13.05.2015

5. Berliner Kolloquium des FIW (Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbwerb e. V.): „Wettbewerb auf den Finanzmärkten – ordnungspolitische Aspekte von Systemstabilität und Systemadäquanz“

FIW
Berliner Kolloquium

7. Mai 2015, Deutsche Bank AG, Berlin

Dr. Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer und Mitglied des Präsidiums des Bundesverbands der Deutschen Industrie, stv. FIW-Vorsitzender, begrüßte die Teilnehmer und führte durch das Kolloquium. Er wies zu Beginn auf einige Entwicklungen in der Gesetzgebung hin, zum Beispiel auf das Grünbuch der EU-Kommission zur Schaffung einer Kapitalmarktunion, das sich sehr stark auf die Finanzierungsfunktion des Kapitalmarkts konzentriere. Weiter sprach er an die Regulationsmethodik, die Finanzmarkttransaktionssteuer sowie die Bankenstrukturreform, welche alle maßgeschneiderten Derivatgeschäfte auf die Handelseinheit auslagere, sowie die Umsetzungsvorschriften zu MiFiD II. Die Frage sei zudem berechtigt, ob Finanzmarktregulierungen schädliche Nebenwirkungen hätten und zu Fehlverhalten auf Märkten führen könnten. Ein leistungsfähiger Kapitalmarkt benötige ein klares, widerspruchsfreies und stabiles Regelwerk. Hierzu habe das letzte Hauptgutachten der Monopolkommission zudem deutliche Akzente gesetzt. Letztlich gehe es die der Realwirtschaft dienende Funktion der Kreditwirtschaft. Auch die Frage nach Größe und Bedeutung deutscher Kreditinstitute auf den internationalen Kapitalmärkten sei relevant.

Steffen Kampeter, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen gab einen Praxisbericht zum Thema „Finanzplatz Europa - zwischen Wettbewerb und Finanzmarktstabilität" und legte politische Abwägungsprozesse dar. Das neue Paradigma nach der Finanzmarktkrise stelle die dienende Funktion der Finanzmärkte in den Mittelpunkt; dies habe zu einer völligen Neubewertung von Risiken und Chancen von intermediären Finanzmärkten geführt. Man habe das Prinzip Walter Euckens: „Nur wer haftet, handelt verantwortlich" verinnerlicht. Daher habe die Wiedereinführung des Haftungsprinzips im Finanzmarkt im Fokus der Neuregelungen gestanden. Die Finanzmärkte sollten sich an langfristigeren dienenden Zielen gegenüber der Realwirtschaft ausrichten. Auch die europäische Finanzmarktaufsicht habe eine veränderte Risikobetrachtung zur Folge gehabt und stelle den bedeutendsten integrationspolitischen Schritt der letzten Zeit dar. Sie habe makropotentielle Risiken stärker in den Mittelpunkt gerückt und den Fokus auf mehr haftendes Kapital und ausreichende Liquidität gelegt. Zur Implementierung der Bankenabwicklungsmechanismen betonte Kampeter, dass die Wiederherstellung von Eigentümerverantwortung an erster Stelle stehe: „Bail In ist in und Bail Out ist out". Es gehe weiter darum, die Kette zwischen Banken und Staaten aufzulösen und das neue Paradigma fortzuentwickeln. Der Grundgedanke der Kapitalmarktunion aus dem EU-Grünbuch - als mögliche Ergänzung zu bewährtem 3-Säulen-System - sei richtig, denn es gehe darum, die Finanzierungsmechanismen zu erweitern. Der Kapitalbedarf könne durch ein allein bankenfinanziertes System nicht gedeckt werden. Es müsse vielmehr ein Ordnungsrahmen geschaffen werden, der deutlich mache, dass eine expansive und schuldenbasierte Wachstumsstrategie zweifelhaft sei; jegliches Wachstum müsse kapitalgetragen sein, so Kampeter.

