24.03.2015

Kurzbericht zum 48. Innsbrucker Symposion des FIW

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FIW
48. FIW-Symposion

Das diesjährige Innsbrucker Symposion des FIW fand vom 18. Februar bis zum 20. Februar 2015 statt. Die Veranstaltung stand unter dem Leitthema „Marktwirtschaft 2015 und das Wettbewerbsprinzip" und bot zum 48. Mal führenden Vertretern der Wirtschaft, Anwaltschaft, Verwaltung und Justiz ein Forum über Fragen der Wirtschaftsverfassung und der Wettbewerbspolitik. Zur Einstimmung auf die Tagung fand am Vorabend der Tagung ein Empfang auf Einladung der Österreichischen Industriellenvereinigung statt.

Donnerstag - 19.02.2015

Der Vorstandsvorsitzende des FIW, Dr. Gernot Schaefer, begrüßte die Teilnehmer. Er betonte in seinen einführenden Worten, dass Wettbewerb bedauerlicherweise keine Lobby habe. In weiten Teilen der öffentlichen Meinung und in der Bevölkerung scheine das Wort „Wettbewerb" eher Unwohlsein auszulösen. Gerade in der jüngsten Finanz- und

Wirtschaftskrise habe sich wieder ein tiefes Misstrauen gegenüber der Sozialen Markt-wirtschaft und dem Wettbewerbsprinzip als einem seiner Fundamente gezeigt. Auch ließen Griechenland, Frankreich und Italien die Prinzipien des Wettbewerbs und der freien Marktwirtschaft völlig außer Acht. Dabei schaffe nur Leistungsgerechtigkeit die ökonomische Grundlage für das Solidaritätsprinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Schaefer erkannte an, dass das Bundeskartellamt und das Bundeswirtschaftsministerium das Wettbewerbsprinzip verteidigten. Notwendig sei eine Rückbesinnung der Gesellschaft auf die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft und der Freiheit des Marktes. Dem FIW müsse es ebenfalls gelingen, den Wettbewerbsgedanken wieder in den Köpfen der Menschen zu verankern, um den Erkenntnisprozess und die Perspektiven des Wettbewerbsrechts weiter zu befördern, die insbesondere auch im digitalen Zeitalter. In der digitalen Welt entstünden Geschäftsmodelle und Unternehmen, die in wenigen Jahren Entwicklungsschritte durchliefen, für die beispielsweise Familienunternehmen früher mehrere Generationen Zeit gehabt hätten. Dies sei „Fluch und Chance" zugleich. Für die Zukunft des FIW bedeute dies, dass das Eintreten für Wettbewerbsprinzip wichtiger denn je sei; dementsprechend werde auch das FIW agieren.

Danach begrüßte die Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer die Teilnehmer und wünschte „einen befruchtenden Austausch in unruhigen Tagen". Griechenland stehe symptomatisch auch für andere Länder und hielte derzeit die Welt in Atem. Wissenschaft und Politik seien manchmal nicht vereinbar, die Meinung der Öffentlichkeit labil und volatil. Oppitz-Plörer dankte dem FIW, dass es Innsbruck so lange die Treue gehalten habe.

Der Landtagspräsident, ehemaliger Landeshauptmann von Tirol, DDr. Herwig van Staa richtete dem Teilnehmerkreis im Anschluss die Grüße des Parlaments und des Landeshauptmanns aus.  Er erklärte, dass Wettbewerb eine zentrale Aufgabe der Europäischen Union sei. Als Vizepräsident des Ausschusses der Regionen widme van Staa sich zudem der Korruptionsbekämpfung und politischen Ethik. Korruption gebe es überall in Europa, allerdings verstärkt derzeit in Russland und der Ukraine. Die griechische Tragödie habe ihren Anfang in der Steuerungerechtigkeit genommen. Manche Wunschvorstellungen der Politik führten zu gigantischen Wettbewerbsverzerrungen. Hier nannte van Staa das Beispiel der z. B. Energiewende. Die Trennung von Erzeugung und Transport von Energie (Unbundling) sei aus Sicht der Regionen nicht nachvollziehbar.

 Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, Bonn: „Kommunikationsmärkte in der digitalen Welt zwischen Regulierung und Wettbewerb"

Mundt warf zunächst Fragen auf, zum einen ob die digitale Wirtschaft einen Regulierungsrahmen erfordere und zum anderen, ob eine Regulierung in anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Verbraucherschutz oder Datenschutz notwendig sei. Diese Formen der Regulierung seien auseinanderzuhalten. Auch sei zu klären, inwieweit traditionelle gesetzliche Regelungen (z. B. Handelsrecht, ZPO) verändert werden müssten. Die Antworten auf diese Fragen hingen damit zusammen, inwieweit die Regelungen der analogen Welt auf die digitale Welt passen würden. Die Tragweite dieser Fragen sei in etwa vergleichbar mit der industriellen Revolution zu Beginn 19. Jahrhunderts und betreffe sämtliche Bereiche des Lebens: In Zeitraffung werde der Einzelhandel zum Onlinehandel, für die Verlage stellten Fragen nach der Buchpreisbindung, die eventuell erweitert werden müsste. In Frage gestellt würden auch das Urheberrecht bei Zeitschriften, das Taxigewerbe durch neue Anbieter wie Uber sowie Banken durch moderne Formen des Internetbanking. Auch neue Sicherheitsfragen und Haftungsfragen seien die Folge. Die digitale Umwälzung bringe es mit sich, dass „kein Stein auf dem anderem" bleibe, so Mundt. Schon jetzt sei zu sehen, dass Kundenbeziehungen auf Intermediäre (Plattformen) übergingen. Duale Netzwerkeffekte führten zu einer bestimmten Unternehmensgröße, und die digitalen Unternehmen bauten „echte Schätze" in Form ihrer Datensammlung auf. Mundt zog ein erstes Fazit: Die Regeln aus der analoge Welt passten nicht 1:1 auf die digitale Welt.

Mundt ging insbesondere näher auf den Telekommunikationsmarkt ein, der exemplarisch für Neuerungen stehe. Auch hier revolutioniere die digitale Welt das Umfeld, und es herrsche „Goldgräberstimmung". Es sei heute selbstverständlich, auch auf der Zugspitze oder dem Mont Blanc erreichbar zu sein. Industrie 4.0. führe zum Smart Home und zum Connected Car. Grundvoraussetzung für das digitale Wachstum seien dabei schnelle Internetverbindungen; es bestünden höhere Anforderungen an den Datenverkehr und Breitbandanschlüsse. Es frage sich, inwieweit sich die klassischen Telekommunikationsanbieter noch behaupten könnten. Während seinerzeit im Zuge der Liberalisierung eine Konvergenz von Märkten hergestellt wurde, gingen heute Märkte zunehmend ineinander über. So kannibalisiere Messenger SMS, Skype ersetze Bildtelefonie und Kabelanbieter böten eine hohe Bandbreite in abgeschriebenen Netzen. Hieraus resultiere eine Zwickmühle zwischen Investitionsbedarf auf der einer Seite und scharfem Wettbewerb auf der anderen Seite. Die Ertragskraft auf den etablierten Märkten sei oft unzureichend, Skaleneffekte nicht möglich und Investitionen erschwert.

