23.02.2018

51. FIW-Symposion in Innsbruck - Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, Rechtsdurchsetzung in einer globalisierten und digitalisierten Welt

D
FIW
Symposion
Rede
Bundeskartellamt
Mundt

Anlässlich des 51. FIW-Symposion in Innsbruck (14.- 16. Februar 2018), das unter dem Leitthema „60 Jahre GWB und Europäisches Kartellrecht - Wie geht es weiter?" stand, ging Mundt in seinem Vortrag vom 15. Februar 2018 der Frage nach, welche Aufgaben künftig auf das Bundeskartellamts zukommen werden und wie es sich gegenüber den mit der Digitalwirtschaft einhergehenden Wettbewerbsproblemen aufstellen solle. Mundt erläuterte, dass der 60. Geburtstag des Bundeskartellamts ein guter Zeitpunkt für eine Standortbestimmung im Wettbewerbsrecht sei. Fraglich sei, ob die bisherigen Prinzipien noch taugten, oder man angesichts der Veränderungen, die im Gange seien (z. B. Künstliche Intelligenz, Blockchain, GAFA, Alibaba, Tencent etc.) das Wettbewerbsrecht verändern müsse. Bei den Digitalfällen gebe es derzeit nur wenig höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Entscheidungen der Kartellbehörden.

Mundt schilderte, dass das Bundeskartellamt am 02.01.1958 seine Arbeit mit 53 Mitarbeitern aufnahm. 1958 sei die deutsche Wirtschaft ca. 2000 Kartellen geprägt gewesen. Das Reichsgericht habe Kartelle als Ausfluss von Werbefreiheit charakterisiert. 1973 sei die Fusionskontrolle hinzugekommen, später die Europäische Fusionskontrolle. Anfang 2000 habe sich das Amt durch die Ökonomisierung des Wettbewerbsrechts neustrukturiert. Der Verbraucherschutz und Wettbewerbsregister seien ebenfalls neue Aufgaben, die bewältigt werden müssten. Dabei böten evolutionäre Schritte die beste Möglichkeit, am inneren ordnungspolitischen Kompass der Freiburger Schule festzuhalten. Es sei seinerzeit eine geniale Idee gewesen, auf das GWB als Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft zu setzen. Der Wettbewerb sei „das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte" (Böhm), und es sei bewundernswert, dass die Politik den Mut gehabt hätte, „die Wirtschaft in die Freiheit zu entlassen", „bewacht vom Bundeskartellamt". Trotz des „effects-based approach" sei die Freiheit des Wettbewerbs immer noch ein Wert an sich, indem sie Wahlmöglichkeiten sichere. Wettbewerb sei deshalb auch der beste Schutz für die Verbraucher. Die Zweifel an der Tauglichkeit dieses Konzepts seien heute groß, beeinflusst von der Chicago School. Die Vertreter der Chicago School brandmarkten in der Hauptsache Kartelle, während Fusionen und die Größe von Unternehmen als vergleichsweise harmlos beurteilt würden. Dies möge teilweise richtig sein, greife aber zu kurz, so Mundt. Einen „Realitätscheck" böten die USA. Dort gebe es derzeit eine strukturelle Vermachtung von Märkte, und die US-Wettbewerbsbehörden stünden unter Druck, dagegen vorzugehen. In der Diskussion sei dort allerdings die Zerschlagung von Unternehmen und nicht wie in Europa die Zuschärfung der Missbrauchsaufsicht. Bei Übertragung des ordnungspolitischen Kompasses auf digitale Märkte bedeute dies, dass Märkte für „newcomer" offenzuhalten und Verbraucher zu schützen wären.

Die letzte GWB-Novelle habe vor allem Rechtsklarheit geschaffen. Wichtig sei nun die Frage, wie die Missbrauchsaufsicht mit Blick auf Plattformmärkte weiterentwickelt werden könne. Der Koalitionsvertrag bleibe an vielen Stellen „rätselhaft" und „nicht leicht verständlich", so Mundt, etwa in Bezug auf die Forderungen nach einer neuen Marktabgrenzung und eine kompetentere Marktbeobachtung durch eine Digitalagentur. Negativ bewertete Mundt die neuen geplanten Ausnahmen im Wettbewerbsrecht (Nationales Roaming, Vereinbarkeit des Kartellrechts mit dem Genossenschaftswesen, Absicherung des Pressegrosso).

Mundt kündigte an, dass demnächst beim Bundeskartellamt ein neuer Think tank zum Thema E-Commerce eingerichtet werden solle. Viele Plattformen betrieben Eigenhandel in einer Hybridfunktion. Es sei ersichtlich, dass es dort aufgrund von Abhängigkeiten zu Interessenkonflikten kommen könne. Mundt ging noch kurz auf die Sektoruntersuchungen ein, die das Amt derzeit durchführt. Das Verhältnis der datensammelnden Unternehmen zum Verbraucher bleibe problematisch. Insbesondere zeige das Facebook-Verfahren hohe direkte Netzwerkeffekte und hohe Martkeintrittsbarrieren. Falls Daten die Währung im Internet seien, zahle der Nutzer eventuell einen zu hohen Preis für die Nutzung von Facebook, so Mundt. In jedem Fall sei man mit diesem Fall „im Maschinenraum der datenbasierten Internetökonomie" angekommen. Die vielen weiteren geführten Verfahren (z. B. CTS, Hotelportale, Asics, etc.) zeigten, dass das Wettbewerbsrecht trage und keine grundsätzliche Bearbeitung brauche. Dies gelte auch für die europäische Ebene. Damit sei die Chicago School ein Stückweit widerlegt. Es bleibe jedoch ein Spannungsverhältnis zwischen Fallbearbeitung und Rechtsstaatlichkeit (Gerichtsfestigkeit) aufgrund der Dauer der Verfahren. Einstweilige Maßnahmen seien kein Allheilmittel, könnten allerdings bei Zugangsproblemen helfen. Hilfreich wären ggf. weitere widerlegbare Vermutungen, eine stärkere Ausarbeitung der Tatbestände unterhalb der Marktbeherrschungsschwelle, eine Ressourcenmoblisierung beim Kartellamt, nicht nur in Form von Quantität, sondern auch in Form von Qualität (Technikaffinität) und eine stärkere internationale Arbeitsteilung. Auf europäischer Ebene habe man bereits eine Arbeitsgruppe gebildet, die daran arbeite, für die digitale Welt „Korsettstangen" einzuziehen. Mundt dazu: "Die Musik spielt derzeit in Europa."