Professor Dr. Martin Hellwig, Direktor, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern: „Die Symbiose von Staat und Banken als ordnungspolitisches Problem"

Hellwig mahnte in seinem Vortrag stärkere Haftung und mehr Eigenkapital der Banken an. Er gab zunächst einen historischen Überblick über das Verhältnis von Staat und Banken. Von den Fuggern über die Medici sei bis heute eine enge Verquickung von Staat und Banken gegeben. Selbst die Staatshilfen für Griechenland habe den europäischen Banken Gelegenheit gegeben, ihre Griechenlandanleihen zu verkaufen. Erst 2011 habe die EZB ein neues Programm geschaffen und infolge der Bankenunion den griechischen Banken auferlegt, keine Kredite mehr (an andere Banken) zu vergeben. Zuvor seien im Zuge der Währungsunion laufende Kredite durch Kredite anderer Banken ersetzt worden.

Die Tradition der Staatsfinanzierung durch Banken bringe generell eine Art finanzieller Repression und Niedrigzinsen für Anleger sowie Kreditknappheit mit sich. In Deutschland falle ein Teil des Bankensystems unter die Kategorie der „Daseinsvorsorge", wodurch auch politische Zwecke mitfinanziert würden. Ordnungspolitisch sei dies problematisch, da dadurch die Haushaltshoheit der Parlamente umgangen und die Kosten der Staatstätigkeit nicht offen gelegt würden. Problematisch sei weiterhin, dass der Staat Risiken eingehe. So habe die Abwicklung der West LB den Steuerzahler 18 Mrd. EUR gekostet. Die Kosten der Bankenrettung hätten insgesamt zu hohen Verlusten für die Steuerzahler und zu einer Kapitalvernichtung sondergleichen geführt, die einer Sparerenteignung gleichgekommen sei. Wachstumsraten entstünden - bis heute - durch eine Erhöhung der Verschuldung. Nach wie vor seien die Eigenkapitalquoten der Banken zu gering. Ein EXIT für Banken, die kein Geld mehr verdienten, gebe es förmlich nicht. Der Bestand der Landesbanken sei sogar von den Ländern garantiert. Zu große Banken wären „too big to fail" und errichteten künstliche Marktaustrittsbarrieren. Die Finanzkrise sei - so Hellwig - nicht allein das Ergebnis einer Immobilienblase gewesen, sondern gründe sich auch auf hohe Verschuldung und enge  Vernetzung. Bislang sei noch keine Lösung bei einigen kritischen Problemen in Sicht. Der „Run" auf die Geldmarktfonds sei ungebrochen. Es fehle an einer ausgewogenen Risikogewichtung der Anlagen, und Banken fürchteten schärfere Eigenkapitalquotierungen. Die Europäische Kommission sei mit ihrer Beihilfenkontrolle auch kein richtiges Korrektiv, da damit überfordert. Die Politik müsse umdenken und auf der Ebene der Bestandsgrößen gegensteuern.

Prof. Dr. Daniel Zimmer, Universität Bonn, Vorsitzender der Monopolkommission: „Die Bankenunion: Ein level playing field für Finanzinstitute?"

Zimmer referierte, dass sich das letzte (XX.) Hauptgutachten der Monopolkommission im Schwerpunkt mit den Finanzmärkten befasst habe und fragte nach dem Stellenwert des Wettbewerbs auf den Finanzmärkten. In der Finanzkrise seien zwar viele Banken gestützt worden, die Europäische Kommission habe jedoch mit der neuen Bankenmitteilung im Jahr 2008 schnell und umsichtig reagiert und mittels Einzelfallentscheidungen Staatshilfen nur gegen marktnahe Gegenleistungen genehmigt, die so wenig wettbewerbsverfälschend wie möglich gewesen seien.

