10.03.2017

50. FIW-Symposion in Innsbruck - Festvortrag Prof. Dr. Kurt Biedenkopf

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Biedenkopf

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident a.D., Festvortrag zum 50. FIW-Symposion, Zum ordnungspolitischen Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialverfassung

Anlässlich des 50. FIW-Symposion in Innsbruck (1.- 3. März 2017) zu dem Thema „Globalisierung und Digitalisierung: Passt die Wettbewerbsordnung noch in unsere Zeit?" hielt Prof. Dr. Kurt Biedenkopf am 3. März 2017 einen Festvortrag.

Nach der Gratulation zum 50. Jubiläum verwies Biedenkopf zu Anfang seines Festvortrags auf ein weiteres Jubiläum, nämlich auf das Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr 1957. Die Sitzungen des Bundestags im Vorfeld in den Jahren 1955 bis 1957 seien von historischer Bedeutung gewesen. Damals sei über das Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialverfassung entschieden worden. Das GWB sei erst nach langer harter Diskussion innerhalb der CDU auf den Weg gebracht worden. Die Dokumente der Sozialausschüsse ab 1947 hätten erkennen lassen, wie die soziale Ordnung aussehen sollte. Die Dokumente von Erhard, Böhm und Müller-Armack hätten auf der anderen Seite eine Verfassungsidee in die Wirtschaft eingeführt. Im Jahr 1957 habe es zunächst zwei Konzepte gegeben. Zum einen seien dies die Düsseldorfer Leitsätze, das erste Wahlprogramm der CDU 1946, gewesen, das sich als Grundlage der sozialen Gerechtigkeit für eine umfassende Sozialpolitik ausgesprochen habe, die der inneren Befriedung des Volkes dienen sollte. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik sei demnach die Voraussetzung für diese Ordnung. Im Ergebnis habe sich dieses Konzept durchgesetzt. Zum anderen hätten die Sozialausschüsse die Frage nach der sozialen Ordnung stets als Machtfrage verstanden und den Gegenentwurf des „Ahlener Programms" als das ihre vereinnahmt. Adenauer habe damals eine Alternative für den sozialen Rechtsstaat prüfen lassen wollen. Dieser Auftrag münde in der Idee, dass der Staat der sozialen Sicherheit am meisten diene, wenn er die persönliche Verantwortung des einzelnen anerkennt und sich entfalten lässt. Staatliche Sozialhilfe sei „Hilfe zur Selbsthilfe" gewesen, keine Verteilungspolitik, sondern eine Absicherung der basic needs - eine Art Grundsicherung. Dies sei in der Rothenfelser Denkschrift festgehalten. In der Folge seien die Konzepte einer umfassenden sozialen Sicherheit und der Wettbewerbsfreiheit umgesetzt worden. Bis heute sei es jedoch nicht gelungen, aus dieser Gegenüberstellung der beiden Elemente einer Wirtschafts- und Sozialverfassung ein konsistentes Ergebnis abzuleiten. Es gebe keine gemeinsame ordnungspolitische Wirtschafts- und Sozialverfassung, sondern nur zwei verschiedene. Dies bedeute gerade für die Wirtschaftsverfassung eine fundamentale Abschwächung. Sie könne insbesondere nicht expansiv wirken.

Aus Umfragen in den 1950er und -60er Jahren habe sich entnehmen lassen, dass Arbeit einen positiven Stellenwert besitze. Der Ertrag der Arbeit sei Voraussetzung für den Konsum gewesen. Der Anteil der Sozialkosten habe damals knapp 16 Prozent betragen. Heute werde zum Konsum aufgefordert, damit es keine Arbeitslosigkeit gebe. Damit habe man die Sache „auf den Kopf" gestellt. Die Bevölkerung sei zuständig für die Stärkung der Konsumkraft. Die Diskussion um die Frage der Stärkung der sozialen Gerechtigkeit und zum Schließen von Gerechtigkeitslücken verlange das. Der Übergang zu dieser Sichtweise sei spätestens in den 1970er Jahren erfolgt. Ihre Wirkung sei dramatisch gewesen - sie habe politischen Druck erzeugt, die Konsumkraft zu stärken. Ausdruck dessen sei zum Beispiel der G7-Gipfel in Bonn im Jahr 1978 gewesen. Dort habe es geheißen, die Europäer sollten mehr Wachstum produzieren, um in Amerika den Konsum zu stärken. Damit sei die Idee geboren worden, dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum Voraussetzung für die Akzeptanz der Demokratie sei. Der „Vater Staat" sei damit verpflichtet worden, für Gerechtigkeit zu sorgen, nicht die Bürger. Seitdem bestünde zwar die Möglichkeit für bürgerschaftliches Engagement, diese sei aber unterentwickelt.