In der Öffentlichkeit würden oft vier Kernforderungen für Veränderungen laut. Erstens sollte die Fusionskontrolle weniger stringent sein. Dieser Forderung erteilte Mundt eine Absage. Marktabgrenzungen seien nach wie vor notwendig, auch stünde die Fusionskontrolle einer Marktkonsolidierung nicht wirklich entgegen.

Die zweite Forderung nach einem weniger strikten Regulierungsrahmen im Telekommunikationsmarkt werfe weitere Fragen auf, so Mundt. Notwendig sei vielmehr ein Paradigmenwechsel, der stärker Investitionen in den Fokus nimmt. Eine weniger strenge Regulierung gehe immer auf Kosten der Wettbewerber. Den etablierten Versorger (Incumbent) weniger streng zu regulieren, könnte zudem kleinere Wettbewerber benachteiligen, die auf Vorleistungen angewiesen seien.  

Ein dritter Vorschlag ziele auf die Beteiligung der OTTs (Over-The-Top-Anbieter) an der Finanzierung der Infrastruktur. Die OTTs (z. B. Youtube, Netflix, RTL), generierten hohe Umsätze und nutzten die Infrastruktur der TK-Unternehmen, die dafür aber keine Gebühren erhielten. Hier würden Fragen der Netzneutralität aufgeworfen. Eine zu strikte Neutralität könne sowohl Freiheit als auch Investitionen begrenzen. Wenn Transportkapazitäten knapp seien, könne aus ökonomischer Sicht der Zugang zur Infrastruktur nach Entgelten gestaffelt werden; in jedem Fall müsse man aber Marktverschlusswirkungen entgegenwirken.

Die vierte Forderung ziele auf die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für die Internetunternehmen und die Telekommunikationsbranche. Die Regulierung des TK-Sektors müsse selbst europäisch werden. Die derzeit 28 verschiedenen Regulierungssysteme bei gleichzeitig wenigen Markteintritten in diesem Sektor erschwerten die europäische Konsolidierung.

Mundt erwähnte noch die mit den Telekommunikationsmärkten verwandten Medienmärkte, auf denen der TK-Sektor ebenfalls aktiv sei. Dass dieses Märkte völlig unterschiedlichen Regeln unterlägen, beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit, z. B. im Steuerrecht. Hier habe sich die Europäische Union Abhilfe auf ihre „Wettbewerbsfahne" geschrieben.

Politisch schwierigstes Thema sei der Datenschutz. Daten seien der „Schatz" der IT-Unternehmen. Nicht jedes Unternehmen dürfe Daten anhäufen. Während Google unbegrenzt Daten sammle, unterlägen die Telekommunikationsunternehmen den strikten Vorgaben des TKG. Mundt sprach sich gegen den Abbau des Datenschutzes aus. Man solle jedoch darüber nachdenken, wie man das Level-Playing-Field angleichen könne.

Auch im Hinblick auf die Anwendung des Wettbewerbsrechts seien noch viele Fragen ungeklärt, z. B. im Hinblick auf den Umgang mit zweiseitigen Märkten, auf denen „nur auf einer Seite Geld fließt", während der Verbraucher kein Geld zahlt, dafür aber seine Daten hingebe. Es sei noch ungeklärt, ob Daten einen monetären Vorteil und welche Marktmacht sie verschaffen könnten. Problematisch sei auch der Umgang mit den durch das Internet geschaffenen rein faktischen Beziehungen ohne zugrunde liegendes Vertragsverhältnis. Unklar sei, wie weit das Diskriminierungsverbot reiche, wenn der Marktbeherrscher seine eigenen Produkte bevorzuge, wenn man wie im Internetzeitalter oft auf eine bestimmte Plattform angewiesen sei. Plattformen seien zwar keine essential facility, da sie duplizierbar seinen. Allerdings sei die Duplizierbarkeit aufgrund umfangreicher Datensammlungen in vielen Fällen nur in der Theorie möglich. Es schlössen sich weitere rechtstechnische Fragen an, wie z. B. ob die Aufgreifschwellen für die Fusionskontrolle geändert werden sollten.

Aufgrund der digitalen Umwälzungen müsse die Wirtschaft sich sehr stark auf neue Verhältnisse einstellen. Die Politik sollte das bewährte Instrumentarium der Wettbewerbsbehörden nicht kleinreden. Das Wettbewerbsrecht sei sogar besonders flexibel, um die digitale Revolution zu erfassen, weil es zu zutreffenden Marktabgrenzungen komme. Mundt sagte, dass dies keineswegs ausschließe, sich über verfeinerte Instrumente Gedanken zu machen und gesetzliche Regelungen auf ihre Anwendbarkeit zu überprüfen. Man solle jedoch „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten". Der „Wildwuchs" in der digitalen Welt beinhalte gleichzeitig ein großes Innovationspotential; bei sämtlichen Eingriffen gelte es daher, die Balance zu halten.

Alexander Italianer, Generaldirektor, Generaldirektion Wettbewerb, Brüssel: „Market opening: Regulation  vs. Competition?"

Italianer betonte zunächst, dass Wettbewerb und das europäische Sozialmodell eng miteinander verknüpft seien. Dies sei bereits in Artikel 3 des Vertrags der Europäischen Union angelegt, wonach eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft als Unionsziel definiert werde. Italianer stellte weiter fest, dass es keinen Widerspruch zwischen Wettbewerb und einer sozialen Marktwirtschaft gebe. Man benötige Regeln, damit die freie Marktwirtschaft nicht kontraproduktiv wirke. Auf der anderen Seite seien Wettbewerb und Regulierung ebenfalls eng miteinander verbunden. In einigen Bereichen herrsche kein Wettbewerb vor, so z. B. im Verteidigungs- oder Sicherheitssektor; hier verbliebe die Verantwortung beim Staat, der das öffentliche Wohl dort besser befördern könne. Auch bei natürlichen Monopolen gebe es keinen Wettbewerb auf dem Markt. Allerdings könne immer noch ein Wettbewerb um den Markt existieren.

Italianer verglich den Wettbewerb mit den Segnungen eines „Dschinn aus der Flasche". Wettbewerb werde eingeführt, um Märkte zum Wohle des Verbrauchers zu gestalten, was mit niedrigeren Preisen, einem besseren Leistungsangebot oder innovativen Produkten einhergehe. Gleichzeitig müsse man darauf achten, dass jener nicht außer Kontrolle gerate, was mit Regulierung ex-ante und ex-post erreicht werde. Die Kartellrechtsdurchsetzung sein generell ein adäquates Vehicle, um Wettbewerb zu schützen. Regulierung sei oft zuvor nötig, um Märkte erstmals dem Wettbewerb zu öffnen. Marktöffnung führe nicht notwendigerweise zu Privatisierung, da es hierfür keine rechtliche Verpflichtung gebe.