Es sei im Übrigen davon auszugehen, dass Institute, die von besonderer Bedeutung seien, Vorteile im Wettbewerb hätten, beispielsweise durch implizite Garantien, die es ihnen ermöglichten, sich günstiger zu refinanzieren. Studien besagten weiter, es sei nach wie vor vom Fortbestand dieser impliziten Staatsgarantien und damit von Wettbewerbsvorteilen auszugehen. Die neuen Regulierungsansätze hätten daran nichts geändert. Dieser Problematik könne man durch eine „konstruktive Mehrdeutigkeit" (constructive ambiguity) begegnen, d. h. es sei im Übrigen davon auszugehen, dass Institute, die von besonderer Bedeutung seien, Vorteile im Wettbewerb hätten, beispielsweise durch implizite Garantien, die es ihnen ermöglichten, sich günstiger zu refinanzieren. Studien besagten weiter, es sei nach wie vor vom Fortbestand dieser impliziten Staatsgarantien und damit von Wettbewerbsvorteilen auszugehen. Die neuen Regulierungsansätze hätten daran nichts geändert. Dieser Problematik könne man durch eine „konstruktive Mehrdeutigkeit" (constructive ambiguity) begegnen, d. h. es solle nicht zu explizit im Vorhinein ankündigt werden, welche Institute vom Staat aufgefangen werden würden. Im Fall Lehman Brothers sei diese Strategie jedoch ins Wanken geraten, da die Insolvenz der Bank das Problem erst richtig entfacht und Kettenreaktionen und „Rettungsorgien" ausgelöst habe. Dies habe das Ende der „konstruktiven Mehrdeutigkeit" bedeutet. Nach 2008 habe man davon ausgehen können, dass systemrelevante Institute gerettet werden würden.

Nach der Bankenunion sollte durch die Wiedereinführung des Haftungsprinzips alles anders werden. Unterstützend sollten drei Elemente wirken: ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus (SSM), ein Abwicklungsmechanismus (SRM) und die Harmonisierung der Einlagensicherung (BRRD). Bei einer Bankenabwicklung habe man nun die Auswahl zwischen einer ganzen Reihe von Instrumenten seitens der handelnden Akteure. Hierzu zähle auch die Übertragung von Vermögenswerten. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit zu einem Bail In unter verstärkter Beteiligung von Gläubigern und Management, welche die Folgen einer Bankinsolvenz tragen sollten. Es gebe aber auch Einschränkungen und Ausnahmen - Gläubiger würden zum Teil weitgehend geschont. So seien Einlagen im Umfang von bis zu 100.000 EUR von Einlagensicherungssystemen gedeckt. Auch Fremdkapitalgeber seien teilweile vor einem Bail In geschützt. Hinzu käme die Möglichkeit für Einzelfallentscheidungen und -abwägungen mit weichen und unbestimmten Kriterien (z. B. Art. 27 Abs. 5 SRM-Verordnung); diese würden „ganze Scheunentore" öffnen. Hinzu komme, dass Abwicklungsfonds nur mit Mitteln von 55 Mrd. EUR ausgestattet seien und damit schnell erschöpft sein könnten, wenn mehrere große Institute insolvent werden sollten. Das Ziel sollte künftig „konstruktive Eindeutigkeit" (constructive unambiguity) dahingehend sein, dass es jedenfalls keine Rettung zugunsten von unsorgfältig handelnden Geschäftsleitern und Gläubigern mehr geben werde.

„3-Säulen-Modell: Garant für Stabilität oder Hindernis für Konsolidierung?"

