05.08.2021

EU-Kommission konsultiert zum Neuentwurf der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung und der zugehörigen Leitlinien

EU
Gruppenfreistellungsverordnungen
Vertikal-GVO
Vertikal-Leitlinien

Neuentwurf der kartellrechtlichen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen: https://ec.europa.eu/competition-policy/system/files/2021-07/draft_revised_VBER.zip

Neuentwurf der Leitlinien für vertikale Beschränkungen: https://ec.europa.eu/competition-policy/system/files/2021-07/draft_vertical-guidelines_en.pdf

Erläuterndes Arbeitspapier der Kommission: https://ec.europa.eu/competition-policy/system/files/2021-07/draft_VBER_and_vertical-guidelines_explanatory%20note.zip

Die Europäische Kommission hat am 9. Juli 2021 einen („Vertikal-GVO") sowie der Leitlinien für vertikale Beschränkungen („Vertikal-LL") veröffentlicht und konsultiert hierzu bis zum 17. September 2021.

Die aktuell geltende Vertikal-GVO aus dem Jahr 2010 läuft am 31. Mai 2022 aus. Die Europäische Kommission hatte bereits Anfang des Jahres eine Konsultation zu möglichen Änderungen der geltenden Vertikal-GVO durchgeführt und dabei insbesondere die Bereiche des zweigleisigen Vertriebs, der Paritätsverpflichtungen, der Beschränkungen des aktiven Verkaufs und bestimmter indirekter Maßnahmen zur Beschränkung des Online-Verkaufs ins Auge gefasst (vgl. dazu FIW-Artikel vom 06.01.2021).

Wesentliche Neuerungen:

Der Kommissionsentwurf dehnt einerseits den Anwendungsbereich der Ausnahme für den zweigleisigen Vertrieb auf Großhändler und Importeure aus (Art. 2 Abs. 4a Vertikal-GVO-E), sofern es sich nicht um Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten handelt, die eine Hybridstellung innehaben. Andererseits sieht Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO-E aber vor, den derzeitigen geschützten Bereich für den zweigleisigen Vertrieb auf Fälle zu beschränken, in denen der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf Einzelhandelsebene höchstens 10 % beträgt. Sofern der gemeinsame Marktanteil höher ist (aber unterhalb der Marktanteilsschwelle von 30 % in Art. 3 Vertikal-GVO), bleibt der duale Vertrieb zwar freigestellt, allerdings mit Ausnahme des Informationsaustauschs zwischen den an der vertikalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen (Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO-E). Dieser ist nach den Vorschriften für horizontale Vereinbarungen zu beurteilen. Wenn die vertikale Vereinbarung eine Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den miteinander konkurrierenden Anbietern und Abnehmern bezweckt, entfällt die Freistellung (Art. 2 Abs. 6 Vertikal-GVO-E). Die neuen Leitlinien enthalten in Kapitel 4.4.3 weitere Erläuterungen zum überarbeiteten Anwendungsbereich der Ausnahme für den zweigleisigen Vertrieb.

Bislang ist die Verwendung von Paritäts- oder Meistbegünstigungsklauseln nach der Vertikal-GVO freigestellt. Nun soll die Freistellung für sogenannte „weite" Paritätsverpflichtungen, in denen Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten ihre Abnehmer verpflichten, Waren oder Dienstleistungen Endverbrauchern nicht unter Inanspruchnahme konkurrierender Online-Vermittlungsdienste zu günstigeren Bedingungen anzubieten, entzogen werden (Art. 5 Abs. 1 d) Vertikal-GVO-E). Paritätsverpflichtungen in Bezug auf die Einzelhandelskonditionen für direkte Vertriebs- oder Vermarktungskanäle („enge" Paritätsklauseln) sollen hingegen freigestellt bleiben und fallen weiterhin in den geschützten Bereich der Vertikal-GVO. Weitere Hinweise zur Beurteilung von Paritätsverpflichtungen finden sich in den Abschnitten 6.2.4 und 8.2.5 des Entwurfs der überarbeiteten Vertikal-Leitlinien.  

Nach den derzeit geltenden Bestimmungen der Vertikal-GVO sind Beschränkungen des aktiven Verkaufs nur in Ausnahmefällen zulässig. Laut Artikel 4 b) Vertikal-GVO-E besteht nun die Möglichkeit eines geteilten Alleinvertriebs, der vorliegt, wenn ein Anbieter mehr als einen Alleinvertriebshändler in einem bestimmten Gebiet oder für eine bestimmte Kundengruppe benennt. Gleichzeitig wird - um eine Fragmentierung des Binnenmarktes zu verhindern - mit der vorgeschlagenen Änderung eine Verbindung zwischen diesem geteilten Alleinvertrieb und der Effizienz des Alleinvertriebssystems hergestellt. Dafür präzisiert Abschnitt 4.6.1.2., dass die Zahl der benannten Vertriebshändler im Verhältnis zu dem zugewiesenen Gebiet oder der zugewiesenen Kundengruppe so festgelegt werden sollte, dass zum Schutz der von den Vertriebshändlern getätigten Investitionen ein bestimmtes Geschäftsvolumen gesichert ist.