Italianer richtete sodann seinen Blick auf die Sektoren Eisenbahnen, Telekommunikation, Energie und Flugverkehr. Italianer schilderte zunächst wie der Eisenbahnsektor für den Wettbewerb geöffnet wurde. Die Infrastruktur sei vom eigentlichen Verkehr getrennt worden, um möglichst vielen Anbietern Zugang zur Infrastruktur zu ermöglichen. Diese Marktöffnung sei durch drei aufeinanderfolgende Eisenbahnpakete erzielt worden. Allerdings seien dadurch noch kein europäischer Markt oder offene nationale Märkte geschaffen worden. Viele nationale Märkte seien noch immer abgeschottet, nationale Eisenbahndienste würden 94 Prozent des gesamten europäischen Zugverkehrs darstellen (mit Ausnahme von Schweden und dem Vereinigten Königreich). Um den Wettbewerb sicherzustellen, seien 25 Regulierungsbehörden in Europa eingerichtet worden. Darüber hinaus habe die Europäische Kommission einige wettbewerbsbeschränkende Fälle von vertikalintegrierten Konzernen aufgegriffen. Die europäische Regulierung habe die Märkte geöffnet. Die Wettbewerbsdurchsetzung sorge dafür, diese Märkte offen zu halten. Um den Wettbewerb weiter zu verbessern habe die Kommission 2013 ein viertes Eisenbahnpaket vorgelegt, in dem sie vorgeschlagen habe, die nationalen Märkte insgesamt für den Wettbewerb zu öffnen.

Auf der anderen Seite sei im Telekommunikationssektor ein klarer Erfolg zu verzeichnen. Der Markt sei durch verschiedene Legislativpakete von 1988 bis 1998 geöffnet und vollständig liberalisiert worden. Im Festnetz sei Regulierung notwendig gewesen, um die Märkte zu öffnen. Im Mobiltelekommunikationssektor würde Wettbewerb durch die Durchsetzung des Kartellrechts gewährleistet. Eine Zugangsregulierung sei im Mobilfunkbereich nicht notwendig gewesen, da der Wettbewerbsvorteil der etablierten Betreiber nicht so stark gewesen sei, dass sich nicht neue Wettbewerber hätten behaupten können. Wie im Eisenbahnbereich verstärkten sich Regulierung und Kartellrechtsdurchsetzung gegenseitig. Auch würden sich kürzlich aufgegriffene Fälle auf das Wettbewerbsverhalten der etablierten Betreiber beziehen, welche Wettbewerber von ihren Netzen fernhielten oder die Gewinnmargen einschränkten. Insgesamt sei die Wettbewerbssituation im Telekommunikationssektor äußerst zufriedenstellend. Die Marktanteile der etablierten Betreiber sänken von Jahr zu Jahr; derzeit lägen sie bei 42 Prozent durchschnittlich. Im Mobilfunksektor könnten die Verbraucher unter einer verschiedenen Anzahl von Betreibern wählen. Die Dienstleistungen seien vielfältig und würden zu günstigen Preisen angeboten. Feste Breitbandverbindungen seien derzeit zu 61 Prozent in der EU-Bevölkerung erhältlich. Wettbewerb habe hier Investitionen angespornt. Es gebe zwar einen offenen Telekommunikationsmarkt, jedoch sei dieser nicht europäisch. Die meisten Wettbewerbsvorteile in diesem Sektor würden sich nur national auswirken. Bislang fehlten weitere Fortschritte auf dem Binnenmarkt.

Italianer zog auch Parallelen zum Energiemarkt, der in den 1990er Jahren mit Hilfe verschiedener legislativer Pakete seitens der EU geöffnet worden sei. Hier habe der Fokus zunächst auf der Zugangsregulierung gelegen. Allerdings seien auch im Energiesektor die etablierten Betreiber weiterhin marktbeherrschend auf nationalen Märkten tätig, was Drittanbietern erschwere, in den Wettbewerb einzutreten. 2009 habe das dritte Energiepaket verschiedene Maßnahmen eingeführt, wonach Unternehmen die Energieerzeugung und Verteilung vom Netzwerk und Übertragungsaktivitäten abkoppeln mussten. Auch in diesem Sektor habe die Kartellrechtsdurchsetzung die Regulierung komplementiert. Der EU-Binnenmarkt sehe aber auch hier noch aus. Es werde zudem eine Energieunion benötigt, um Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit zu verbessern. Erneuerbare Energien müssten noch besser in den Markt integriert werden.

Zuletzt ging Italianer noch auf den Luftverkehrssektor ein, den er als das bislang beste Beispiel für eine gelungene Marktöffnung anführte. Der Luftverkehrssektor sei vollständig dereguliert und europäisch. Dies sei ebenfalls das Werk der EU, die verschiedene Regulierungspakete (bis 1992) verabschiedet habe. Beschränkungen an den Eigentumsverhältnissen bei Fluglinien seien aufgehoben worden. Fluglinien könnten nun ihre eigenen Preise festsetzen. Zur Sicherstellung von Wettbewerb sei es ebenfalls notwendig gewesen, die Annex-Dienstleistungen von denen der Luftverkehr abhänge, zu regulieren. Dies habe Versicherungserfordernisse, Flughafengebühren, Bodendienstleistungen, Vergabe von Slots etc. betroffen. In 2008 sei die Verordnung Nr. 1008 verabschiedet worden, die wesentliche verbleibende Wettbewerbsprobleme adressiert habe. Die Anzahl der Flughäfen sei daraufhin angestiegen, und die Anzahl der grenzüberschreitenden Flugrouten habe sich verdoppelt. Darüber hinaus habe die Liberalisierung Billigflieger ermöglicht. Diese preisgünstigen Wettbewerber hätten 2011 bereits einen Marktanteil von 42 Prozent gehabt, der damit höher als bei den etablierten Betreibern gelegen habe (zuvor nur 1,5 Prozent in 1992). Hieran zeige sich auch eine enge Verbindung zwischen Wettbewerb und Investitionen. Die preisgünstigen Wettbewerber hätten auf die etablierten Betreiber Druck ausgeübt, neue Routen zu eröffnen, die Flugfrequenz zu erhöhen und innovative neue Dienstleistungen wie self-check-in, fast-track-security und e-tickets einzuführen. Italianer schloss mit der Bemerkung, dass der „Dschinn des Wettbewerbs" nicht mehr zurück in die Flasche gezwungen werden solle, da der Wettbewerb immer noch der beste Weg zu mehr Wohlstand sei. Allerdings sollten die Marktkräfte nicht vollständig unkontrolliert wirken. Regulierung habe die Aufgabe, ein level-playing-field zu garantieren. Die EU werde auch weiterhin durch eine Kombination von Regulierung und Wettbewerb die Öffnung europäischer Märkte anstreben.

