13.03.2020

53. Symposion in Innsbruck - Andreas Mundt, Wirtschaft im Wandel – Kartellrechtspraxis auf dem Prüfstand?

D
FIW
Symposion
Rede
Bundeskartellamt
Mundt

Anlässlich des 53. FIW-Symposions in Innsbruck (26.- 28. Februar 2020) ging Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, in seinem Vortrag vom 26. Februar 2020 der Frage nach, wie insbesondere das Bundeskartellamt als „Partner der Unternehmen" auf die neuen Entwicklungen im Umfeld der Wirtschaft reagieren sollte. Die Wirtschaft befinde sich, so Mundt, im Wandel durch die Digitalisierung, neue Chancen, neue Geschäftsfelder und neue Wettbewerber im Zuge der Globalisierung und aufgrund neuer Lieferketten. Diese müsse sich auf dem Markt auch den teils hochsubventionierten staatlichen Unternehmen stellen.

Das Thema Marktkonzentration werde derzeit viel diskutiert mit Blick auf die USA. Das Bild in Deutschland und Europa sei sehr viel differenzierter, aber auch in Deutschland gebe es mit Blick auf bestimmte Player (z. B. Plattformen und deren Netzwerkeffekte) eine starke Konzentration, wobei mit Ausnahme von Spotify diese Unternehmen nicht aus Europa kämen. Importierte Konzentration habe zu Veränderungen in der Praxis geführt: Missbrauchsverfahren seien zum Alltag der Kartellbehörde geworden. Wenn „das Kind einmal in den Brunnen gefallen" sei (aufgrund internen Wachstums oder aufgrund von Fusionskontrolle), sei es schwer, „das Kind mit der Missbrauchsaufsicht wieder aus dem Brunnen herauszuholen". Die Missbrauchsaufsicht sei zwar generell ein scharfes Instrument, allerdings seien Missbrauchsverfahren schwierig, komplex, fehleranfällig, aufwändig und schwer vor den Gerichten zu gewinnen. Diese seien der „Mount Everest" aller Verfahren, wobei sich die Kartellbehörde mittlerweile „einmal am Tag auf dem Berg" befinde. Dies gelte vor allem für die Fälle Facebook, CTS Eventim, Booking, beim Bundeskartellamt; dies gelte für die Verfahren bei der Europäischen Kommission aber genauso. Einfachere Verfahren hätten folgende Fälle betroffen: HRS (Bestpreisklausel), Amazon (Bestpreisklausel, Amazon Marketplace).

Das Bundeskartellamt ertüchtige Unternehmen, auch gegen Tech-Giganten anzutreten, so z. B. im Fall von Kooperationen. Das Kartellverbot sei grundsätzlich auf Kooperationen zwischen Unternehmen anwendbar. Das Bundeskartellamt versuche aber, von Bußgeldverfahren in diesen Bereichen generell wegzukommen und mehr in die präventive Vorabprüfung solcher Verfahren zu investieren und auf diese Weise mit den Unternehmen gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Auf diese Weise solle das den Kooperationen innewohnende Potential erkannt und gesichert werden. Mundt betonte, dass der Bundesverband der deutschen Industrie einst die Selbsteinschätzung „gefeiert" habe. Heute würden alle mit den Folgen der daraus resultierenden Unsicherheit „kämpfen". Viele Unternehmen seien an den Weltmärkten zwar stark vertreten, wüssten aber vergleichsweise wenig von dem in der Digitalisierung wohnenden Potential.

Das Kartellamt habe mittlerweile bei der Prüfung von Kooperationen im digitalen Umfeld (z. B. XOM Metal, Adamos) ein klares Prüfraster entwickelt: Es dürften keine Diskriminierung und kein Ausschluss von Wettbewerbern stattfinden. Gegebenenfalls müssten „Chinese Walls" errichtet und gesellschafterliche Auskunfts- und Einsichtsrechte beschränkt werden. Es gebe zudem das sog. „Vorsitzendenschreiben". Allerdings kämen die Unternehmen oft in einem sehr frühen Verfahren zum Kartellamt, in dem sich die Projekte noch ändern könnten und würden. Es würden aber prüffähige Fälle benötigt.

Die Neuausrichtung der Fusionskontrolle in der 9. GWB-Novelle sei in der Praxis schwierig und schwerfällig gewesen. Man habe damit „Killer-Akquisitionen" der GAFA und im Pharmasektor aufgreifen wollen. Die entsprechende Vorschrift solle in diesem Jahr evaluiert werden. Es habe lediglich mittlere zweistellige Zahl mit allen Voranmeldungen und keine Fälle in Phase 2 gegeben.

