so Thomas. Jeder Vertrag sei zunächst als die Gesamtheit aller Konditionen zu begreifen. Die Wirkung des Anzapfverbots richte sich auf eine Rentenverschiebung. Wenn man auf eine Verlängerung der Zahlungsfrist verzichte, sei dies preisrelevant (preiserhöhend) im Sinne einer Rentenverschiebung zugunsten des Lieferanten.

Die Frage der kartellrechtlich-funktionalen Auslegung des Anzapfverbots müsse darauf zielen, welche Schadensszenarien verhindert werden sollen. Dies führe zu einer Wirkungsanalyse der Nachfragemachtausübung. Ein Monopsonist könne beispielsweise eine Rendite erzielen, indem er die Mengennachfrage reduziert. Für die Erzielung von Vorteilen müsse es nicht zur Renditenerzielung kommen. Sie könnten auch ohne Mengenreduktion erzielt werden. Schon eine Drohung könne dafür ausreichen.

Bilaterale Verhandlungsmacht ohne Mengenreduktion führe zunächst nur zu einer Kostenreduktion. Sie unterscheide sich grundlegend vom Monopson. Auswirkungen auf dynamische Effizienzen könnten gleichwohl gemindert sein. Nachfragemacht könne auch innovationsfördern sein, indem die Angebotsmacht gegenüber dem Nachfrager gestärkt werde.

Bei den Schadenstheorien seien die horizontale und vertikale Schutzrichtung zu unterscheiden. Die klassische Schutzrichtung betreffe die klassische Behinderungsfallgruppe als Ergebnis einer Monopolisierung des nachgelagerten Marktes (upstream-price discrimination, Spiral- Wasserbetteffekten). Deren Schädlichkeit sei unstreitig, weshalb das Eingreifen des Anzapfverbots gerechtfertigt sei. Die vertikale Schutzrichtung habe der BGH bei den Hochzeitsrabatten anerkannt. Thomas überzeuge jedoch nicht der Ansatz, dass das Anzapfverbot auch dadurch begründet wird, dass es einem Schadenspotential entgegenwirken solle, wenn es keine Monopsonmacht gibt. Ein voraussetzungsloses Recht auf eine angemessene Produzentenrente ließe sich nicht begründen Die Produzentenrente könne nur reflexiven Schutz erfahren. Bloße Vermögensinteressen ließen sich nicht begründen. Eine intrinsische Angemessenheitskontrolle ließe sich nicht auf die Topoi der „Wettbewerbsfreiheit" oder der „Fairness im Wettbewerb" stützen. Man müsse die Grenze der Freiheit bestimmen, wenn man das Anzapfverbot darauf stützen wolle. Eine intrinsische Angemessenheitskontrolle einzelner Vertragskonditionen, Preise bzw. des gesamten Vertragsbündels seien lediglich Spielarten des iustum pretium-Gedankens. Selbst der BGH habe nicht gesagt, dass die Produzentenrente um ihrer selbst willen geschützt werden müsse. Die Forderung von Vorteilen könne sachlich gerechtfertigt sein, selbst wenn ihr keine angemessene Gegenleistung gegenüberstehe. Der BGH habe den vertikalen Wettbewerbsschutz betont, nicht jedoch den vertikalen Vermögensschutz. Es solle jedoch nicht ausgeschlossen werden, sowohl Wohlfahrtsverluste, als auch das Effizienzpotential auf der Rechtfertigungsebene zu berücksichtigen.

Krueger stellte in ihrem Beitrag zunächst die Genese der Norm und des Normzwecks vor. Die Verankerung im GWB sei ursprünglich mit einer sehr starken Stellung des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) einhergegangen. Zuletzt habe es Änderungen im Rahmen der 9. GWB-Novelle gegeben. Zur Schutzrichtung des Anzapfverbots sagte Krüger, dass der horizontale Schutzzweck nach wie vor bestehe. Die Anbieterseite sei vor dem Hintergrund des relativen Machtgefälles im LEH seit der GWB-Novelle 2007 ebenfalls umfasst. Allerdings sei von einer Interdependenz zwischen vertikalem und horizontalem Schutzzweck auszugehen. Schließlich ging Krüger näher auf die Schadenstheorie beim Anzapfverbot ein, indem sie diese anhand eines Prüfkonzepts und einzelner Prüfschritte näher erläuterte (vgl. dazu die detaillierten Folien von Frau Krueger)

Freitag - 07.03.2019

Prof. Dr. Wolfgang Kirchhoff

Die Rechtsprechung des BGH zum Kartellschadensersatz - Neues und was bleibt von ORWI und Lottoblock II? Kirchhoff berichtete über die Rechtsprechung des BGH zum Kartellschadensersatz, und zwar zur Zulässigkeit der Feststellungsklage und Anspruchsverjährung (Grauzementkartell II), sodann zur Methodik der Schadensschätzung (Flüssiggas II), zu Fragen der Beweisführung (Schienenkartell) und zur Frage der Relevanz der Urteile in Sachen ORWI und Lottoblock II.

Prof. Dr. Andrea Lohse, Richterin am OLG Düsseldorf, Universität Bochum

Das neue Kartellschadensersatzrecht in der Praxis - ein kritischer Bericht aus der Instanzgerichtsbarkeit

Lohse führte unter dem Hinweis auf die Rechtssache Lottoblock II aus, dass es Disruptionen nicht nur in der Digitalwirtschaft, sondern auch im Kartellbereich gebe. Beim Schienenkartell habe die Kartellabsprache darauf abgezielt, Ausschreibungen bzw. Projekte unter den Kartellbeteiligten aufzuteilen (Subventionsbetrug). Problematisch seien allerdings der Bußgeldbescheid des Bundeskartellamts und dessen Interpretation gewesen. Feststellungen seien nur zu den Schienen und nicht zu den Weichen getroffen worden.