Bruno Lasserre, Präsident, Autorité de la Concurrence, Paris: „The new Challenges of Competition Enforcement in the Digital Age"

Lasserre legte den Fokus seines Vortrags zunächst auf die hauptsächlichen Wettbewerbsprobleme, die die Digitalwirtschaft aufwerfe, welche eine Folge der Kollision zwischen Inhalten und der Infrastruktur sei. Er betonte, dass Innovationszyklen in der Digitalen Wirtschaft einem sehr schnellen Rhythmus folgten. Neue Technologien ersetzten alte, und etablierte Marktanbieter würden von ihren Positionen gestoßen. Staatliche Eingriffe müssten in jedem Fall zielgerichtet und verhältnismäßig sein, um Effektivität sicherzustellen, ohne Innovationen zu behindern. Wettbewerb sei stets innovationsgetragen. Diese Leitidee gelte in der Digitalen Wirtschaft eventuell noch mehr als in anderen wirtschaftlichen Sektoren.

Weiter untersuchte Lasserre die Herausforderungen für Wettbewerbsbehörden in der Anwendung des bisherigen traditionellen Wettbewerbsinstrumentariums. Es stelle sich die Frage, ob die Wettbewerbsbehörden in der Lage seien, den Herausforderungen der Digitalwirtschaft mit den bestehenden Regelungen begegnen. In der Vergangenheit habe es eine klare Unterscheidung zwischen Inhalt und Infrastruktur gegeben, die nicht mehr gelte. Der Zwiespalt zwischen Inhalt und Infrastruktur rühre an die Debatte über die Netzneutralität. Unklar sei, wer für welche Leistungen aufkommen müsse, wenn das Infrastrukturunternehmen erhebliche Investitionen tätige und die Over-the-Top-Player die Infrastruktur nutzten und mit ihren Inhalten bevölkerten. Man müsse klar konstatieren, dass die Europäische Union einen vorrangigen Zugang zum Internet erlaube und auf diese Weise über Fragen der Netzneutralität entscheide. Damit gebe es längst Inhalte erster und zweiter Klasse.

Herausforderungen ergäben sich auch durch Zusammenschlüsse zwischen Infrastrukturunternehmen und Over-the-Top-Playern sowie Plattformen. Eine Konsolidierung der Märkte durch Zusammenschlüsse stellt aktuell nationalen Kartellbehörden vor große Herausforderungen, wie beispielsweise bei der Fusion von Facebook und WhatsApp. Konsolidierungen müssten genau beobachtet werden, um eine Marktabschottung zu verhindern. Kartellbehörden seien bisher in der Lage gewesen, relevante Abhilfemaßnahmen zu identifizieren, um Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern, die entweder den Verbraucher schädigen oder Innovationen einschränken. Lasserre hob hervor, dass nationale Verbraucher nicht den Preis für internationale Zusammenschlüsse zahlen sollten. Auch innovationsfreundliche Zusammenschlüsse, bei denen die Zusammenschlussbeteiligten konvergierte Produkte anzubieten in der Lage seien, würden trotzdem eine Reihe von Fragen aufwerfen, z. B. hinsichtlich der Höhe von Wechselkosten. Hier gelte es zu eruieren, wie ein Wechsel seitens der Kunden weiter begünstigt werden könne. Lasserre stellte darüber hinaus in Zweifel, ob es eine Verbindung zwischen einem Zusammenschlussvorhaben und einem Investitionsanreiz bestehe. Es sei fraglich, ob ein Monopol genügend Anreize biete, weiter zu investieren. Lasserre appellierte an die Kartellbehörden, selbst innovativ zu sein, keine Trennlinie zwischen Infrastruktur und Inhalt zu ziehen, da diese zunehmend ineinander übergehen würden. Verschiedene Schadenstheorien müssten miteinander in Einklang gebracht werden. Abhilfemaßnahmen wie Verhaltensmaßnahmen und strukturelle Maßnahmen müssten zielgerichtet sein. So seien Entflechtungen nicht sinnvoll, wenn es für die Vermögenswerte keine Käufer gebe. Darüber hinaus sei es wichtig, die Effizienz von Abhilfemaßnahmen mit Hilfe einer ex-post-Evaluierung nachzuhalten.

Die Besonderheit von Internetplattformen wie Google, eBay und Amazon bestünde gemäß Lasserre in der Kombination von vier Effekten: 1. Netzwerkeffekte, 2. zweiseitige Märkte, 3. der „winner-takes-it-all"-Effekt sowie 4. vertikale Integration, wenn Plattformen zugleich auch Intermediäre seien. Im letzten Fall bestehe eine Missbrauchsgefahr, wenn die eigenen Leistungen gegenüber den Angeboten der Wettbewerber bevorzugt würden. Weil Plattformen alle vier Effekte in sich vereinten, sei es für Wettbewerber ungleich schwerer, sich gegenüber ihnen auf diesem Markt zu behaupten. Wenn man solche Plattformen regulieren wolle, müsse man sich darauf einstellen, dass die Plattformen sehr schnell neue Strategien entwickeln könnten, um die Regulierung zu umgehen. Im Hinblick auf offene und geschlossene Systeme (open and closed systems) böte die einmal getroffene Entscheidung für ein „Öko-System" (eco-system) keinen besonderen Anreiz zum Wechseln, wenn es keinen lebhaften Wettbewerb zwischen den Plattformen gebe. Hieraus resultierten weitere Herausforderungen.

Zudem sei problematisch, so Lasserre, dass die Verfahren der Kartellbehörden oft äußerst langwierig seien. Ob eine Wettbewerbsverletzung vorgelegen habe, sei oftmals erst nach mehreren Jahren feststellbar. Solche Verfahren seien ineffizient, da sich die Internetökonomie längst weiterbewegt habe. Lasserre sprach sich daher für eine größere Anwendung von Zwischenmaßnahmen aus, die die Kartellverfahrensverordnung vorsehe. Die französische Kartellbehörde habe seit 2000 mehr als 30 Zwischenmaßnahmen (interim measures) im Telekommunikationssektor oder der Internetindustrie angeordnet. Lasserre plädierte darüber hinaus für eine Harmonisierung des Standards solcher Zwischenmaßnahmen.