Die Maxime Karl Schillers, der sich für ein angemessenes Wirtschaftswachstum ausgesprochen habe, sei mittlerweile zum Mantra geworden. Das Wachstum sei allerdings inzwischen angesichts der Beschäftigungszahl zurückgegangen, die Verknüpfung trage also nicht. Es gebe auch keinen einsichtigen Grund mehr, „so fleißig oder so fröhlich zu arbeiten wie am Anfang". Die Möglichkeit, Früchte der Arbeit mittels „Überschwemmung durch Konsum" herzustellen, sei schwieriger. Wachstum gelte nach wie vor als Schlüssel zur Konjunktur und zur Beurteilung des Landes. Dies sei aber ein Fehler.

Wirtschaft sei durch Wettbewerb begrenzt. Böhm habe vom Wettbewerb als einem Machtzerstörer gesprochen, als einem entscheidenden wertbezogenen Begrenzungsinstrument. Eine solche Begrenzung gebe es beim sozialen System nicht. Keiner könne objektiv sagen, was soziale Gerechtigkeit sei. Soziale Gerechtigkeit sei, was sich durchsetze und was dann finanziert werden müsse. Wenn Sozialpolitik nicht durch bestimmte objektive Mechanismen begrenzt werde, müsse man sich fragen, woher dann die Begrenzung komme. Eine Begrenzung liege nur in der Verweigerung zusätzlicher Mittel seitens der Politiker. Damit trage das Parlament das politische Risiko für die Begrenzung, während die Begrenzung der Wirtschaft durch Wettbewerb geschehe.

Während in der Person eines mittelständigen Unternehmers individualisierte Freiheit und eigenverantwortliches Unternehmertum angesiedelt sei, werde in den Sozialsystemen durch staatliche soziale Einrichtungen die Freiheit kollektiviert. Die Bürger seien keine Mitbestimmer. Die Sozialwahlen seien zudem eine Farce, bei der alle Sozialverbände dasselbe Programm hätten. Die Wahlbeteiligung liege regelmäßig unter 20 Prozent.

Es bestehe ein anhaltendes Spannungsverhältnis zwischen der Gerechtigkeit im Bereich des Sozialpolitik und der Wettbewerbsordnung. Sherman habe zur Begründung des sog. Sherman Acts gesagt: „Wenn wir politische Diktatoren ablehnen, müssen wir auch das Diktat der Preise ablehnen." Das wäre konsequent gewesen. Auch die Internationalisierung der Wirtschaft sie im Übrigen nicht ungefährlich für die Sozialsysteme.

Biedenkopf sprach sich am Ende seines Vortrags für eine Umstellung der Arbeitsteilung zwischen Bürger und Staat aus. Neben den Problemen der demographischen Entwicklung seien 15 bis 20 Prozent der nachwachsenden Generationen nicht einsatz- und leistungsfähig. Damit gerate die Tragfähig- und Funktionsfähigkeit des Sozialsystems automatisch in eine schwierige Situation, weil die Sozialsysteme zunehmend von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Anspruch genommen würden. Im Jahr 2050 werde die Bevölkerung fast dreimal so groß sein wie heute. Das bedeute eine enorme Verschiebung der Soziallasten. Der Staat müsse 10 Prozent des BIP für diese Aufgaben bereitstellen. Hohe Managergehälter und Renten seien deswegen nicht gerecht, da diese nicht mit der Haftung korrelierten. Wenn die Verbindung von Handeln und Haftung aufgehoben sei, würden die Grundlagen der Wettbewerbsordnung auf den Kopf gestellt. Wenn ein gemeinsames Verständnis über die Kultur der Demokratie fehle, werde auch die Verfassung notleidend. Was in der Verfassung fehle, beraube sie ihrer eigentlichen Legitimation. Biedenkopf sprach sich zuletzt für eine steuerlich finanzierte Grundsicherung aus, da diese gerechter als das bisherige System sei. Man müsse nicht die Länder oder die Dreistufigkeit abschaffen, man müsse sich aber über die Arbeitsteilung verständigen. Die Kommune müsse zur ihren kommunalen Verantwortlichkeiten zurückkehren. Dafür müssten die Kommunen per Schuldenschnitt entschuldet werden. Eine Bürgerbeteiligung, auch bei der Alterssicherung, sei darüber hinaus notwendig. Richtiges Wachstum im Sinne eines intelligenten und nicht eines sinnentleerten Zuwachses des BIP, z.B. durch mehr Investitionen in Bildung, sei notwendig. Biedenkopf: „Eine Gesellschaft die nicht entsorgen kann, was überholt ist, erstickt daran."