14.03.2019

52. FIW-Symposion in Innsbruck – Rede Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, „Wettbewerb und Fairness – wie Europa den richtigen Rahmen setzt“

D
FIW
Symposion
Rede
Bundeskartellamt
Mundt

Anlässlich des 52. FIW-Symposion in Innsbruck (6.- 8. März 2019) fragte Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, in seinem Vortrag vom 7. März 2019 nach den richtigen Rahmenbedingungen für den Wettbewerb und sprach sich dafür aus, Wettbewerb nicht mehr nur isoliert zu betrachten, sondern auch eine neue Perspektive auf den Verbraucherschutz zuzulassen. Außerdem hätten sich in letzter Zeit gegenläufige Debatten herausgebildet: Einerseits werde die Ansicht vertreten, dass man „European Champions" fördern müsse und dass das Wettbewerbsrecht überholt sei. Diese Debatte wiederhole sich alle zehn Jahre, wobei der Auslöser stets eine untersagte Fusion gewesen sei. Auch der Vorwurf belaufe sich immer auf das Gleiche, nämlich dass eine zu kleinteilige Betrachtung der Märkte erfolge. Andererseits werde danach gefragt, wie man GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) „besser, konsequenter, öfter" zähmen könne. Die Diskussion sei noch nicht ganz konsequent, und es sei fraglich, wie man diese beiden Stränge zusammenbringen könne. Neu sei an der Untersagung der Fusion im Fall Siemens/Alstom, dass nationale Wettbewerbsbehörden in diesem Fall mitdiskutiert hätten. Sie stehe auch in einem inneren Zusammenhang mit der Industrieinitiative von Herrn Altmeier (Anm.: Nationale Industriestrategie 2030) und mit der Wucht in der französischen Diskussion, „das Wettbewerbsrecht zu schleifen".

Mundt zufolge ist eine Diskussion über Unternehmenspolitik - der Ausdruck sei seiner Meinung nach besser als Industriepolitik - sehr notwendig und „alles andere als verwerflich". Schließlich stünden deutsche mit chinesischen Unternehmen „in einem Ring", in dem kein Level-Playing-Field vorherrsche. Es sei ein gemeinsames Ziel, die Unternehmenspolitik und den Wohlstand in Deutschland und der EU abzusichern. Mundt sei selber, wie er sagte, ein „Freund der Reziprozität des Zugangs von Märkten" im Sinne eines „Gebens und Nehmens". So wäre es konsequent, wenn sich außereuropäische Unternehmen nicht um öffentliche Aufträge bewerben dürften, wenn umgekehrt Bewerbungen in die andere Richtung ebenfalls verboten seien. Insofern seien auch die konsequente Anwendung des AWG, der Schutz des Geistigen Eigentums und Handelsabkommen mit China richtig und wichtig, da diese der Herstellung eines Level-Playing-Fields dienten. Das Wettbewerbsrecht habe in Staats- und Privatwirtschaften unterschiedliche Funktionen.  Bei uns sei es der Pfeiler der Wirtschaft, in China sei der Pfeiler das Parteibüro, das Unternehmen durch direkten staatlichen Zugriff steuere.

Zur Diskussion um eine Abschwächung des Wettbewerbsrechts sagte Mundt, dass man eine Politisierung des Wettbewerbsrechts unbedingt vermeiden solle. Die Vorstellungen dazu seien mannigfaltig und bezögen sich auf den Verbraucherschutz, die Lebensmittelsicherheit, den Umweltschutz, die Nachhaltigkeit, den Schutz der Bauern und eine kleinteilige Landwirtschaft. In Südafrika sei sogar die Förderung von Unternehmen unter dem Aspekt der Rassengleichheit eine besonders wichtige Voraussetzung für die Fusionskontrolle. In Deutschland funktioniere das System mit einer Ministererlaubnis gut. Leider werde die Marktabgrenzung mittlerweile als „Lackmustest" für die Funktionsfähigkeit der EU-Fusionskontrolle angesehen. Marktabgrenzung sei ein empirisches Konzept und müsse in jedem Fall stets aufs Neue bestimmt werden. Sollte die Marktabgrenzung aufgrund eines normativen Vorschlags künftig immer die Weltmärkte als Bezugsgröße aufweisen, könne Facebook von den Kartellbehörden voraussichtlich nicht mehr geprüft werden. Auch die Übertragung der Ministererlaubnis auf die europäische Ebene benötige „viel Phantasie". In Deutschland handele es sich um ein gerichtlich überprüfbares Verfahren, und es bestehe eine klare Kausalität der Begründungserwägungen. Auf europäischer Ebene sei eine Auflösung dieses Konnexes anzunehmen mit der Konsequenz, dass auch wettbewerbsfremde Aspekte durchschlagen könnten. Eine Ratserlaubnis auf europäischer Ebene könne politisiert werden. Wenn ein Zusammenschluss zu Effizienzen führe, könne dies im Übrigen heute schon berücksichtigt werden. Dies sei mit dem Blick für das ganze System gegebenenfalls klarer herauszuarbeiten.