Professor Dr. Tomaso Duso, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW), Berlin: „Competition, Competition Policy, and Growth"

Als Ausgangspunkt für seinen Vortrag wies Professor Duso darauf hin, dass ein Konsens dahingehend bestehe, dass Wettbewerb wohlfahrtssteigernde Effekte habe, indem dieser für allokative, produktive und dynamische Effizienzen sorge. Im Fall von Marktversagen oder nicht nachhaltigem Wettbewerb werde meistens eine spezifische ex-ante-Regulierung eingeführt. Allerdings existiere auf den meisten Märkten kein Marktversagen, so Duso. In diesen Fällen brauche man dennoch eine generelle Möglichkeit zu intervenieren, wenn die Wettbewerbsregeln missachtet würden. Umgekehrt bestehe kein Konsens hinsichtlich der wohlfahrtssteigernden Eigenschaften wettbewerbsfördernder Politik. Es gebe allerdings verschiedene Studien, die die Effektivität anderer wettbewerbsfördernder Politikfelder, wie Privatisierung, Handelsliberalisierung etc., messen würden und könnten. Hingegen gebe es nur einen verschwindend geringen Beweis dafür, dass Wettbewerbspolitik sozial nutzbringende Effekte aufweise. Dies liege zum einen daran, dass Wettbewerbspolitik ein weites Feld mit verschiedenen Instrumenten sei, das sämtliche Märkte gleichzeitig betreffe. Einige Autoren schlössen daraus, dass Wettbewerbspolitik ineffektiv sei, während andere Autoren behaupteten, dass es schlicht zu schwierig sei, die Effektivität der Wettbewerbspolitik zu messen.

Duso warf daher die Frage auf, wie man Wettbewerbspolitik überhaupt messbar machen könne, angesichts dessen, dass die Wettbewerbsgesetze eine Zusammenstellung und Verboten und Verpflichtungen für Unternehmen enthielten. Damit verknüpft sei die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, für das weitere Instrumente bereit stünden. Auch wettbewerbspolitische Institutionen könnten einen Einfluss auf die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts haben. Die zweite interessierende Fragestellung bezieht sich darauf, wie Effektivität gemessen werden könne. Hier müsse man auf die Ziele der Wettbewerbspolitik rekrutieren, die darin bestünden, die Verbraucherwohlfahrt zu schützen, indem unzulässiges Verhalten bestraft würde und künftig die Abschreckungswirkung erhöht würde, wettbewerbswidriges Verhalten an den Tag zu legen. In den Augen von Duso muss Wettbewerbspolitik in der Hauptsache als Abschreckungssystem verstanden werden, wobei die Abschreckungswirkung jedoch schwer messbar sei. Generell gelte, auf der Grundlage ökonomischer Studien, dass die optimale Abschreckungswirkung determiniert werde durch die Höhe der Sanktionen, die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung und Verurteilung und der Wahrscheinlichkeit von Irrtümern. Im Zusammenhang mit diesen Faktoren spielten weitere Variablen eine gewichtige Rolle, die wiederum Einfluss auf die Determinanten hätten. Dazu gehöre die Frage nach dem Grad der Unabhängigkeit einer Wettbewerbsbehörde in Bezug auf politische oder wirtschaftliche Interessen, der Grad an Gewaltenteilung zwischen dem Ankläger und dem Richter, die Qualität der Wettbewerbsgesetze, die erwartete tatsächliche Bestrafung, die Ermittlungsbefugnisse seitens der Kartellbehörden und die Höhe und Qualität der Ressourcen einer Kartellbehörde. Das DIW habe versucht, diesen Fragen auf den Grund zu gehen und habe detaillierte Fragebögen an Kartellbehörden in 13 Rechtsordnungen versandt. Aus den Antworten habe sich ein Index für Wettbewerbspolitik ergeben, der im Journal of Competition Law and Economics im Jahr 2012 veröffentlicht worden sei. Die Datenanforderungen gegenüber den Kartellbehörden seien hoch gewesen und basierten auf 22 verschiedenen Industrien. Um Effizienz als Ergebnis von Wettbewerbspolitik messbar zu machen, habe man sich auf das Wachstum der totalen Faktorproduktivität und Arbeitsproduktivität gestützt. Das DIW-Team sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Wettbewerbspolitik einen positiven Einfluss auf die totale Faktorproduktivität und die Arbeitsproduktivität habe. Beweise seien angetreten worden, dass der messbare Effekt auch kausal sei. Wobei die Heterogenität dieser kausalen Effekte weiter analysiert worden seien. Laut Duso sei die Studie in der Lage gewesen, wichtige Dimensionen einer guten Wettbewerbspolitik zu identifizieren und diese auf der Grundlage harter Fakten zu quantifizieren. Das DIW sei in der Lage gewesen zu zeigen, dass gute Wettbewerbspolitik einen bedeutsamen und positiven Einfluss auf Effizienz und Produktivität haben könne. Dabei hinge die institutionelle Dimension der Wettbewerbspolitik von der Qualität der Wettbewerbsgesetze ab. Allerdings könne und müsse die Messbarkeit der Wettbewerbspolitik weiter verbessert werden, indem weitere Länder und bessere Daten, besonders hinsichtlich der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts, verfügbar gemacht würden. Auch gelte es, die Methodik mit Blick auf die Einbeziehung weiterer Mikrodaten zu verbessern.

 

Freitag - 20.02.2015

Dr. Jeromin Zettelmeyer, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin: „Die Rolle des Wettbewerbs in der heutigen Sozialen Marktwirtschaft"

Zettelmeyer befasste sich in seinem Vortrag mit der Rolle von Märkten und dem Verhältnis von Markt und Staat und stellte zunächst die Elemente der Wohlfahrtstheorie vor, die auf den Annahmen gründeten, dass bei vollständiger Konkurrenz die Marktgleichgewichte effizient seien, es sei denn es läge ein Wettbewerbsmangel vor. Auch sollten Effizienz und Verteilungsziele voneinander getrennt werden. Es sei wichtig, Märkte für Effizienz sorgen zu lassen; bei Umverteilung und Einkommensbesteuerung müsse man vorsichtig sein, um Effizienzen nicht zu schmälern. Die Rolle des Staates belaufe sich im Wesentlichen darauf, Verzerrungen zu korrigieren, da staatliche Intervention eine effiziente Operation des Marktes verhindere. Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung in den 1980er Jahren folgten diesem Ansatz, um die Rolle des Staates zu reduzieren und mehr Markt zu schaffen. Der diesem Modell zugrundeliegende Gedanke, dass Markt und Staat Substitute seien, entspreche dem traditionellen angelsächsischen Modell, das nicht als völlig befriedigend bezeichnet werden könne und von dem heute geltenden Ordnungsmodell abweiche.