Mit der 10. GWB-Novelle wolle man mit dem neuen § 39 a GWB ein Instrument in der formellen Fusionskontrolle schaffen, mit dem man sich Fusionen in der Offline-Welt besser ansehen könne. Hierfür habe die Entsorgungswirtschaft Pate gestanden.

Die Diskussion um die Neuregelungen in der Missbrauchskontrolle fand Mundt „betulich". Diese sollten eine Antwort auf Disruptionen darstellen, über deren Folgen man sich vielfach noch nicht im Klaren sei. Zwar sei der bisherige Werkzeugkasten gut, es gebe allerdings viele Gerichtsverfahren und Schwierigkeiten, diese Verfahren durchzubringen. Wichtig sei, schnell zu handeln. Insofern verkörpere die GWB-Novelle ein absolutes Minimum dessen, was man im Kartellrecht erreichen könne. Sie habe auch nur einen relativ kleinen Anwendungsbereich.

In den USA würden zur Zeit Rückabwicklungen von sog. Killer-Fusionen diskutiert. Auch machten einige Fusionen, die in Brüssel zugelassen worden seien, heute „mächtig Ärger". Vielleicht seien einige dieser Fusionen Fehler gewesen. Da die Prognosekraft seitens des Amtes bei Fusionsprüfungen nur schwer aufzubringen sei, müsse man sich nach Mundts persönlicher Auffassung dem Instrument der nachträglichen Untersagung stellen.

Globaler Wettbewerb und ein zunehmendes transnationales Ungleichgewicht habe Wünsche nach Veränderungen (z. B. in Deutschland, Frankreich, Polen, Italien) aufkommen lassen. Es sei erfreulich, dass mehr die Praxis und weniger das materielle Recht im Fokus der Kritik stünde. Zur Diskussion stünden Änderungen in der Mitteilung zur Marktabgrenzung und den Horizontal-Leitlinien, zudem eine stärkere Berücksichtigung von Verhaltenszusagen und Effizienzen. Vizepräsidentin Vestager habe bereits angekündigt, die Mitteilung zur Marktabgrenzung überarbeiten zu wollen, was sicherlich nicht verfrüht komme. Diese sei aber nur ein Werkzeug, um Märkte zu identifizieren, nicht um Märkte zu designen. Prognosen über Marktzutritte sollten bestärkt werden. Die Voraussetzungen für die Darlegung von Effizienzen sei heute für Unternehmen äußerst hoch. In jedem Fall gelte es, eine Politisierung der Fusionskontrolle zu vermeiden. Eine präventive Fusionskontrolle sei besser als eine nachträgliche, so Mundt.

Alle Bereiche erforderten eine stärkere Zusammenarbeit der Behörden, und es würden neue Kooperationsformen benötigt. Auch werde sich der Wandel zu einer gemeinwohlorientierten, nachhaltigen Wirtschaft verstärken, da die Verbraucher zunehmend nachhaltige Produkte nachfragten. Gemeinwohl sei auch ein Ziel des Wettbewerbsrechts. In dem Zusammenhang spiele die Diskussion um Nachhaltigkeit eine große Rolle. Mundt führte als Beispiele die Initiative Tierwohl und das Bündnis für nachhaltige Textilien an. Es handele sich entweder um gerechtfertigte Ausnahmen vom Kartellverbot oder um zulässige Effizienzen. Eine Untersagung dieser Kooperationen sei jedenfalls unwahrscheinlich. Das Bundeskartellamt habe auch weitere Aufgaben als Marktordnungsbehörde, z. B. im Bereich der Markttransparenzstelle Kraftstoffe. Unfair Trade Practices (UTP) sollen jetzt beim BMEL umgesetzt werden, obwohl es um die Beziehung von Produzenten zum Lebensmitteleinzelhandel und damit um eine klassische Aufgabe für das Kartellamt gehe. Die Umsetzung des Wettbewerbsregisters sei hingegen derzeit in vollem Gang, werfe aber einige schwierige Fragen auf. Es handele sich um ein „riesiges IT-Projekt".

Mundt schloss seinen Vortrag mit der Einschätzung, dass der behördliche Verbraucherschutz wichtig sei, aber im Moment noch ausstehe, da es dafür keinen politischen Willen gebe.