Mundt ging dann auf die Facebook-Entscheidung des Bundeskartellamts ein, die auch im Zusammenhang mit der Frage stehe, wie man die Internetgiganten „zähmen" könne. Die Entscheidung habe mit drei Jahren immer noch zu lange gedauert, sie sei aber schneller als die Google-Entscheidung zustande gekommen. Sie werde dazu führen, dass das Geschäftsmodell von Facebook nachhaltig verändert werde. Es sei der Versuch, Facebook klare Vorgaben zu machen, indem die Datensammlung aus allen möglichen Quellen untersagt werde und diese nur mit einer freiwilligen Einwilligung möglich bleibe. Das Amt habe Marktbeherrschung vorausgesetzt. Ansonsten ließe sich Marktbeherrschung mit identitiätsbasierenden Netzwerkeffekten und Lock-In-Effekten begründen. Neu sei, dass die Prüfung der DSGV im Bereich des Wettbewerbsrechts erfolgt sei. Die Rechtsbereiche des Datenschutzes und des Wettbewerbsrechts seien ganz unmittelbar miteinander verwoben. Daten seien ein wesentlicher Parameter für die Feststellung von Marktbeherrschung. Dies könne nur untersucht werden, wenn man die DSGVO in die Prüfung miteinbezöge. Alles andere schließe sich denklogisch aus. In der Zukunft müsse man überlegen, ob besser auch strukturelle Maßnahmen eingeführt werden sollten. Derzeit handele es sich immerhin um eine „interne Entflechtung". Falls die Verfügung des Kartellamts Bestand haben sollte, sei diese Herangehensweise in doppelter Hinsicht exportierbar: zum einen geographisch auf die EU-Ebene, zum anderen anwendbar auch auf die Unternehmen, die auf ähnliche Weise wie Facebook vorgingen.

Zur anstehenden GWB-Novelle bemerkte Mundt, dass der Fokus auf der Modernisierung der Missbrauchsaufsicht liegen werde; die ECN-Plus-Richtlinie sei ohnehin umzusetzen. Triebfeder für die Novelle seien die interessanten Vorschläge des Gutachtens der Professoren Schweitzer, Haucap und Kerber. Die Novelle werde sich daran messen lassen müssen, ob sie die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegen die Internetgiganten (GAFA) erweitere. Es dürfe keine neue Rechtsunsicherheit durch neue unbestimmte Rechtsbegriffe geschaffen werden. Die Fragestellung, wie die Marktmacht von Plattformen besser zu definieren sei, sei richtig, da Plattformen Gatekeeper seien. Es ließen sich viele Parallelen zum LEH finden, die genutzt werden könnten. Es reiche auch ein klarstellender Hinweis auf die Intermediärsmacht der Plattformen (als aliud zur Nachfrage- und Angebotsmacht). Das Kartellrecht werde künftig bei Verhältnissen relativer Marktmacht schon früher eingreifen. Die bisherige Begrenzung auf KMU solle geändert werden, da große Unternehmen von Plattformen genauso abhängig sein könnten wie KMU. Angedacht sei auch eine Wiederbelebung von § 20 Abs. 3 GWB, der das Horizontalverhältnis betreffe. Man könne überlegen, ob man künftig nicht schon dann eingreifen können soll, wenn ein marktmächtiges Unternehmen auf anderen Märkten mit seiner gesamten konglomeraten Marktmacht agiere („envelopping"), auch wenn dies eine Loslösung vom Konzept des relevanten Marktes bedeute. Es könne auch überlegt werden, den „Facebook-Fall" in das GWB aufnehmen. Es müsse zudem überlegt werden, ob für die Bußgeldzumessung eine gesetzliche Regelung notwendig werde (etwa analog des Düsseldorfer Gerüsts bei der Strafzumessung). Bei der Fusionskontrolle solle die zweite Inlandsumsatzschwelle von 5 Mio. EUR auf 10 Mio. EUR angehoben werden, um das Kartellamt zu entlasten. Ob es gelte, „Killerfusionen" zu verhindern, sei noch eine ungeklärt. Hinsichtlich einer besseren Absicherung von Kooperationen gehe es um die Frage, ob tatsächlich mehr Freiräume und mehr Rechtssicherheit gebraucht würden. Es gebe schon viele Freiräume. Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, könne sich Mundt vorstellen, künftig sog. „Vorsitzendenschreiben" zu versenden, die zumindest vor einem Bußgeldrisiko schützen könnten. Gegebenenfalls sollte angesichts der Schenker-Rechtsprechung auch eine gesetzliche Regelung erwogen werden.

Mundt ging auch noch kurz auf die Umsetzung der ECN-Plus-Richtlinie in das deutsche Recht ein. Die Auskunftspflichten in Kartellverfahren gingen in der Richtlinie weit über das GWB hinaus. Die Wurstlücke sei in Deutschland zumindest schon geschlossen. Das Kronzeugenprogramm werde gesetzlich normiert, und die Bußgeldimmunität werde auf den alleinigen Anführer zu erweitern sein. Das Bundeskartellamt werde vor Gericht zudem staatsanwaltsähnliche Befugnisse erhalten.