Zettelmeyer brachte seine persönlichen Erfahrungen im Rahmen der Währungsreform im Jahr 1995 in Tajikistan ein. Ein falsch berechneter Konversionsfaktor habe einen Preisverfall zur Folge gehabt. Antworten dafür, dass die Währungsreform scheiterte, böten die Entwicklungsökonomie und Grundzüge einer neuen sozialen Marktwirtschaft, die zwar anerkenne, dass Märkte, Privateigentum und Preisstabilität notwendig seien, aber bei weitem nicht hinreichend für eine funktionierende Marktwirtschaft. Markt und Staat seien demnach vielmehr komplementär, indem Märkte marktunterstützende (staatliche) Institutionen bräuchten. Sowohl Märkte als auch staatliche Institutionen müssten vor Partikularinteressen geschützt werden. Partizipation und (gerechte) Verteilung seien zentral, sowohl als Folge einer funktionierenden Marktordnung als auch als Bedingung dafür. Zettelmeyer zog die Schlussfolgerung, dass die neue soziale Marktwirtschaft fast die alte soziale Marktwirtschaft sei, deren vornehmliche Vertreter Alfred Müller-Armack und Walter Eucken gewesen seien. Neu an der neuen sozialen Marktwirtschaft sei die größere Betonung der politischen Ökonomie, die darauf ziele, Mächtekonzentration zu verhindern und die Verantwortlichkeit des Staates zu betonen. Sie setze sich zudem stärker mit Regulierung und der politischen Ökonomie des Finanzsektors auseinander und finde neue Formen von Empirie. Auch spiele die Verhaltensökonomik eine wachsende Bedeutung, d.h. auch die Erforschung „sozialer Motive" für Leistungsbereitschaft und Kooperation, das Abweichen vom rationalen Grundansatz und die Ermittlung der Ursache für Effizienz und Wachstum.

Die Rolle des Wettbewerbs sei - so Zettelmeyer -  weniger exklusiv in der neuen sozialen Marktwirtschaft als in der alten. Allerdings habe sich auch Eucken für eine progressive Einkommenssteuer ausgesprochen und habe Mindestlöhne als Notmittel gegen Deflation für akzeptabel gehalten; er sei zudem für Arbeiternehmerschutz und die Existenz von Gewerkschaften als Korrektiv eingetreten. Allerdings sei Wettbewerb auch in der neuen sozialen Marktwirtschaft eine Voraussetzung für das Funktionieren von Märkten. Die Wettbewerbsordnung, die offensiv geschaffen werden müsse, löse das Verteilungsproblem zumindest zum überwiegenden Teil. Zettelmeyer stellte darüber hinaus zwei weitere neue Ideen vor: Erstens sei Wettbewerb auf Märkten Voraussetzung für Demokratie, da Wettbewerb grundsätzliche Oligarchen schwäche, die nicht auf Wettbewerb setzten. Zweitens sei das Wettbewerbsprinzip auch außerhalb des Marktkontextes essentiell für den Erfolg der sozialen Marktwirtschaft und die Idee der Chancengleichheit via Erreichen eines Level-Playing-Field. Dies erfordere aber offensive Maßnahmen des Staates, z.B. in der Bildungspolitik. Nach Ansicht von Zettelmeyer sei Wettbewerb sozial und demokratisch. Dies sei vermutlich der Grund, weshalb Wettbewerb und freier Handel eine der konstituierenden Grundsätze seien, auf die sich Juristen und Ökonomen gleichermaßen verständigen könnten.

Dr. Stefan Schulte,  Vorsitzender des Vorstandes, Fraport AG, Frankfurt/Main: „Luftverkehr im Spannungsfeld zwischen globalem Wettbewerb, staatlicher Regulierung und Infrastrukturpolitik"

Herr Dr. Schulte gab im traditionellen Unternehmervortrag einen Einblick in das Unternehmen Fraport AG und dessen Werdegang vom Betreiber eines Flughafens zum börsennotierten international tätigen Konzern. Bei der Fraport AG handele es sich um ein regionales, natürliches Monopol. An die Regionalität knüpften sich interessante Fragestellungen, wie z.B. die Frage, ob das Unternehmen Nutzungsflächen direkt vergeben dürfe oder diese europaweit ausgeschrieben werden müssten.

Am Frankfurter Stammsitz würden täglich über 200.000 Passagiere abgefertigt, insgesamt gebe es 78.000 Beschäftigte. Im Jahr 2014 hätten insgesamt 223 Millionen Passagiere den Flughafen benutzt. Etwa 60 Prozent aller interkontinentalen Flüge in Deutschland gingen über den Frankfurter Flughafen. Jeder dreißigste Euro an Wertschöpfung (3,5 Prozent) gehe über diesen Flughafen, ein „Tor zur Welt". Umsatzträger seien die Kerngeschäftsfelder; beachtliche Ergebnisse ließen sich jedoch auch in den nicht regulierten Bereichen wie der Gastronomie und Internationales erzielen. Ursprünglich sei der Frankfurter Flughafen in den 1950er Jahren nur eine Lufthansa-Basis gewesen. Die Planer hätten damals auf Drehkreuze in Hamburg und München gesetzt. Frankfurt - zentral in Deutschland gelegen und zum dann größten „Hub" ausgebaut - habe dann auf ein Thema gesetzt: Intermodalität. Dies habe den Bau des Regionalbahnhofes, später des ICE-Anschlusses, bewirkt. Mittlerweile sei der Frankfurter Flughafen mit einem Marktanteil von über 50 Prozent der Flugbewegungen in Deutschland auch die Nr. 1 bei Cargo.

Der Luftverkehr wachse weltweit um ca. 5 Prozent pro Jahr, so Schulte, der Frankfurter Flughafen habe in den vergangenen im Durchschnitt ein Wachstum von 3 Prozent zu verzeichnen gehabt. Diese liege daran, dass privat immer mehr geflogen werde. Terminal 3 werde gebraucht, um internationalen Ansprüchen gerecht zu werden und werde die Region auch architektonisch bereichern. Die Fraport AG beteilige sich auch an anderen Flughäfen weltweit, da dies größere Verdienstmöglichkeiten als in Frankfurt bereitstelle. Die Fraport AG sei börsennotiert und müsse eine angemessene Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielen. Jüngst habe die Fraport AG den Zuschlag für eine Ausschreibung für den Betrieb von 14 griechischen Regionalflughäfen erhalten.

Schulte stellte schließlich die aktuellen Herausforderungen für den Luftverkehrsmarkt näher dar. Weltweit herrsche eine starkes Wachstum vor, aber die Margen für die europäischen Fluggesellschaften seien am geringsten, dies liege an der Luftverkehrssteuer in Deutschland und weiteren Faktoren, wie dem starken Vordringen der Low-Cost-Fluggesellschaften, starkem Wettbewerb, den geringen operativen Kosten der Golf-Carrier je angebotenem Sitzkilometer, der fehlenden Konsolidierung in Europa im Hinblick auf nationale Fluggesellschaften (Flag Carrier) und der fehlenden Möglichkeiten, sich beispielsweise der Pensionskosten, wie in den USA unter Chapter 11, zu entledigen. Hinzu komme, dass die Lufthansa eine inhomogene Flottenstruktur aufweise. Auch sei in Tarifverträgen der Lufthansa festgelegt, dass höchstens eine Zweimarken- im Gegensatz zu einer Mehrmarkenstrategie möglich sei. Der Marktanteil der Low-Cost-Fluggesellschaften liege in einzelnen europäischen Ländern heute bereits bei über 50 Prozent. Die Netzwerk-Carrier integrierten die eigenen Low-Cost-Fluggesellschaften in ihr Konzerngeschäft. Die Golf Carrier verfolgten unterschiedliche Strategien; aus Golfperspektive sei der Luftverkehr durch die Vernetzung mit der Welt ein strategisches Entwicklungsprogramm; auch sei der Flugverkehr ein Vehikel, um unabhängig vom Öl zu werden.