Dr. Michael Kemmer, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied, Bundesverband deutscher Banken, wies darauf hin, dass Deutschland nicht allein aufgrund des 3-Säulen-Modells (private, öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Bankenstruktur) gut durch die Krise gekommen sei. Begünstigend seien die Vielfalt der Geschäftsmodelle und die verschiedenen Größenordnungen im Bankensystem gewesen. Allerdings bestehe stets die Gefahr, dass der öffentlich-rechtliche Sektor durch eine Finanzkrise in eine Risikolage geraten könne. Eine andere Frage sei, ob die staatsgetragene Sparkassengruppe überhaupt noch einen öffentlich-rechtlichen Sonderstatus brauche, der auch von der Monopolkommission mit einem Fragezeichen versehen worden sei. Es sei zwar so, dass das deutsche Bankengefüge für KMU unverzichtbar, aber für die deutsche Exportwirtschaft insgesamt nicht ausreichend sei. Es fehle vor allem an größeren international wettbewerbsfähigen Kreditinstituten. Private Banken würden 80 Prozent der Auslandsniederlassungen stellen; dies sei für die deutsche Wirtschaft enorm wichtig. Der öffentliche Auftrag der Sparkassen bestehe hingegen in der kreditwirtschaftlichen Versorgung der Bevölkerung und des Mittelstandes, in der Förderung des Sparsinns und in der Versorgung mit Finanzdienstleistungen für Kommunen. Man müsse die Frage stellen dürfen, wie aktuell dieser Auftrag noch sei. Voraussichtlich würde eine Wegnahme des öffentlich-rechtlichen Sonderstatus das Allgemeinwohl nicht beeinträchtigen, sondern hätte auch positive Effekte, etwa günstigere Produkte. Im Übrigen sei die Digitalisierung die Herausforderung der Zukunft. Gesetze, die es der Kommune untersagten, Sparkassen zu verkaufen, seien indes nicht notwendig; es wäre der Marke „Sparkasse" auch keineswegs abträglich, wenn sie auch private Eigentümerstrukturen hätte. Hinzu komme, dass eine demokratische Legitimation der Geldverwendung wünschenswert wäre.

Insgesamt bestehe in der Bankenwelt viel Veränderungsbedarf. Es werde aufgrund der Niedrigzinspolitik säulenübergreifend um Konsolidierung (Reduzierung von Filialen) gehen, um bei steigender Regulatorik und sinkenden Erträgen noch profitabel sein zu können.

Dr. Michael Wolgast, Chefvolkswirt, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, stellte einleitend in Frage, ob es überhaupt ein 3-Säulen-Modell gebe. Seiner Meinung nach existiere eher ein „2-Schichten-Modell" (vier Großbanken auf der einen, Regionalbanken auf der anderen Seite). Auch die Bundesbank unterscheide eher nach Bankengruppen: Großbanken, Landesbanken, Genossenschaftsbanken, Sparkassen usw. Deutschland sei nicht anders als andere Staaten, es gebe insbesondere keinen „Sonderweg". Zwar werde der öffentliche Einfluss oft als deutscher Sonderweg interpretiert, das Verhältnis von Staat und Bank sei aber nach Krise neu diskutiert worden. Entscheidender als die öffentliche Rechtsform seien zudem andere Kriterien wie die Marktstruktur, Größenverhältnisse, regionale Orientierung und die Existenz nicht (primär) ertragsorientierter Rechtsformen.

Der Konsolidierungsbedarf sei zumindest in Deutschland kein übermäßiger. Während man für Europa berechtigterweise die Frage stellen könne: „Is Europe overbanked?", gelte dies nicht für Deutschland. Deutschland sei auch nicht „overbranched". In Deutschland sei Konsolidierung schon seit vielen Jahren an der Tagesordnung. Zwar könne man kaum tragfähige „Garantien" für Stabilität einziehen, allerdings funktioniere das deutsche Bankensystem seit vielen Jahrzehnten vergleichsweise stabil. Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise seien in Deutschland vergleichsweis moderat ausgefallen. So habe es Deutschland in den Krisenjahren ab 2008 geschafft, schnell aus der Wachstumskrise herauszukommen, insbesondere mit Hilfe der Kurzarbeiterregelung. Außerdem hätten die Hausbanken die Geschäfte weiter finanziert (auch die Sparkassenkredite seien nahezu gleich geblieben), während die Kredite der Großbanken eingebrochen seien, was an den unterschiedlichen Eigentümerstrukturen liege. Aus Gründen der Stabilität sei es daher gut, ein vielfältiges Bankensystem zu haben. Auch der Internationale Währungsfond (IWF) setze sich ein für „strenght of local financial systems" und „local investor bases", um etwaige Auswirkungen von Schocks an den Finanzmärkten abzufedern; dies sei ein Paradigmenwechsel. Der öffentliche Auftrag sei mithin zeitgemäß, die bisherige Arbeitsteilung habe sich bewährt und sei in Wirtschaft und Gesellschaft akzeptiert.