Um die Investitionsanreize für Alleinvertriebshändler besser zu schützen soll der Anbieter nach Artikel 4 b) Vertikal-GVO-E seine Abnehmer zur Weitergabe der Beschränkung des aktiven Verkaufs an ihre Kunden verpflichten können, wenn der Kunde des Abnehmers eine Vertriebsvereinbarung mit dem Anbieter oder mit einem beteiligten Unternehmen geschlossen hat, dem der Anbieter Vertriebsrechte gewährt hat. Darüber hinaus sieht Artikel 4 c) Vertikal-GVO-E vor, dass selektive Vertriebssysteme in den betreffenden Gebieten besser vor Verkäufen durch nicht zugelassene Händler geschützt werden sollen. Die Kommission schlägt außerdem in Art. 1 Abs. 1 l) und n) Vertikal-GVO-E eine Definition des Begriffs der „Beschränkung des aktiven Verkaufs" vor.

Da aus Sicht der Kommission ein besonderer Schutz des Online-Handels nicht mehr erforderlich ist, werden Doppelpreissysteme künftig nicht mehr als Kernbeschränkung eingestuft. Folglich können Anbieter künftig unterschiedliche Großhandelspreise für Online- und Offline-Verkäufe durch ein und denselben Vertriebshändler festsetzen. Außerdem müssen im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems die von den Anbietern festgelegten Kriterien für Online-Verkäufe nicht mehr insgesamt mit den Kriterien für herkömmliche Ladengeschäfte gleichwertig sein, da es sich dabei um zwei von Grund auf unterschiedliche Vertriebskanäle handelt. Die Freistellung gilt allerdings nur, wenn die festgelegten Kriterien und unterschiedlichen Preise nicht dazu dienen, Abnehmer oder ihre Kunden daran zu hindern, Waren oder Dienstleistungen online zu vertreiben. Anderenfalls liegt eine Kernbeschränkung vor (Art. 1 Abs. 1 n) Vertikal-GVO-E).

Der Neuentwurf der Leitlinien enthält darüber hinaus weitere Orientierungshilfen in Bezug auf Online-Beschränkungen. Hierbei gibt die Kommission an, dass sie die entsprechende Rechtsprechung der vergangenen Jahre (Pierre Fabre, Coty) berücksichtigt habe und mit den neuen Leitlinien eine EU-weit einheitliche Auslegung von Online-Beschränkungen anstrebe.

In Abschnitt 6.1.2 des Entwurfs der überarbeiteten Vertikal-Leitlinien wird erläutert, unter welchen Umständen bestimmte internetbezogene Verhaltensweisen einen aktiven oder passiven Verkauf darstellen. Die Abschnitte 8.2.3 und 8.2.4 des Neuentwurfes der Leitlinien enthalten Angaben zu Beschränkungen der Nutzung von Online-Plattformen und Preisvergleichsinstrumenten. In Artikel 1 Absatz 1 d) Vertikal-GVO-E findet sich eine neue Definition des Begriffs „Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten", die im Rahmen der Vertikal-GVO als Anbieter gelten. Hierzu enthält Abschnitt 4.3 der neuen Vertikal-Leitlinien weitere Hinweise.

Die Kommission gibt an, dass der Entwurf auch ihrem Arbeitspapier vom Februar 2021 zu Vertriebshändlern Rechnung trage, die bei bestimmten Produkten für denselben Anbieter auch als Handelsvertreter fungieren.

Weitere Änderungen beziehen sich insbesondere darauf, die Anwendung der Vertikal-GVO und der Leitlinien zu vereinfachen. So wurden die Bestimmungen zu Beschränkungen in Bezug auf Gebiete bzw. Kundengruppen aus Artikel 4 b) der gegenwärtigen Vertikal-GVO durch drei verschiedene Gruppen von Bestimmungen ersetzt, um den Geltungsbereich des Verbots für jedes der Vertriebssysteme - Alleinvertrieb, selektiver Vertrieb und freier Vertrieb - klarzustellen. Darüber hinaus enthält Abschnitt 4.6 des Entwurfs der überarbeiteten Vertikal-Leitlinien eine Erläuterung der Merkmale jedes dieser Vertriebssysteme.