Anachronistisch sei, dass der Luftverkehr in den letzten Jahren stark liberalisiert worden sei, die Verkehrsrechte aber nach wie vor bestünden. Diese Rechte sollten nur so restriktiv wie nötig ausgestaltet werden. Problematisch sei, dass der Grundsatz der Reziprozität nicht Rechnung trage. Deutsche Fluggesellschaften könnten alle Flughäfen in den Emiraten anfliegen, umgekehrt bestünde aber keine Reziprozität für die ohnehin global räumlich begünstigten Golffluggesellschaften. Die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Industrie sei aber nicht nur eine Frage der Verkehrsrechte, sondern auch Alleingänge seien problematisch. Aus diesem Grund sprach sich Schulte für eine Abschaffung der Luftverkehrssteuer und eine Aufhebung des Nachtflugverbots aus. Die europäischen Beihilferegelungen für Flughäfen seien - so Schulte - noch moderat. Eine Verstaatlichung der Industrie sei hingegen nicht vorstellbar.

Dr. Wolfgang Kirchhoff, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe:Aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Kartellrecht"

Kirchhoff kommentierte wie auf den Innsbrucker Symposien in den Jahren zuvor die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Kartellrecht. Im Bereich der Fusionskontrolle erwähnte Kirchhof den Beschluss des BGH in der Rechtssache Viskosefasern aus dem Jahr 2014. Das Bundeskartellamt hatte den Zusammenschluss zwischen zwei Herstellern von Fasermaterial aus Cellulose untersagt mit der Begründung, dass der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der Zusammenschlussparteien auf dem europaweiten Markt für Tamponfasermaterial begründe oder verstärke. Der BGH urteilte, dass es für die Anwendung der Bagatellmarktklausel nur auf die Inlandsumsätze ankomme, auch wenn der räumlich relevante Markt weiter sei. Für die geografische Zuordnung von Umsätzen gelte das Bedarfsmarktkonzept, wonach grundsätzlich der Ort maßgeblich sei, wo der Bedarf bestehe. Nur beim Auseinanderfallen von Kundenstandort und Lieferort sei danach der Lieferort maßgeblich. Im Ergebnis hätten die Voraussetzungen der Bagatellmarktklausel nicht vorgelegen, da die Umsatzschwelle im vorliegenden Fall überschritten gewesen sei. Auch Umsätze aus Warenlieferungen an den inländischen Standort seien demnach als Inlandsumsätze zu qualifizieren. Irrelevant seien der Rechnungsempfänger oder die Frage, wer die Ware bezahlt habe. Theoretisch könne hieraus eine Manipulationsgefahr folgen, in dem der Zentraleinkauf den Lieferort (im Inland oder Ausland) steuern könne und auf diese Art und Weise das Ergebnis der Fusionskontrolle beeinflussen könne. Das gelte auch dann, wenn die Entscheidung über den Lieferauftrag von der im Ausland ansässigen Einkaufsorganisation eines multinationalen Unternehmens getroffen werde.

Im Urteil vom April 2014 in der Rechtssache VBL-Versicherungspflicht habe der BGH in Bezug auf die VBL (Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) entschieden, dass auch ein marktbeherrschendes Versicherungsunternehmen sich beim Angebot von Gruppenversicherungsverträgen grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen müsse, für Arbeitgeber eine Versicherung bereitzustellen, aus der bestimmte Beschäftigte ausgenommen sind. Die Abmeldung vorhandener und die Nichtanmeldung neuer Beschäftigter zur betrieblichen Altersversorgung bei der VBL stelle auch dann einen Vertragsverstoß eines Krankenhauses (Beteiligter) dar, wenn dieses mit dem Marburger Bund einen Tarifvertrag abschließt, der die Verpflichtung zu einem solchen Verhalten vorsieht. Das Krankenhaus als Arbeitgeber sei vielmehr verpflichtet, alle beschäftigten Arbeitnehmer zu versichern, die zu versichern gewesen wären. Der BGH habe geurteilt, dass eine Versicherungspflicht auch für die von dem geplanten Haustarifvertrag erfassten Ärzte mit Art. 9 Abs. 3 GG (negative Koalitionsfreiheit) vereinbar sei. Darüber hinaus hätten keine Feststellungen zu Marktbeherrschung oder Marktmachtmissbrauch getroffen werden können. Allerdings seien die Regelungen der VBL zur Versicherungspflicht selbst dann kein Marktmachtmissbrauch, wenn man die marktbeherrschende Stellung der VBL unterstellen würde. Da das Beteiligungsverhältnis bei VBL mit Frist von sechs Monaten zum Schluss jedes Kalenderjahres kündbar gewesen sei, liege im Ergebnis ebenfalls keine Wettbewerbsbeschränkung vor; damit habe auch keine unbillige Behinderung wegen Ausschließlichkeit vorgelegen. VBL sei daher zur fristlosen Kündigung des beteiligten Klinikums berechtigt gewesen, da die Beteiligte sich durch anderweitige Versicherung des ärztlichen Personals gegen die umfassende Versicherungspflicht verstoßen habe.

Im Kalziumcarbitkartell (BGH-Urteil vom November 2014) sei es um den Innenausgleich einer Geldbuße zwischen Gesamtschuldnern gegangen, so Kirchhoff weiter. Der BGH habe den Fall an das zuständige OLG zwecks weiterer Feststellungen zurückverwiesen und habe sich mit der Frage zu befasst, nach welchem Maßstab eine Geldbuße, die die Europäische Kommission gegen mehrere Gesellschaften als Gesamtschuldner verhängt hat, im Innenverhältnis auf die einzelnen Schuldner zu verteilen war. Geklagt habe eine Obergesellschaft gegen zwei ehemals von ihr abhängige Gesellschaften. Der BGH berief sich auf die Rechtsprechung des EuGH, nach welcher die Entscheidung über den Ausgleich im Innenverhältnis grundsätzlich den nationalen Gerichten nach Maßgabe des einzelstaatlichen Rechts obliege. Demzufolge habe der BGH deutsches Recht und insbesondere die Vorschriften des BGB zum Gesamtschuldnerausgleich anwenden können. Danach seien die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nichts anderes bestimmt sei. Die Erwägung des OLG, dass die Obergesellschaft die Geldbuße als wirtschaftliche Nutznießerin allein zu zahlen habe, habe der BGH für nicht tragfähig erachtet. Ausgleichsansprüche einer Obergesellschaft gegen abhängige Gesellschaften könnten zwar im Einzelfall ausgeschlossen sein, dies sei jedoch nicht festgestellt worden.