In dem von der EU-Kommission entschiedenen LKW-Fall habe die Kommission im Bußgeldbescheid keine Wirkungen des Kartells festgestellt. Dies müsse man zwar bei Hard-Core-Kartellen oder beim Informationsaustausch auch nicht, allerdings seien die Bußgeldbescheide in Brüssel dadurch qualitativ nicht besser als die in Deutschland. Das OLG habe zum LKW-Kartell noch keine Fälle entschieden. Bislang seien überwiegend nur Feststellungs- und Grundurteile auf Landgerichtsebene ergangen. Die Landgerichte hätten gern die Auswirkungen des Kartells mit Blick auf einen Schaden geklärt. Zwar kenne die ZPO, wenn ein Kläger in Beweisnot sei, durchaus die Möglichkeit, die Beweislast zu mildern. Die Instanzgerichte hätten auch zu Beweiserleichterungen gegriffen. Allerdings hätten die Kartellanten durchweg den Einwand der Schadensabwälzung des Kartellaufschlags für Schienen und Weichen erhoben und dabei vielfältige kreative Argumente vorgebracht. Die Instanzgerichte neigten dazu, unter Berufung auf die ORWI-Rechtsprechung die Passing-On-Defense einzuschränken, da es keinen Anschlussmarkt gebe.

Generell sei die Schadensschätzung ein „Albtraum" für die Gerichte. Hierfür würden stets Anknüpfungstatsachen im konkreten Fall benötigt. Sowohl im Flüssiggas-Fall als auch bei Lottoblock II habe die Schadensschätzung beim BGH nicht gehalten. Die Einholung sachverständigen Rates, wie vom BGH angeregt, könne leicht zu Gutachterschlachten führen. Lohse zog am Ende eine äußerst mäßige Bilanz für das Kartellschadensersatzrecht. Es sei vor allem zweifelhaft, ob eine Schadensschätzung jemals revisionsfest gelingen werde. Hier könnten erleichterte Definitionen zur Kartellbetroffenheit und eine pauschalierte Schadenshöhe helfen.

Dr. Donatus Kaufmann, Mitglied des Vorstandes, ThyssenKrupp AG:

Unternehmervortrag

Kaufmann stellte das Unternehmen ThyssenKrupp (tk) vor. Dieses stehe exemplarisch für ein Unternehmen, das sich durch alle vier industriellen Revolutionen hindurch (Power Machines,

Taylorismus, Automation, Collaboration -Industrie 4.0) immer wieder neu hätten erfinden müssen. Dabei sei es von einem aus drei Unternehmen (Krupp, Hoesch und Thyssen) bestehenden Stahlkonzern zu einem diversifizierten Industriekonzern geworden. Kaufmann berichtete von profitablen Stahlzyklen, die dazu geführt hätten, dass tk auf dem U.S.-amerikanischen Stahlmarkt agieren wollte. Diese dort und in Brasilien getätigten Investitionen hätten allerdings zu einer finanziellen Schieflage geführt, die zu Milliardenverlusten und bis einer Erneuerung des Konzernvorstands geführt hätten. Hinzugekommen sei die EU-Rekordstrafe gegen die Aufzughersteller und das Schienenkartell. Daraufhin habe der Konzern einen Kulturwandel durchlaufen müssen. Das Edelstahlgeschäft sei 2012 verkauft worden, es sei eine Kapitalerhöhung gemacht worden, und das Stahlwerk in den USA (Alabama) sei verkauft worden. Mittelfristig habe sich die Strategie durchgesetzt, auch andere Geschäftsfelder auszubauen und Joint Ventures mit anderen Unternehmen einzugehen. Die Zukunft lasse sich nur mit digitaler Transformation und Innovation bauen. Die Marke tk habe sich im Laufe der Zeit verändert. Heute umfasse tk im Wesentlichen fünf Geschäftsfelder in 12 Schlüsselindustrien (vom Autozulieferer, über Öl und Gas, über Stahl, Schiffe, Aufzüge, Energieerzeugung bis in den Baubereich). In der nächsten Phase werde tk in zwei große unabhängige börsennotierte Industrieunternehmen geteilt werden. TK Industrial solle zum einen Bedarfe erfüllen, die globale Megatrends befriedigten (Mobilitätskonzepte für die Urbanisierung, Nachhaltigkeit, Energiewende und Digitalisierung. TK Materials solle die Werkstoffgruppe, d.h. Stahl und Edelstahlproduktion, Werkstoffhandel und stahlbezogene Verarbeitung in einem Unternehmen vereinen. Kaufmann endete mit einem Ausblick auf die enormen makroökonomischen Herausforderungen für einen global aufgestellten Konzern wie tk, wozu auch die Trump-Agenda mit ihren Strafzöllen im Stahlbereich gehöre, die zu Umlenkungsprozessen führten. Durch den Dieselskandal sei tk als Autozulieferer betroffen. Auch führe der Handelskrieg zwischen China und USA zu Nachfrageeinbußen. Wichtig seien eine offene Handelspolitik und ein modernes Wettbewerbsrecht, das auch in der Lage wäre, eine globale Sichtweise zu berücksichtigen.