Kirchhoff ging daraufhin auf die Urteilsgründe zur Entscheidung Stromnetz Olching vom Oktober 2014 ein, bei dem es um Stromnetzkonzessionen ging. Der BGH habe im Rahmen einer Stromnetzübernahme erneut über die Wirksamkeit eines Konzessionsvertrags entschieden. Hier habe ein Neukonzessionär einen Konzessionsvertrag mit einer Kommune geschlossen, welche Zusagen machte, die vom Altkonzessionär als Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot des § 3 KAV angesehen wurden. Der Altkonzessionär habe sich deshalb geweigert, die Übereignung des Stromnetzes vorzunehmen. Der BGH habe schließlich das Urteil vom OLG München zurückgewiesen und ebenfalls die Nichtigkeit des geschlossenen Konzessionsvertrags angenommen, aber dies mit anderer Begründung. Der BGH habe geurteilt, dass aus der Vereinbarung unzulässiger Nebenleistungen keine Gesamtnichtigkeit des Konzessionsvertrags folge, wenn die unzulässigen Leistungen weder Kriterium für die Auswahl des Konzessionärs waren noch sich in anderer Weise auf die Auswahlentscheidung der Gemeinde ausgewirkt hätten. Der BGH habe insbesondere andere Fehler im Konzessionierungsverfahren gerügt und keine generelle Gesamtnichtigkeit des Konzessionsvertrages bei Verstoß gegen das Nebenleistungsverbot angenommen. Die möglicherweise unzulässigen Nebenleistungen seien zudem nicht kausal für die Auswahlentscheidung der Kommune gewesen.

Zuletzt gab Kirchhoff einen Ausblick zu einem kommenden, eventuell im Oktober 2015 zur Verhandlung anstehenden Verfahren in Sachen Zentralverhandlungsmandat Presse-Grosso. Hier gehe es um eine Klage gegen den Bundesverband Presse-Grosso, welcher dazu aufgefordert wurde, es zu unterlassen, für Presse-Grossisten in Deutschland einheitliche Grosso-Konditionen mit Verlagen zu verhandeln oder Presse-Grossisten aufzufordern, individuelle Verhandlungen mit der Bauer-Vertriebs KG über Grosso Konditionen zu verweigern. Das Landgericht Köln habe der Klage stattgegeben; das OLG Düsseldorf habe zwischenzeitlich die Berufung des Bundesverbandes zurückgewiesen. Zur Begründung habe das OLG ausgeführt, dass die Befugnis des Bundesverbandes, für seine Mitglieder einheitliche Konditionen mit den Verlagen zu verhandeln und zu vereinbaren gegen das Kartellverbot aus Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoße. Der mit der 8. GWB-Novelle neu eingefügte § 30 Abs. 2 a GWB schließe die Anwendung von Art. 101 AEUV nicht aus. Bei Presse-Grossisten handele es sich nicht um „betraute" Unternehmen. Insbesondere sei ein Zentralverhandlungsmandat für einen flächendeckenden und diskriminierungsfreien Pressevertrieb nicht erforderlich. Der BGH habe die Revision aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit zugelassen.

Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn: „Person und Information: Mit welchem Leitbild reagiert das Wettbewerbsrecht auf die Herausforderung der Digitalwirtschaft?"

Die digitale Welt sei zunächst ein dezentralisierter, verdichteter Kommunikationsraum, beherrscht (und beherrschbar) durch unterschiedliche Technik, konstatierte Di Fabio. Das führe zu unterschiedlichen Disruptionen, nicht zuletzt beim Verbraucher. Die Welt sei komplexer geworden, und zugleich wandele sich der herkömmliche Verbraucherbegriff schon deshalb, weil der Verbraucher wie der „Bürger“ schlechthin seine überkommene „passive“ Rolle verlasse und sich zum „aktiven“ Teilnehmer und zum „hybriden Verbraucher“, der zugleich auch Anbieter sei, entwickele. Das zeige sich schon daran, dass er Anbieter „bewerten“ kann, was wiederum Auswirkungen auf das Konsumverhalten künftiger Nutzer habe, denn im Netz gehe Information niemals verloren. Zugleich geschehe das Meiste „anonym“ und wohl auch unter diversen Manipulationsmöglichkeiten. Internetplattformen, „Lotsen“ oder Suchmaschinen fungierten dabei nur als vermeintlich kostenlose Dienstleistung. Das Geschäftsmodell liege darin, intermediäre geschlossene Räume bilden, um damit Monopole aufzubauen, die sich unentbehrlich machten und eine dauerhafte Beziehung zwischen Anbieter und Nutz entwickelten.

Mit dieser einhergehenden Entwicklung und ihrer Selbstverständlichkeit verschöben sich aber auch die Grundannahmen des Wettbewerbs- und Lauterkeitsrechts: Was ist sozialadäquat? Di Fabio stellte weiter die Frage, ob das Rechtssystem nun vor der Situation stehe, vor der Welt des Internet zu kapitulieren, und verneinte sie sofort. Am Leitbild der Privatautonomie sei das deutlich zu machen: Nach wie vor gelte der Rechtsbindungswille der Parteien im Zivilrecht. Es stelle sich die Frage, wieviel Information dazu nötig ist, um den Verbraucher in die Lage zu versetzen, diesen Willen zu bilden., was schwierig zu quantifizieren sei angesichts der „flüchtigen“ Information einerseits und des „flüchtigen Verbrauchers“ im Netz andererseits. Auf diese Phänomene müsse das Recht Antworten finden und regeln, was als Information vorgehalten werden müsse und was nicht. Für das Vertragsrecht bedeute dies etwa, ob der „point of sale“ immer sichtbar sei. Das wiederum unterscheide die digitale aber nicht gravierend von der analogen Welt.

Eine dementsprechende Abkehr vom herkömmlichen Leitbild des eigenverantwortlichen und autonomen Verbrauchers hin zu einem „Wärmeraum“ des Rechts vor dem Hintergrund der Komplexität und der Überforderung sei dazu angemessen, allerdings müsse die Höhe der Eingriffsschwelle in das dem entgegenstehende Leitbild der Freiheit unternehmerischen Handelns bestimmt werden. Dabei komme es auf den Kontext an, in dem sich der Verbraucher bewege. Der Rechtsrahmen dürfe aber andererseits auch nicht das Netz von vorneherein freier von Bindungen erklären, denn die digitale Welt sei ebenso interessenbeeinflusst wie die analoge Welt. Und schließlich dürften – andersherum – Unternehmen auch nicht ins Netz getrieben werden, was Di Fabio anhand des sog. Schulranzen-Falles verdeutlichte.

(Durch Klick auf den jeweiligen Referentennamen öffnet sich das hinterlegte Handout).